Interview | Biologe Pierre Ibisch
Vier von fünf Bäumen in deutschen Wäldern sind krank - so steht es im aktuellen Waldzustandsbericht. Wie ist die Situation in Brandenburg? Fragen an den Biologen Pierre Ibisch von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.
Einem Großteil der Bäume in deutschen Wäldern geht es schlecht. Das geht aus dem neuen sogenannten Waldzustandsbericht hervor, den Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Dienstag veröffentlicht hat [tagesschau.de]. Demnach sind in Deutschland vier von fünf Bäumen erkrankt. Auch der Regen im Herbst und Winter habe die Situation der Böden nicht verbessert. Darüber hat rbb|24 mit Pierre Ibisch, Professor für Naturschutz an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (Barnim), gesprochen.
rbb|24: Herr Ibisch, laut Bericht gelten nur 21 Prozent der Bäume als gesund. Das klingt besorgniserregend.
Pierre Ibisch: Das ist sicherlich auch besorgniserregend. Vielleicht können wir uns am Tag des Waldes erlauben, darauf hinzuweisen, dass Bäume zwar wesentliche Struktur-Bilder des Waldökosystems sind, aber nicht den gesamten Wald repräsentieren.
Wenn wir auch noch auf andere Arten schauen würden, zum Beispiel das Ökosystem Boden oder viele Funktionen und Prozesse, die es eigentlich geben müsste, dann würden wir feststellen: Der Zustand ist eigentlich noch schlechter. Da werden im Rahmen dieses Zustandsberichtes viele Parameter gar nicht erhoben. Tatsächlich werden einzelne Bäume angeschaut, und da ist die Lage ernst. Aber wenn man auch noch andere Methoden zur Hilfe nimmt, wie etwa Fernerkundung mit Satellitenbildern, dann erkennt man in der Tat, wie die Vitalität - also die Lebenstüchtigkeit der Vegetation - abnimmt.
Zudem wird es ja wärmer und trockener. In Brandenburg sowieso. Was bedeutet das für den Wald?
Das ist ein Problem, welches sich sehr langfristig aufbaut. Wir können jetzt gerade sehr glücklich sein. Es hat ein bisschen mehr geregnet. Der Oberboden ist ein bisschen feuchter. Das hilft sicherlich jetzt im Frühjahr.
Aber tiefgründig ist der Boden in Brandenburg immer noch sehr stark ausgetrocknet. Und das wäre auch Teil dieses Ökosystem-Problems. Der Boden ist durch die forstliche Nutzung auch verändert. Es sind bei uns Sandböden in großem Ausmaß, und das Wasser wird vor allem im Oberboden gespeichert. Dafür muss sich eigentlich Humus aufbauen, der das Wasser zurückhält. Der ist jedoch in weiten Teilen vernichtet. Wir haben eine starke Befahrung der Wälder. Wir haben eine Zerschneidung durch Wege, Rückegassen (unbefestigte Wege zum Transport gefällter Bäume, Anmerk. d. Red.) und schlimmer noch: Wir haben sogar Drainagegräben im trockenen Brandenburg. Ich sah das erst vor Kurzem wieder, als der letzte Schnee taute. Da sprudelt das Wasser durch diese Gräben aus dem Wald heraus, obwohl es uns da in wenigen Wochen fehlen wird. Da gibt es sicherlich viel Bedarf des Managements im Wald, der über das, was wir mit den Bäumen anstellen, hinausgeht.
Eine fast immer genannte Lösung sind da Mischwälder. Da würde das Laub dann auch den Humus produzieren. Wie kann man denn private Waldbesitzer davon überzeugen, die anzulegen, wo doch zum Beispiel Kiefer und Fichte viel schneller Holz liefern?
Das ist in der Vergangenheit so gewesen. Ich rate dazu, sich jetzt aufmerksam in der Landschaft umzuschauen. Wir sehen ja das Zusammenbrechen von Nadelbaum-Plantagen in den Mittelgebirgen in Deutschland. Die Fichte stirbt weiträumig ab. Da gibt es nun Hinweise, dass das mit der Kiefer durchaus auch passieren könnte. Wir haben bereits flächiges Zusammenbrechen von Beständen. Die Kiefer wird Probleme mit der immer größeren Hitze bekommen - das ist gar nicht nur die Trockenheit. Und dann wird das ganz schnell auch eine ökonomische Frage, dass man von diesem Nadelbaum-Holz wegkommt, welches die Forstwirtschaft sicherlich nicht in die Zukunft tragen wird.
Die Bundesregierung will ja 900 Millionen Euro für den Waldumbau zur Verfügung stellen [www.bmel.de]. Reicht das denn?
Das ist erstmal ein schöner Anfang, aber sicherlich viel zu wenig, um wirklich jetzt ein Drittel der Landesfläche anders zu bewirtschaften - um die es ja letztendlich im Moment geht. Das ist glaube ich auch der aktuellen Bundesregierung klar. Es werden weitere Mittel hinzukommen. Es gibt ein Aktionsprogramm zum natürlichen Klimaschutz. Da wird einiges passieren müssen.
Wichtig ist natürlich nicht nur das Geld an sich, sondern auch was man damit tut. Da müssen wir aufpassen, dass nicht dann, wie es schon im Moment passiert, eine intensivere Befahrung passiert: eine Pflanzung von Bäumen, die vermeintliche Wunder- und Zukunftsbäume sind. Die dann aber in einigen Jahren wieder schlappmachen.
Wir müssen wirklich auf die Funktion des Ökosystems achten. Da gibt es in der Förderrichtlinie eine gute Richtung des Bundes. Dass etwa mehr auf den Boden, Totholz und solche Dinge geachtet werden soll. Das muss aber sehr konsequent umgesetzt werden. Ich habe aber auch Zweifel, dass das ordentlich überwacht werden kann. Insofern brauchen wir da nochmal einen anderen Ansatz, letztlich auch in der Honorierung von Waldbesitzer:innen, die sich mühen, den Wald vital zu halten. Die es jetzt auch in der Waldkrise schaffen, dass der Wald weiter wächst, kühl bleibt, die Landschaft runterkühlt, das Wasser speichert. Das sind am Ende ganz wichtige Leistungen, die wir in wenigen Jahren noch mehr Wert schätzen als die Holzproduktion.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Das Interview führte Dörthe Nath für rbb24 Inforadio
Sendung: Antenne Brandenburg, 21.03.2023, 15:10 Uhr
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