Interview | Martin Patzelt
Martin Patzelt war Bürgermeister von Frankfurt (Oder) und hat eine besondere Beziehung zu Israel. In dieser Woche hat er Brandenburger Schulen besucht und sich mit den Schülern über den Konflikt mit der Terrorgruppe Hamas ausgetauscht.
Martin Patzelt (76) war zwischen 2002 und 2010 Bürgermeister von Frankfurt (Oder). Der CDU-Politiker ist Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Brandenburg. Als Rentner war er vier Monate lang Helfer in einem Altenheim in Israel: Dort half er Menschen, die wieder in ihre deutsche Muttersprache zurückfielen.
Die Attacken der Terrororganisation Hamas auf Israel am vergangenen Wochenende habe er mit "Schrecken, Angst und Sorge" verfolgt. Im Rahmen der aktuellen Israelwoche in Brandenburg hat Patzelt gememeinsam mit einem jüdischen Rapper Schulen besucht und sich mit Schülerinnen und Schülern über den Konflikt im Nahen Osten ausgetauscht.
rbb|24: Herr Patzelt, waren Sie dieses Jahr schon in Israel?
Ja, ich war auch in diesem Jahr dort. Und es war auch möglich, dass ich mit meinen Freunden an der Demonstration gegen die Politik der Netanjahu-Regierung in Jerusalem teilnehmen konnte.
Das heißt, Sie stehen regelmäßig noch in Kontakt mit Israel und einigen israelischen Familien?
Ich habe heute noch einmal mit meinen israelischen Freunden telefoniert. In Jerusalem spürt man den Terror und den Kampf noch nicht so. Angehörige waren noch nicht betroffen, aber es gibt natürlich eine große Sorge und das israelische Volk wird im Moment durch diese Bedrohung von außen wieder geeint. Diese tiefe Polarisierung, die ich im Frühjahr erlebt habe, klang aus den Worten meiner Freunde nicht wieder.
Sie sind Mitglied und im Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Brandenburg. In dieser Funktion waren Sie am Dienstag im Rahmen der Israelwochen, die in dieser Woche in Brandenburg stattfinden, in zwei Frankfurter Schulen. Was haben Sie da erlebt?
Der unerwartete Krieg und die Gräuel, die jetzt den Menschen angetan werden, der Zivilbevölkerung, den Alten, Kindern: Das stand natürlich sofort im Mittelpunkt. Das Interesse der jungen Menschen war sehr groß. Kein Handy wurde gezückt, kein Plaudern untereinander war zu beobachten, was ja sehr selten ist.
Im Oberstufenzentrum haben sich auch zwei Schüler mit Migrationshintergrund gemeldet und ihre Einwände erhoben. Ich fand das mutig und richtig, angesichts einer vermuteten, anders gestimmten Mehrheit. Ich habe die Leute ermutig und der Israeli Ben Salomo, der das Gespräch führte, hat sie auch ermutigt.
Haben Sie sonst schlechte Erfahrungen gemacht?
An der anderen Schule hat mich erschrocken, wie durch den Anstoß einer Lehrerin die Situation relativiert werden sollte. Nach dem Motto: Sind die Israeli nicht auch selbst ursächlich an dieser Entwicklung mit beteiligt, indem sie diese Siedlungspolitik vollziehen und unterstützt haben? Ich sage dazu immer: ein Teil der Bevölkerung. Und das führte zum Eklat, dass die Lehrerin auch von dem Israeli etwas in die Enge getrieben wurde, bezogen auf ihr wirkliches Wissen um die Vorgänge der Siedlungspolitik. Sie verließ den Raum und ein größerer Teil der Schüler folgte ihr.
Was hat Sie daran besonders gestört?
Die Unangemessenheit eines solchen Vergleiches der Siedlungspolitik zu dem Gemetzel, was jetzt auf beiden Seiten der Grenze von Gaza stattfand und stattfindet. Das ist eine andere Dimension, das ist eine andere Ebene. Nichts rechtfertigt aus meiner Sicht und mit meinem Weltbild, dass eine solche Gewalt verursacht wird, wenn politische Entwicklungen nicht akzeptiert werden.
Aus Ihrer Sicht hat die Frankfurter Lehrerin unberechtigt einen Vergleich gezogen. Warum sind Sie darüber so verwundert? Die Freundschaft zu Palästina wurde zu DDR-Zeiten immer wieder betont. Diese Haltung ist doch nicht auf einmal verschwunden.
Ich fand die Reaktion der Lehrerin oder ihre Fragestellung ja nicht falsch. Ich fand sie nur in diesem Moment unangemessen. Wie könnte ich das denn für falsch halten, wenn ich selbst sage, die Siedlungspolitik führt zur Eskalation. Aber in dem Moment, in dem ein Betroffener seinen Schmerz, seine Not ausdrückt und für sein Volk spricht, da fand ich es unangemessen. Weil der Verdacht aufkommt, dass man es relativiert und sagt: "Seht ihr, das kommt davon."
Zudem würde ich das Gespräch mit den jungen Menschen jetzt gerne weiterführen, dafür habe ich mich auch angeboten. Denn si müssen ihre Meinung sagen aber auch bestärkt darin werden, zunehmend andere Informationen aufzunehmen. Und das habe ich den Schülern vom Gauß-Gymnasium zum Schluss als Abschiedswort mit auf den Weg gegeben: "Ihr habt euch groß von Gauß an die Wand geschrieben: Nicht Meinung ist entscheidend, sondern Wissen."
Wie könnte man die Gespräche über dieses so schwierige Thema etwas leichter machen?
Ich persönlich würde denken, dass es unbedingt nötig ist, wenn wir wirklich integrativ werden wollen, dass wir unter Zuhilfenahme von Moderatoren Vertreter beider Gruppen zusammenführen und einen öffentlichen Dialog führen. Nach meinen Erfahrungen an den Schulen würde ich sagen, dass wir dringenden Bedarf an Gespräch haben: Wir müssen Fakten zur Kenntnis nehmen, sie gegenüberstellen und dann auch für uns gemeinsam eine klare Linie auf dem Boden der Menschenrechte ziehen.
In Deutschland gilt: die Freundschaft zu Israel ist Staatsräson. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Staatsräson heißt, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um den Staat Israel am Leben zu erhalten. Und nicht so wie die Iraner und ein Teil der Palästinenser, die organisiert in Organisationen wie der Fatah sind und sagen, wir treiben die Juden ins Mittelmeer.
Das heißt aber nicht, dass wir zu jeder Politik, die in Israel vielleicht eine Mehrheit findet, 'Ja' sagen können. Als ich mich aus dem israelischen Altenheim verabschiedet habe, durfte ich noch einen Abschiedsbrief schreiben und da habe ich hineingeschrieben: "Eure Siedlungspolitik wird keinen Frieden schaffen. Und weil ich glaube, dass ich ein Freund von Euch bin, möchte ich Euch das ins Stammbuch schreiben."
Staatsräson bedeutet, Israel muss als Staat erhalten bleiben. Angenommen, der Konflikt weitet sich aus, was heißt das in letzter Konsequenz? Müssen wir Israel wie einen NATO-Staat behandeln und aktiv werden?
Also wie einen NATO-Staat brauchen wir Israel nicht behandeln, weil sie nicht Mitglied der NATO sind. Und ich glaube, das Bündnis wird zusammen mit Deutschland eine abgestimmte Politik bezogen auf eine eventuelle Eskalation dieses Konfliktes schaffen. Die Amerikaner haben schon Flagge gezeigt, indem sie ihre Kriegsschiffe ins Mittelmeer geschickt haben, auch um dem Iran ein Warnsignal zu geben.
In den letzten Tagen wurde kritisiert, dass in Schulen in Gaza, die auch mit europäischem Geld finanziert wurden, Kinder zum Hass gegen Israel erzogen werden. Manche fordern, das Hilfsgeld an palästinensische Organisationen müsste sofort unterbunden werden. Was halten Sie davon?
Ich halte von solchen Hauruck-Aktionen gar nichts, zumal ich auch in Bethlehem Einrichtungen besucht habe, die von diesen Fördergeldern leben, zum Beispiel für Behinderte sorgen. Das ist ein ganz unbeachtetes soziales Problem. Die behinderten Menschen in ärmeren Ländern haben es immer schlecht gehabt. Da kümmert sich gar keine politische Instanz darum.
Das heißt, Sie stellen sich auch gegen Teile ihrer eigenen Parteiführung, die genau das fordert.
Das habe ich schon öfter gemacht. Ich bin ja kein Parteisprecher, sondern ich spreche für mich. Und da sage ich: Keine Hauruck-Aktion und weiter dort, wo es notwendig ist, auch Zuschüsse geben. Aber wir müssen sie viel besser kontrollieren und auch mit der Bedingung vergeben, dass sie nicht zum Hass erziehen, sondern tatsächlich die Menschenbilder, die wir vertreten, auch an die Kinder und Jugendlichen herantragen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Patzelt!
Stefan Kunze führte das Gespräch. Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung des Interviews.
Sendung: Antenne Brandenburg, 13.10.2023, 16 Uhr
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