Interview | Ärztin aus Oder-Spree im Erdbebengebiet
Seit etwa einer Woche ist Internistin Manuela Kutnick als Helferin im türkischen Erdbebengebiet. Im Interview mit rbb|24 berichtet sie, wie angespannt die Lage ist - und warum sie und ihr Team nur noch wenige Tage weitermachen können.
Etwa zwei Wochen nach den verheerenden Erdbeben ist die türkische Provinz Hatay am Montagabend erneut von schweren Erdstößen erschüttert worden. Die türkische Katastrophenschutzbehörde spricht von zwei Beben der Stärke 6,4 und 5,8.
Seit der vergangenen Woche im Erdbebengebiet ist Manuela Kutnick. Sie ist Internistin aus Sieversdorf (Oder-Spree) und Teil eines medizinischen Teams der internationalen Hilfsorganisation Humedica. Die freiwilligen Helfer leisten ihren Dienst in der Stadt Gaziantep, im Süden der Türkei, und betreuen ein Zelt-Camp mit mehreren hundert von der Katastrophe betroffener Menschen.
rbb|24: Frau Kutnick, es hat weitere Nachbeben gegeben. Inwieweit sind Sie davon betroffen?
Manuela Kutnick: Wir waren zu der Zeit in Gaziantep und haben Abendbrot gegessen. Das Nachbeben war in Hatay, etwa 195 Kilometer entfernt - also weit genug. Aber wir haben es deutlich gespürt und es war auch wirklich lang, im Vergleich zu den anderen Nachbeben, die wir so gefühlt haben. Unsere Sensitivität dafür ist mittlerweile ganz unterschiedlich. Ich habe hier eine Kollegin, die sogar die Nachbeben der Stufe 2 in 50 bis 60 Kilometer Entfernung wahrnimmt. Viele merken erst die Beben über 5. Beim Beben jetzt sind alle ganz sortiert auf die Straße gegangen und haben dort eine Weile gestanden. Es ist auch in Gaziantep selbst gar nicht passiert, aber war selbst hier sehr, sehr eindrücklich.
Sind denn Menschen zwischenzeitlich wieder in ihrer Häuser zurückgekehrt, oder haben sie das wegen der Gefahr durch Nachbeben eben nicht getan?
Es ist ganz unterschiedlich. Wir haben hier zum Beispiel die ganze Zeit mit einer tollen Übersetzerin zusammengearbeitet. Sie selbst ist Physik-Studentin und wir haben sie durch Zufall gefunden. Sie hat dann einfach ihre Hilfe angeboten, weil ihre Uni noch nicht offen ist. Wir haben sie jeden Tag abgeholt, aber sie hat nicht mehr im eigenen Wohnhaus gelebt, weil es zu stark zerstört war. Sie ist in das Gebäude des Großvaters umgezogen, da die bauliche Beschaffenheit deutlich besser war. Und gestern hat sie dann geschrieben, dass auch das Gebäude deutlich zerstört ist, sie abreisen muss und uns nicht weiter unterstützen kann, weil die gesamte Familie nach Istanbul geht. Ich glaube, so geht es vielen - selbst wenn die Leute sich schon sicherere Häuser gesucht haben.
Der Großvater einer anderen Übersetzerin hat uns heute Mittagessen vorbeigebracht, um Danke zu sagen. Er sagte, er habe die ganze Nacht in seinem Auto geschlafen. Wir selbst übernachten in einem Hotel. Das ist in Ordnung und hat noch keine sichtbaren Risse. Aber selbst hier 200 Kilometer weiter sieht man Häuser, die zu Staub zerfallen sind.
Wie ist die Stimmung in Gaziantep?
Die Angst ist deutlich zu spüren, auch bei den 5er Nachbeben. Wenn wir jeden Morgen an unserem Zelt ankommen, ist das erste Gesprächsthema auch mit den anderen Organisationen, wie die letzte Nacht war. Das bewegt uns alle.
Wie sehen die Menschen vor Ort ihre Perspektive? Worüber reden die Menschen? Wiederaufbau oder die Region verlassen?
Das ist ganz schwierig. Beim Durchgang durch das Camp sprechen wir mit vielen älteren Leuten, die eben auch sagen, dass sie alles verloren haben und in dem Alter sind, in dem man kein Geld mehr verdienen kann. Die wissen überhaupt nicht, wie es weitergehen soll. Da sprechen wir noch nicht mal von den Familienmitgliedern, die gestorben sind. Da ist kein Haus mehr und nichts mehr, was sie besitzen. Sie sind hier in dem Camp und haben noch gar keine Aussicht auf etwas anderes.
Sie sind jetzt seit einer Woche da. Wie konnten Sie vor Ort schon helfen?
Wir haben viele Medikamente dabei und bieten unser Know-how an. Eine Kollegin hat ein transportables Ultraschallgerät. Damit ist sie ein bisschen zu unserer Gynäkologin geworden. Viele der jungen Frauen sind schwanger und haben durch den ganzen Stress des Erdbebens wirklich Angst darum, dass die Schwangerschaft eben nicht mehr in Takt ist, haben ein paar Tage lang vielleicht keine Kindsbewegungen mehr gefühlt. Da konnten wir viel beruhigen und hatten viele gute Nachrichten. Einmal haben wir durch Zufall sogar das Geschlecht bestimmen können.
Abseits der Medikamente gegen Schmerzen, Bluthochdruck oder Magenbeschwerden macht es vielleicht ein bisschen Mut, dass da Leute sind, die nicht aus der Türkei kommen. Einfach zu sehen, dass Aufmerksamkeit da ist, dass die Menschen, das Drama und die Katastrophe wahrgenommen werden - ich glaube, dass ist tröstend.
Wie wird es für Sie weitergehen?
Leider hat sich am Montag ein bisschen was getan - das kommt direkt vom Gesundheitsministerium der Türkei. Wir werden am Freitag abreisen, aber es wird kein Folgeteam mehr geben, weil die Türkei sagt, dass sie eine Woche Zeit gehabt hätten, die Infrastruktur zu verbessern, dass sie Leute mobilisieren konnten und es alleine schaffen. Deswegen seien sie nicht mehr auf internationale Hilfe angewiesen, zumindest nicht in Form von medizinischen Einsatzteams, wie wir eines sind.
Vertrauen die Bürger darauf?
Das ist eine gute Frage. Es ist Anfang der Woche. Wir haben noch ein paar Tage und wollen nicht, dass die Menschen jetzt nicht mehr kommen. Wir werden das dann am letzten oder vorletzten Tag ein bisschen kommunizieren, gerade mit den Patienten, die öfter kommen. Ich glaube und weiß, sie haben sich mit uns sehr wohl gefühlt. Es gibt hier eine große Apotheke, die in einem Restaurant aufgebaut wurde. Da sind auch türkische Ärzte dabei, die wir ursprünglich ablösen sollten. Die haben keine richtige Pause bekommen, sind immer dageblieben und hatten dann halt weniger zu tun. Aber die Nerven liegen blank. Wir sind hier frei im Kopf und ohne persönliches Trauma angekommen und konnten die Leute mit einem Lächern aufmuntern. Für selbst Betroffene ist das schwierig.
Befürchten Sie, dass die Aufmerksamkeit für die Katastrophe in den kommenden Woche abnehmen wird?
Das ist ja leider immer mit allen Katastrophen so, wenn sie nicht mehr in den Medien sind. Dann gelangen sie in Vergessenheit. Die Türken sagen, sie können das schaffen und werden Container bereitstellen, sodass die Leute aus den Zelten ausziehen können. Dann wollen sie in Windeseile Gebäude bauen. Ich bin da sehr skeptisch. Dazu ist natürlich eine Menge Geld notwendig. Vielleicht gibt es auch Spenden-Organisationen dafür. Ich hoffe nur, dass die Unterstützung, die vielleicht auch international von anderen Ländern bereitgestellt wird, auch wirklich bei den einzelnen Leuten ankommt und auch sichere Häuser für die Zukunft gebaut werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Stefanie Fiedler für Antenne Brandenburg. Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Sendung: Antenne Brandenburg, 21.02.2023, 14.10 Uhr
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