Entscheidung im Februar erwartet
Mehrere ostdeutsche Städte bewerben sich derzeit um den Standort für das "Zukunftszentrum für deutsche Einheit und europäische Transformation" - darunter auch Frankfurt (Oder). OB Wilke sieht das Konzept "wie für die Stadt gemacht". Von Fred Pilarski
Das Zukunftszentrum geht auf eine Idee zurück, die von der Bundestags-Kommission "30 Jahre Deutsche Einheit" entwickelt wurde. Einerseits geht es darum, den Systemumbruch im Osten nach der friedlichen Revolution 1989/90 zu würdigen und die Umwälzungen der Nachwendezeit zu thematisieren. Gleichzeitig soll das Zukunftszentrum den Blick über den deutschen Tellerrand weiten und die Transformations-Erfahrungen der Länder Mittel- und Osteuropas einbeziehen. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine rücken diese Perspektiven noch stärker in den Vordergrund.
Das Zukunftszentrum will Forschung, Begegnung und Kultur auf eine bislang neue Art miteinander vernetzen - so steht es im Konzept einer von der Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgruppe. Neben einem wissenschaftlichen Institut ist demnach eine "Galerie der Transformation und Einheit" geplant, die Besucher "auf eine Reise zu markanten Punkten der Geschichte" mitnimmt und sich der kritischen Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit widmet. Ein Bereich "Dialog und Begegnung" soll innovative Formen von Bürgerbeteiligung und Austausch ermöglichen.
Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke (Die Linke) wird nicht müde zu betonen, dass ihm dieses Konzept wie für die Stadt gemacht erscheint. "Ich habe sofort das Gefühl gehabt, die meinen uns." Frankfurt hatte die Umbrüche der Nachwendezeit exemplarisch durchlebt: Der Niedergang der Halbleiterindustrie nach der Wende, die enttäuschten Hoffnungen um die Ansiedlung einer Chipfabrik, das rasche Ende einer kurz aufblühenden Solarindustrie. Dazu kommt der massenhafte Wegzug von Menschen auf der Suche nach Arbeit. Frankfurt verlor ein Drittel seiner Einwohner - von knapp 90.000 kurz vor der Einheit auf jetzt 57.000. Brandenburgs Kultur- und Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD), in Frankfurt geboren und aufgewachsen, beschreibt die Situation als "klaffende Wunde": "Leere Abendbrottische, zerrissene Familien, von heute auf morgen."
Zum anderen ist da die Entwicklung von einer Grenzstadt zur europäischen Doppelstadt, als die sich Frankfurt und Slubice bezeichnen. Das ist nicht nur eine abstrakte Idee, sondern eine Verbindung mit vielen Strängen - von gemeinsamen Kulturevents bis hin zur grenzüberschreitenden Busverbindung oder zur gegenseitigen Abhängigkeit in der Fernwärmeversorgung. Zudem gibt es den internationalen Ansatz der geisteswissenschaftlich ausgerichteten Europa-Universität Viadrina, der aus Sicht der Frankfurter Bewerbung für die Oderstadt spricht.
Die Erforschung der Transformationen in den mittel- und osteuropäischen Ländern gehört seit der Wieder-Gründung 1991 zum Profil der Viadrina. Mit der Professur "Entangled History auf Ukraine" (Verstrickte Geschichte der Ukraine) ist die Viadrina auf einem besonders aktuellen Forschungsfeld unterwegs. Ministerin Schüle hat angekündigt, diesen Bereich noch weiter zu stärken und die Förderung eines Ukrainistik-Zentrums an der Viadrina angekündigt. Die Uni selbst sei ein "Laboratorium des europäischen Zusammenlebens", sagt der Historiker Prof. Jan-Claas Behrends.
Unterstützt wird die Bewerbung nicht nur von der Brandenburger Landesregierung, sondern auch von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, der polnischen Nachbarstadt Slubice sowie den umliegenden Kommunen und Landkreisen in Brandenburg. Bei einem Zuschlag verspricht sich Frankfurt nicht nur einen Bedeutungszuwachs, sondern auch einen großen Impuls für die Stadtentwicklung.
Das Gebäude des Zukunftszentrums soll dabei mehr als nur eine Hülle sein. Mit einer herausgehobenen Architektur könnte das Haus selbst zum Anziehungspunkt werden. Bis zu 220 Millionen Euro will der Bund dafür bereitstellen. Der Architekturwettbewerb soll unmittelbar nach der Verkündung des Standorts starten.
Frankfurt (Oder) bietet dafür den exklusivsten Platz an, der für dieses Zentrum vorstellbar ist: Eine große Brache unmittelbar vor der Oderbrücke, die nach Slubice führt, rechts und links der Zufahrtstraße. Der Ort selbst ist ein Beispiel für verschiedenste Transformationen: Dort wurden Plattenbauten weggerissen und die alten Abfertigungsgebäude von Zoll und Grenzschutz. Eine Zwischennutzung durch das künstlerische Begegnungsprojekt "Slubfurt" musste weichen für ein geplantes Einkaufszentrum, das dann doch nie gebaut wurde.
Bis zu einer Million Besucher sollen das Zentrum im Jahr besuchen können. So steht es im Konzept - nicht als Zielvorgabe, sondern eher als technischer Richtwert, für den die nötige Infrastruktur wie Übernachtungsmöglichkeiten, Parkplätze und öffentlicher Verkehr vorgehalten werden soll. Frankfurt hofft im Falle eines Zuschlags auf eine Reihe von Folgeinvestitionen. Zum Beispiel dürfte sich dann auch der lange erhoffte Bau eines Viersterne-Hotels lohnen, das es in Frankfurt noch nicht gibt. Auch dafür ist in der Stadt noch ein exklusiver Platz frei: Die Marktostseite - schräg gegenüber dem Rathaus.
Doch auch, wenn Frankfurt viel Rückenwind aus Politik und Gesellschaft hat - das Ergebnis des Standortwettbewerbs ist noch völlig offen. Noch sind fünf weitere ostdeutsche Städte im Rennen: und zwar Jena, Eisenach, Halle, Leipzig und Plauen - die letzten beiden bewerben sich übrigens gemeinsam. Am 14. Februar soll dann die Entscheidung fallen.
Sendung: Antenne Brandenburg, 24.01.2023, 14:10 Uhr
Beitrag von Fred Pilarski
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