Wassermangel in Strausberg
Die einen in Strausberg sagen: Es liegt nur am Wasserwerk. Die anderen: Es liegt an durstigen Kiefern und dem Klimawandel. Oder sind doch Tesla und die Rasensprenger schuld? Eins steht fest: Der Straussee schrumpft. Von Felina Czycykowski und Sören Hinze
Über dem knöcheltiefen Ufer segelt die Frisbeescheibe zwischen Sebastian* und Markus* hin und her. Neben den Beiden, auf Höhe ihrer Köpfe, reihen sich pechschwarze Holzgerippe. Das waren mal private Bootsstege. Sie sehen aus, als hätte jemand nummerierte Regenunterstände ans Ufer gezimmert. Wo die beiden 19-Jährigen ihre Frisbee werfen, stand man früher schultertief im türkisklaren Wasser des Straussees. "Klar weiß ich, dass der See verschwindet. Hatten wir auch damals in der Schule und so. Aber hier passiert ja nix. Die verkaufen lieber das Wasser", sagt Markus.
Wischen Sie von vorher zu nachher: 2017 (links) ist das Freibad noch gut besucht. Im Sommer 2022 (rechts) ist der Pegel stark gesunken: Das Ufer beginnt erst am Steg (Bild: Freibad Strausberg und rbb / Hinze).
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Eine gute halbe Stunde dauert die S-Bahnfahrt vom Berliner Ostkreuz nach Strausberg, einer Stadt von 20.000 Einwohnern. In ihrem Zentrum, am Ufer des Straussees, steht das Freibad mit seiner himmelbauen Holzfassade, eröffnet im Jahr 1925 – der Blütezeit der damaligen Freiluftbadanstalten. Seitdem ein beliebtes Ausflugsziel, für Strausberger, aber auch für Leute aus der Umgebung und Berlin. "Und jetzt ist es halt zu. Schon schade", sagt Sebastian.
Das Freibad gesehen vom anderen Ufer: Oben im Jahr 2017, unten im Sommer 2022 (Bild: Freibad Strausberg und rbb / Czycykowski).
2022 ist das Freibad das vierte Jahr in Folge geschlossen: Ohne genügend Pegel liegt der flach ins Wasser laufende Strand frei. Wo heute das Ufer beginnt, geht es direkt steil in die Tiefe. "Akute Ertrinkungsgefahr", sagt der Betreiber. Der Nichtschwimmerbereich ist verschwunden. Und ohne den ist kein Freibadbetrieb erlaubt.
Die Rutsche war die Vorbotin. Sie verschwand als erstes. Dann wurde der Fünf-Meter Turm gesperrt, als letztes das Drei-Meter-Brett abgebaut. Das Wasser war einfach nicht mehr tief genug. Die abmontierte Rutsche wurde im Gestrüpp geparkt - um sie irgendwann wieder anzuschrauben, sollte sich der See erholen. Aber Frisbeepartner Markus beobachtet das Gegenteil: "Jeden Tag ein Zentimeter. Ich sehe das ja am Ufer. Ich war eine Woche im Urlaub. Und davor konnte ich noch vorne bei den anderen Steinen ins Wasser", sagt er. Heute sollen es bis zu 40 Grad werden.
2017 (links) ist das Freibad noch gut besucht. Im Vergleich zum Jahr 2022 (rechts) ist der Pegel stark gesunken: Das Ufer beginnt erst am Steg.
Neben dem geschlossenen Schwimmbad liegt der Bootsverleih: Dreißig Ruderboote und eine kleine Hütte aus Kiefernlatten. Drinnen läuft das Radio: "Silent Running" von Mike & The Mechanics. Elke Jenning und ihr Kollege Mario Schmitz sitzen im Schatten der Markise auf weißen Plastikstühlen. Wenn jemand kommt, stehen sie auf. Er teilt die Ruder aus und schiebt die Boote ins Wasser. Sie kassiert. Fünf Euro kostet die Stunde.
Beide sind in Strausberg aufgewachsen. Elke Jenning hat zwischendurch woanders gewohnt, ist aber zurückgekehrt. "Meine Oma hat immer gesagt: Der tolle See trocknet niemals aus. Dann kam ich nach zehn Jahren wieder hier her nach Strausberg und dachte: 'Ach Oma, wenn du wüsstest wie der See aussieht'", sagt Jenning und muss kurz schlucken.
Im Song, der aus der Hütte ertönt, heißt es: "Teach the children quietly. For some day sons and daughters / will rise up and fight while we stood still." [lyrics.com] Übersetzt bedeutet das: "Bring es den Kindern beruhigend bei. Eines Tages werden (unsere) Söhne und Töchter sich erheben und kämpfen - während wir still blieben."
Schon vor ihrer Einschulung hat sie schwimmen gelernt, erzählt Elke Jenning. Natürlich im Straussee. Die Sommer ihrer Kindheit hat sie im Freibad verbracht: Nach der Schule pilgerten sie und ihre Freunde jeden Tag an den See. Das Proviantpaket von den Eltern - Schnitten, Obst und Wasser - musste ihr Bruder tragen. "Dit war mir immer zu schwer", sagt Jenning.
In der DDR habe der Eintritt 20 Pfennig gekostet, mit Umkleide 50 Pfennig. Ab und zu gab es Taschengeld für ein Eis. "Wir haben davon meistens Brot beim Bäcker gekauft. Das haben wir dann durchgeschnitten, ausgehöhlt und so zusammengerollt", sagt Jenning und presst ihre Finger zusammen. Teigkugel im Freibad. "Mann, waren das schöne Zeiten", erinnert sie sich. So einen Treffpunkt gibt es nicht mehr: Die Kinder müssen sich eine eigene Badestelle suchen, ohne Bademeister, Umkleide und Sprungsteg.
2017 (links) durften Freibadbesucherinnen und -besucher noch ihren Mut beim Turmspringen auf die Probe stellen. 2022 stapeln sich Boote auf dem einsamen Freibadstrand (Bild: Freibad Strausberg und rbb / Hinze).
2011 war das Wasser am Ufer rund 150 Zentimeter tief. Heute sind es an derselben Stelle 20 Zentimeter. Das beweisen die Messungen am Seeufer. Die Gründe dafür nennt die Hydrologin Irina Engelhardt von der TU Berlin: "Zum einen bekam der Straussee Zuflüsse durch kleine Bäche, er speist sich auch aus Grundwasser. Durch den Klimawandel sind die kleinen Bäche inzwischen trockengefallen. Zum anderen ist die atmosphärische Temperatur gestiegen. Seen sind riesige freiliegende Wasserstellen. Nirgends verdunstet so viel Wasser wie auf Seen", erklärt sie. Dazu kommt, dass die Kiefernwälder der Umgebung viel Feuchtigkeit ziehen, aber sie nicht gut speichern können.
Heißt zusammengefasst also: Nach oben verdunstet es und von unten kommt nichts nach. Aber das liegt nicht nur am Klima, sagt Irina Engelhardt: "Es ist ganz sicher, dass die Wasserförderung einen Anteil an den sinkenden Wasserspiegeln hat, wenn die Entnahmerate über der Grundwasserneubildung liegt." Je mehr Grundwasser der Wasserverband abpumpt, desto geringer stehen die Chancen darauf, dass die Wasserrutsche eines Tages wieder aus dem Gestrüpp geholt werden kann.
Mario Schmitz bindet ein Boot fest, dann setzt er sich wieder vor die Hütte und trinkt einen Kaffee mit Elke Jenning. Früher sei er Rettungsschwimmer im Freibad gewesen, erzählt er. Später beglückte er Badegäste mit Fritten und kühlen Getränke aus einem Imbissfenster hinaus. Jetzt eben der Bootsverleih. Wie sie so dasitzen und sich unterhalten, wirken Schmitz und Jenning, als sähen sie dem See beim Schrumpfen zu.
Mario Schmitz: "Zwischen den Stegen musste ich früher durchtauchen. Heute kann man da langlaufen."
Elke Jenning: "Wenn der Stand so bleibt, das ist genau ausgerechnet, dann haben wir hier in 30 Jahren 'ne Pfütze. Alles weg. Seit das Wasserwerk 2014 errichtet wurde, schrumpft der See schneller."
Mario Schmitz: "Und die letzten Jahre richtig rapide. Ne scheiß Wut hab ich."
Aus dem Radio in der Hütte hört man "We didn’t start the fire" von Billy Joel.
Schmitz' Wut richtet sich vor allem gegen den Wasserverband(WSE). Der versorgt die 170.000 Einwohner der Region mit Trinkwasser: Vom privaten Wasserhahn bis zu den Industriebetrieben – zum Beispiel die neue Fabrik von Tesla in Grünheide.
Mario Schmitz betrübt nicht nur der See: Die Stadt habe sich verändert, sagt er. Die Feste endeten zu früh. Ob in der Strausberger Altstadt oder bei kleinen Konzerten auf der örtlichen Kabelfähre: Um 22 Uhr stehe die Polizei auf der Matte. Weil irgendwer seine Ruhe haben will. "Aber um die Uhrzeit geht es ja eigentlich erst richtig los", sagt Schmitz und man hört ihm an, wie sehr er das bedauert. Es sind auch die lebendigen Höhepunkte, die Mario Schmitz am und auf dem weichenden Straussee vermisst.
Jens Mader sitzt auf einer Steintreppe am Seeufer. Hier hat der Rechtsanwalt früher seine nackten Füße im Wasser baumeln lassen. Jetzt stecken sie in Sandalen trocken im Sand. "Wir wollen nur unser Recht geltend machen: Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot", fordern Mader und die rund 280 Vereinsmitglieder der "Bürgerinitiative zur Erhaltung des Straussee" [erhaltet-den-straussee.de].
Mit anderen Worten: Weniger darf es nicht werden. Viele Mitglieder sind im Rentenalter, was Jens Mader fehlt, sind junge Leute, die sich engagieren, sagt er. Er habe Hoffnungen gehabt, dass bei Fridays For Future der "Wassertropfen überschwappt", wie er es bezeichnet. Passiert sei nichts. "Die wollen gleich die ganze Welt retten. Aber nicht die eigene Nachbarschaft", beschreibt Mader sein Zwischenfazit.
Doris Grewe, hellgrüne Brille, blauer Hut, Kleid mit Elefantenmuster, sitzt auf einer Bank am See. Die 65-Jährige hat früher als Bauingenieurin und Sozialarbeiterin viel von der Welt gesehen. In Ghana wurde sie mal zu einer Stammeskönigin gekrönt [moz.de]. Aber dass ihre Heimat am Straussee liegt, daran habe es für sie in 40 Jahren nie einen Zweifel gegeben. Lässig schaukelt sie einen Kinderwagen mit ihrem Enkel darin vor und zurück.
"Mit Empörung lese ich, dass Tesla seine Straßen wässert. Das ist unser Wasser. Beste Trinkwasserqualität. Aber ich darf erst ab 20 Uhr gießen?", beschwert sich Grewe. Jens Mader steht vor ihrer Bank und hört ihr zu. Und die Sache mit dem Freibad: Den Kies und Schutt von den umliegenden Baustellen könne man doch nutzen, um den Nichtschwimmerbereich aufzufüllen, schlägt Grewe vor. Schließlich sei das Freibad ein Herzstück der Stadt – geschlossen ist es nutzlos.
Als der Tesla-Gründer Elon Musk im vergangenen März das neue Werk in Grünheide eröffnete, fragte ihn eine Journalistin, ob er sich nicht Sorgen wegen des fehlenden Wassers in Brandenburg mache. Es war der Weltwassertag. Musk brach in Gelächter aus. Die Strausbergerin Doris Grewe lacht nicht. Für sie ist es eine Kränkung; stirbt doch ihr Wahrzeichen. Die Zukunft des Straussees sieht sie als verdunstete Regenrinne, sagt sie. Jens Mader hört der Frau auf der Bank zu und nickt. Aber er hat noch nicht aufgegeben.
Große Hoffnungen steckt er zum einen in eine Entsalzungsanlage, sagt er. Ein Projekt, das Wasser vom Salz trennt und dessen Leitungen vom Meer in die Mark reichen würden. Die Ostsee rettet Brandenburg? Momentan nicht viel mehr als eine Vision für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts. Für den Straussee kommt diese Idee vielleicht zu spät.
Zum anderen will Mader weiter dagegen kämpfen, dass der See an Substanz verliert. "Der Klimawandel hat seinen Anteil daran. Aber man sollte es doch nicht noch weiter vorantreiben, indem noch mehr Wasser abgepumpt werden darf", sagt Jens Mader. Er macht gerade eine Weiterbildung zum Fachanwalt im Verwaltungsrecht. Wenn er damit fertig ist, will er Prozesse gegen die Behörden führen, kündigt er an, "damit endlich was passiert."
Auch der Freibad-Pächter Fred Thaleiser hat noch Pläne. "Zielsetzung ist, dass das Freibad zum 100-jährigen Jubiläum wieder voll in Betrieb geht. Das wäre dann 2025", sagt Thaleiser. Ein künstlicher Nichtschwimmerbereich soll errichtet werden: mit schwimmenden Stegen, die sich einfach an den Pegel anpassen. "An die soll ein Schwimmbecken angepflanzt werden. Quasi eine Badewanne für die Nichtschwimmer", sagt er.
Kies oder Sand aufzuschütten, so wie es Doris Grewe vorschlägt um das tiefe Ufer abzuflachen, bringe nichts. "Haben wir schon an einer Stelle ausprobiert. Rutscht alles weg. Weil es am Ufer so steil bergab geht, dass alles verschüttet wird", sagt der Betreiber.
Die Entscheidung, ob ein schwimmender Steg gebaut wird, wie er sich das vorstellt, fällt in den nächsten Monaten. Zuständig ist die Stadtverordnetenversammlung. Rund 2,7 Millionen Euro würde das die Stadt Strausberg als Eigentümerin voraussichtlich kosten [strausberg-live.de].
Seit 2018 ist Elke Stadeler die Strausberger Bürgermeisterin. Im Freibad hat sie ihre Schwimmstufe abgelegt und musste von dem mittlerweile gesperrten Turm springen. "Übrigens das erste und einzige Mal", sagt sie. Den Vorwurf vieler Strausberger, der örtliche Wasserverband fördere zu viel Wasser, teile sie nicht: "Der Wasserverband hat vom Land genehmigte Wassermengen, die er nicht überschreiten darf", sagt Stadeler dazu. Daran halte er sich auch. Die Opposition im Brandenburger Landtag sieht das kritischer: Die zuständigen Wasserverbände seien überfordert und hätten weder Geld noch Personal, um die Probleme zu bewältigen, sagen BVB/Freie Wähler.
Stadelers Plan, um den Straussee zu retten: eine Wasserleitung von Rüdersdorf nach Strausberg. "Es soll geprüft werden, ob es möglich ist, Grubenwasser aus dem Tagebau Rüdersdorf in die Nähe des Straussees zu leiten, um dieses versickern zu lassen. Hier wurden Fördermittel des Landes Brandenburg beantragt und auch bewilligt. In den nächsten Tagen werden wir über die Vergabe dieser Gutachterleistungen entscheiden", sagt die parteilose Bürgermeisterin.
Doch bis auf diesem Weg Wasser nach Strausberg fließt, dürften mindestens zwei Jahre vergehen. Außerdem funktioniert das nicht ohne Zwischenlösung, weil das Rüdersdorfer Wasser viele Sulfate beinhaltet.
"Es ist einfach traurig", sagt Antje Fischer* als sie an diesem heißen Sommertag vom Fahrrad absteigt, um zu einem Arzttermin zu gehen Sie wohne seit 30 Jahren am Straussee und sehe, wie er immer weiter verschwinde. Sie sagt: "Es kam mit einem Schlag. Erst war es krass. Jetzt leben wir damit." So hat es auch Mario Schmitz beobachtet. Seit 2014 schrumpfe der See besonders deutlich.
Wer daran schuld ist - Klimawandel, das Wässern des Golfplatzes, durstige Kiefernwälder oder die Pumpen vom Wasserwerk - Fischer findet darauf keine Antwort, sagt sie. Ihr Verdacht: wahrscheinlich alles zusammen.
Aber wenn sie an die Zukunft ihrer Heimatstadt und ihres Sees denke, habe sie ein klares Bild vor Augen: "Wo sind wir in 30 Jahren? Strausberg - graue Stadt ohne See", sagt Fischer. Mit einem Freiluftmuseum, das früher mal ein Freibad war.
*Namen auf Wunsch der Gesprächspartner:innen geändert. Sie sind der Redaktion bekannt.
Sendung: Antenne Brandenburg, 03.08.2022, 18:30 Uhr
Beitrag von Felina Czycykowski und Sören Hinze
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