Standort von "Zukunftszentrum"
Anderthalb Jahre lang arbeitete Frankfurt/Oder darauf hin, Standort des sogenannten Zukunftszentrums zu werden. Nach der Absage ist die Enttäuschung in der Stadt und im Land Brandenburg groß. Allerdings erhofft man sich auch einen Imagegewinn.
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch Halle (Saale) als Standort für das millionenschwere Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation bestätigt. Bereits am Vorabend hatte die Jury eine entsprechende Empfehlung abgegeben. Nach Angaben aus Frankfurt liegt die Oder-Stadt auf dem zweiten Platz und hatte sich zuletzt ein Rennen mit Halle geliefert. Beworben hatten sich außerdem Eisenach und Jena in Thüringen sowie das Duo Leipzig und Plauen in Sachsen.
Der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) beglückwünschte Halle für den Zuschlag. Zugleich hob er die Bewerbung von Frankfurt (Oder) hervor. Die Stadt habe sich mit einer "großartigen Kampagne" um das Zentrum beworben. Bereits der Bewerbungsprozess habe viel Energie und einen starken Zusammenhalt erzeugt. "Das ist schon ein Wert an sich. Und er wird nachwirken für die Entwicklung Frankfurts", zeigte sich Woidke überzeugt. Die Chancen dafür stünden gut, denn auch in Frankfurt nehme die wirtschaftliche Entwicklung deutlich Fahrt auf.
Auch die Landeskulturministerin Manja Schüle (SPD) sieht Frankfurt (Oder) nicht als Verliererin. "Halle hat gewonnen", teilte Schüle am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur mit. "Aber Frankfurt (Oder) hat nicht verloren." Schüle betonte: "Frankfurt hat durch die Bewerbung bundesweit enorm an Ansehen gewonnen. Auf diesem Imagegewinn können wir aufbauen."
Die im Prozess geweckte Begeisterung der Frankfurter für ihre Universität Viadrina werde bleiben und die neu geknüpften Netzwerke könnten weiter gepflegt werden, sagte Schüle. "Und auch ohne Zukunftszentrum brauchen wir die Brücke nach Osteuropa."
Schüle sagte, sie gratuliere der Gewinnerstadt, und räumte zugleich ein: "Als gebürtige Frankfurterin bin ich enttäuscht."
Nach Bekanntwerden der Jury-Entscheidung am Dienstagabend hatte sich der Frankfurter Oberbürgermeister René Wilke (Linke) in einem Facebook-Post enttäuscht gezeigt: "Nach anderthalb Jahren harter, gemeinsamer Arbeit und Herzblut von vielen Menschen schmerze die Entscheidung der Jury." Er betonte aber auch, man habe es ins Finale geschafft und das Bild der Stadt neu geprägt. "Wir haben auch für diesen Fall einen Plan, den wir jetzt weiterverfolgen werden." Die Stadt wolle nun auf der für das Zukunftszentrum vorgesehen Fläche an der Stadtbrücke nach Polen eine "angemessene" und "belebende" Bebauung finden. "Dazu werden wir in Kürze mit veränderten Ideen und Ansätzen in die öffentliche und politische Diskussion eintreten."
Enttäuscht zeigte sich auch Direktorin der deutsch-polnischen Forschungseinrichtung Collegium Polonicum, Agnieszka Brończyk. Sie mutmaßte über die Absage: "Vielleicht hat die Jury gesehen, dass Frankfurt ein so sichtbares Symbol für den europäischen Wandel ist, dass sie nicht wiederholen wollten, was bereits sichtbar war."
Der Linken-Ostbeauftragte Sören Pellmann kritisierte hingegen die Entscheidung für Halle als Standort. "Das ist eine Entscheidung, die neue Enttäuschungen produzieren wird", erklärte der Leipziger Bundestagsabgeordnete am Mittwoch. "Jetzt haben wir viele Verlierer." Statt nur eines Standorts bräuchte man ein Netz an Dependancen, um Bürgernähe herzustellen, schlug er vor. Halle sei für Menschen aus Frankfurt (Oder) oder Eisenach weit weg. "Jedes Bundesland sollte einen Standort des Zukunftszentrums erhalten", forderte Pellmann.
Der Brandenburger Bundestagsabgeordneten Christian Görke (Linke) äußerte ebenfalls seinen Unmut. Dem rbb teilte er schriftlich mit: "Dies ist eine für mich nicht nachvollziehbare Entscheidung, die mich traurig stimmt, denn was hier auf die Beine gestellt und geleistet wurde in der Bewerbungsphase ist beispielhaft. Auch ohne Zukunftszentrum ist die Doppelstadt eine Zukunftsstadt, die in den letzten Jahren eine beeindruckende Entwicklung genommen hat."
Halles Bürgermeister Egbert Geier (SPD) zeigte sich indes über die Wahl erfreut. Es handle sich bei dem Zukunftszentrum um "eine der größten Einzelinvestitionen in der Stadt seit der Wiedervereinigung". Geier sprach von einer "einmaligen Nachricht für unsere Stadt, die Region und das Land Sachsen-Anhalt".
Der Auswahlprozess des Standorts zog sich über Monate hin. Die Jury hatte alle Bewerberstädte besucht und die jeweiligen Konzepte kritisch hinterfragt. Dem Gremium gehörten unter anderen auch die frühere Stasi-Beauftragte Marianne Birthler, der ehemalige Bundesminister Thomas de Maizière und Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck an.
Als Begründung für das Urteil zugunsten Halles laut Jury-Vorsitzende Katrin Budde folgende Punkte den Ausschlag gegeben: eine hervorragende Erreichbarkeit als ICE-Knotenpunkt, vielfältige Entwicklungserfahrungen in Stadt und Region, eine vielfältige Wissenschaftslandschaft, zu der etwa auch die Nationalakademie Leopoldina gehört, ein herausragendes kulturelles Umfeld und ein lebendiger, leicht erreichbarer Standort für das neue Zentrum am Riebeckplatz. "Wir sind überzeugt, das Zentrum wird sich positiv auf die Region auswirken und auf die benachbarten Bundesländer Sachsen und Thüringen ausstrahlen."
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), sagte: "Mir ist wichtig, dass es nicht nur ein deutsch-deutsches Zentrum sein wird, sondern auch international einladend." Ziel sei auch, "überhaupt mal wieder Interesse zu wecken für die Fragen und Entwicklungen der deutschen Einheit". Der Bund gibt 200 Millionen Euro für den Bau des Zentrums und weitere 40 Millionen Euro jährlich für den Betrieb.
Im Gespräch für den Standort in Halle ist ein Gebäudekomplex am Verkehrsknotenpunkt Riebeckplatz mit einem 120 Meter hohen Turm. Für die konkrete Gestaltung des Zukunftszentrums hat die Stadt Bürgerbefragungen und eine Umfrage unter Jugendlichen durchgeführt. Laut Bund ist für das Zukunftszentrum ein Gebäude mit "herausgehobener moderner Architektur" geplant. Nach einem Architekturwettbewerb soll 2026 mit dem Bau begonnen werden. Die Inbetriebnahme ist für 2028 geplant. Der Vorschlag stammt von der Kommission "30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit" im Jubiläumsjahr 2020.
Sendung: Antenne Brandenburg, 15.02.2023, 06:30 Uhr
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