Verwaltungsgericht Berlin
Die österreichische Alcmene GmbH will seit 2021 Anteile der PCK-Raffinierie von Shell kaufen. Am Montag hatte das Unternehmen den ersten Erfolg - ihre Klage gegen das Bundeswirtschaftsministerium war erfolgreich.
Im Rechtsstreit um den Kauf von Anteilen an der PCK-Raffinerie in Schwedt hat das Bundeswirtschaftsministerium am Montag eine Niederlage kassiert. Eine Klage der Alcmene GmbH gegen das Ministerium war überwiegend erfolgreich. Das teilte eine Sprecherin des Verwaltungsgerichts Berlin am Abend auf Anfrage dem rbb mit.
Mit dem Urteil ist für Alcmene GmbH der Erwerb von 37,5 Prozent der Anteile an der PCK-Raffinerie Schwedt (Uckermark) nach Vorschriften der Außenwirtschaftsverordnung freigegeben, wie es in der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts am Dienstag heißt. Eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) "vorgenommene Einstellung des Verfahrens mittels eines Verwaltungsakts sei rechtswidrig gewesen, weil es hierfür an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehle", heißt es weiter.
Auch in einem zweiten Punkt folgt das Gericht der Argumentation von Alcmene. So sei der Antrag auf Feststellung der fiktiven Freigabe begründet. Soll heißen: Sollte es zu einer Einigung zwischen Shell und Alcmene kommen, ist der Erwerb von Seiten des BMWK freigegeben. Grund dafür sei wiederum, dass ein zweites Verfahren vom BMWK nicht eröffnet wurde, wie es in der Pressemitteilung weiter heißt. Um das zu verstehen, muss die Geschichte der Kaufverhandlungen betrachtet werden.
Alles begann im Juli 2021. Damals hatte bereits die österreichische Alcmene GmbH die Anteile an der PCK-Raffinerie von Shell erworben. Jedoch musste das Geschäft vom BMWK geprüft werden. Der Grund dafür ist verworren: Alcmene gehört zur estnischen Liwathon Gruppe, die sich nach eigenen Angaben mit dem Erwerb von Energieinfrastrukturanlagen beschäftigt. Sowohl Österreich als auch Estland gehören zur Europäischen Union. Soweit, so unproblematisch. Doch hinter der genannten Liwathon-Gruppe steht ein britischer Investor, wie es in der Gerichtsverhandlung hieß. Weil Großbritannien jedoch nicht mehr der EU angehört, handelt es sich nun um einen Erwerb, der durch einen "Unionsfremden" angestrebt wird. Und nun kommt das BMWK ins Spiel.
Das Ministerium muss nämlich in einem solchen Fall das Vorhaben prüfen. Das sieht die sogenannte Außenwirtschaftsverordnung vor. Alcmene hatte deswegen das Vorhaben dem damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gemeldet, wo das Verfahren auch eingeleitet wurde. Und offensichtlich auch kurz vor einem Abschluss stand. Doch zwei Tage vor einem möglichen Abschluss kam laut Alcmene ein weiterer Akteur hinzu: die Rosneft Deutschland GmbH.
Der deutsche Ableger des russisches Staatskonzerns hält mehr als 50 Prozent der Anteile an der PCK-Raffinerie Schwedt. Als Mitgesellschafter kann Rosneft im Falle eines Verkaufs anderer Anteile von einem sogenannten Vorkaufrecht Gebrauch machen. Das heißt, dass der Mitgesellschafter das Recht hat, die Anteile vor anderen potenziellen Interessierten zu kaufen. Und dadurch war der geschlossene Alcmene-Shell-Deal gescheitert. Alcmene hatte daraufhin das Prüfverfahren als gegenstandlos eingestuft, wie es in der Gerichtsverhandlung hieß.
Doch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine veränderte sich die Situation erneut. In der Folge wurden Sanktionen gegen Russland verhängt und Rosneft Deutschland unter die Treuhandverwaltung des Bundes gestellt. Die Übernahme der Shell-Anteile war dadurch ausgeschlossen. Alcmene hatte daraufhin nach eigenen Angaben am 14. Juni 2022 erneut das Kaufvorhaben angemeldet.
Shell kündigte jedoch den Vertrag im darauffolgenden Juli. Grund dafür war das Erreichen des sogenannten Long-Stop-Dates. Bis dahin müssen Vertragsparteien alle Verpflichtungen erfüllt haben - Alcmene also eine positive Stellungnahme des mittlerweile in BMWK umbenannten Ministerium hinsichtlich der Prüfung vorlegen. Auch wegen der Vertragskündigung von Shell stellte das BMWK das Prüfverfahren jedoch am 14. Oktober vergangenen Jahres ein. Ein zweites Prüfungsverfahren wurde nicht eröffnet. Und das führte schließlich zur Klage von Alcmene im November 2022, die am Montagabend entschieden wurde.
Als einen der schwierigsten und gleichzeitig spannendsten Fälle seines Berufslebens beschrieb zu Beginn der Verhandlung Stephan Groscurth als Vorsitzender Richter den oben beschriebenen Fall. Obwohl das BMWK 2022 mehr als 300 solcher Prüfverfahren führte, sei der Fall für die Kammer des Verwaltungsgerichts, als auch für die Prozessbeteiligten einmalig, so Groscurth in seiner Einleitung.
Hinzu komme, dass die Außenwirtschaftsverordnung und auch das Außenwirtschaftsgesetz im vorliegenden Fall in einigen Fällen nicht eindeutig seien, so der Richter weiter. Aus diesem Grund wurden von Seiten des Gerichts Beispiele aus unter anderem dem Asyl-, Integrations-, Bau- und Prostitutionsschutz-Gesetz sowie aus der Fahrerlaubnis-Verordnung herangezogen, um eine mögliche Verwaltungsgerichts-Entscheidung zu erleichtern. So sollte beispielsweise geklärt werden, wann, wie und mit welcher Konsequenz ein Prüfverfahren eingestellt ist oder wie über die Einstellung die Beteiligten informiert werden müssen.
Immer wieder wurde auch eine angesprochene Reform der Außenwirtschaftsverordnung genannt. So scheint es nach Aussage von Gericht und BMWK Bestrebungen zu geben, mit einer Überarbeitung für Klarheit und Rechtssicherheit sorgen zu wollen. Anmerkungen zur Konkretisierung von "Verwaltungsakt" und "Bescheid" oder der Erstellung von "digitalen Signaturen" wurden dabei in der Verhandlung genannt. Doch das Urteil musste auf Grundlage der bestehenden Gesetze und Verordnungen erfolgen.
"Das Verwaltungsgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung gegen das Urteil beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sowie die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen", heißt es im abschließenden Satz der Pressemitteilung vom Verwaltungsgericht. Auch darin wird deutlich, dass eine abschließende Entscheidung noch nicht gefallen sein muss.
Ob das BMWK in Berufung gehen wird, bleibt ebenfalls noch offen. Zunächst einmal sei das Urteil zur Kenntnis genommen worden, teilte das Ministerium auf Anfrage dem rbb am Dienstag mit. Sobald das Urteil schriftlich vorliegt, werde dieses geprüft und "im Anschluss über die Einlegung von Rechtsmittel entschieden". Das Ministerium weist zudem darauf hin, dass das Urteil "keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Eigentümerstruktur der PCK-Raffinerie" habe.
Grund dafür ist ein weiteres zivilrechtliches Verfahren zwischen Shell und Alcmene. Wegen der Vertragskündigung durch Shell hatte das österreichische Unternehmen zur Klärung ein Schiedsgerichts-Verfahren eingeleitet. Dieses soll im Dezember stattfinden. Die juristischen Vertreter von Shell und Alcmene wollten sich auch deswegen nicht zu dem Verwaltungsgerichtsverfahren und dem Urteil äußern.
Sendung: Antenne Brandenburg, 08.11.2023, 15:40 Uhr
Mit Material von Martin Krauß
Beitrag von Martin Krauss
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