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Audio: Antenne Brandenburg | 22.05.2023 | Torsten Glauche | Quelle: imago images/L. Steiner

Oder-Marsch bis 3. Juni

Fluss Oder soll nach dem Willen von Umweltschützern juristische Person werden

Die Organisatoren von "Osoba Odra" werben für einen besseren Schutz der Oder. Den soll der Grenzfluss als juristische Person bekommen. Vorbild sind andere Länder, in denen Flüsse und andere Naturgebiete bereits "Personen" sind.

Die Oder soll eine juristische Person werden. Das fordert eine Gruppe von polnischen Umweltschützern, die seit über einem Monat den Grenzfluss entlangläuft und auf ihrem "Marsz dla Odry" (dt. "Marsch für die Oder", Anm. d. Red.) am Montag in Słubice Halt machte.

Mit der Aktion wollen die Initiatoren von "Osoba Odra" (dt. "Person Oder", Anm. d. Red.) auf den schlechten Zustand des Flusses aufmerksam machen und für eine saubere Oder kämpfen. Sie hoffen, dass durch eine Aufwertung als juristische Person der Schutz des Flusses besser gewährleistet werden kann.

Auch deutsche Wissenschaftler der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) haben den Marsch begleitet. Mit einem Ruderboot sind sie am Montag auf die Oder hinausgefahren und wollten damit ihre Unterstützung demonstrieren, wie Teilnehmer dem rbb vor Ort berichteten.

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Schützenswertes Rechtsobjekt

"Ein Rechtsobjekt zu sein bedeutet, einen Wert zu haben, der geschützt werden kann, indem man zum Beispiel in seinem Namen vor Gericht tritt", sagt Kultursoziologin Estela Schindel von der Viadrina. Dies sei vergleichbar mit anderen Rechtsformen, bei denen es sich ebenfalls nicht um Personen im wörtlichen Sinne handelt: "Firmen, Vereine, auch eine Universität wie unsere oder eine Stiftung sind juristische Personen und bekommen dadurch einen gewissen Schutz." Denn durch diesen Rechtsstatus könnte sich auch eine Kommission oder ein Gremium aus "zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen oder politischen Akteuren" zusammensetzen und für die Oder sprechen, so Schindel weiter.

Also warum nicht auch die Oder als juristische Person behandeln? Dadurch könnten bestimmte Ausbeutungs- und Zerstörungspraktiken unterbunden werden, sagt auch Matthias Schloßberger, Professor für Sozialphilosophie an der Viadrina: "Wenn wir die Würde anerkennen, dann müssen wir auch auf eine ganz bestimmte Weise handeln. Das hat dann auch juristische Konsequenzen, weil dann zum Beispiel die Zerstörung nicht einfach wie bei einer Sache durch irgendeine Kompensation, durch irgendeine Zahlung, durch irgendeine Wiedergutmachung aufgehoben werden kann."

"Der Fluss selbst hat kein Stimmrecht"

Eine Forderung, die auch unter den Studierenden Unterstützung findet. Konkret werde das Problem derzeit bei den Ausbaumaßnahmen auf polnischer Seite sichtbar, meint Studentin Helen Lessing: "Der Fluss ist ein Grenzfluss – die eine Seite will das so, die andere so. Und der Fluss selber hat halt kein Stimmrecht", sagt sie. Hätte der Fluss aber als eine juristische Person eigene Rechte und gebe es Guardians (dt. "Wächter", Anm. d. Red.) - in Form des angesprochenen Gremiums beziehungsweise der angesprochenen Kommission - dann "könnte der Fluss entscheiden, was der Fluss braucht", so Lessing weiter. Das sei aber nur der Anfang eines Gedankenexperiments, was ihrer Meinung nach irgendwann aber auch konkret werden könnte.

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International nicht unüblich

Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass Flüsse, Lebensräume und andere Naturgebiete bereits als juristische Personen behandelt werden. So zum Beispiel in Neuseeland, wo 2017 der sogenannte Whanganui River zusammen mit den umliegenden Gebieten den Status einer juristischen Person erhalten hatte. Zuvor hatte Neuseeland bereites den Te-Urewera-Nationalpark als solche anerkannt und ist damit in eine internationale Vorreiterrolle geschlüpft.

Seitdem seien weitere Flüsse unter anderem in Kanada, Kolumbien und Indien als Rechtssubjekte deklariert worden, berichtet auch Sozialphilosophie-Professor Schloßberger. Das hätte "weitreichende, positive Einflüsse auf den Umweltschutz", sagt er. Und dafür seien auch die Unterstützer von "Marsz dla Odry" unterwegs, berichtet Mit-Initiator Gawel Adrzejewski, der viel Zulauf für den Marsch wahrgenommen habe. "Es kommen Organisationen, Vereine, Privatpersonen und manchmal sogar Schulen aus der Region, die von dem Odermarsch erfahren haben", sagt er.

13.000 unterzeichnen Petition

Mittlerweile haben sich darüber hinaus mehr als 13.000 Personen (Stand Montag) einer Petition angeschlossen, die die Anerkennung der Oder als juristische Person fordert. Darin heißt es, dass die Ausbeutung der Oder seit Jahrzehnten andauere. "Der zweitgrößte Fluss Polens wird von Industriebetrieben, Unternehmen und Institutionen systematisch getötet und als Abwasser behandelt, nicht als lebender Organismus, was er ist", schreiben die Organisatoren. Das sei nicht zuletzt mit dem Fischsterben im Sommer vergangenen Jahres offensichtlich geworden. "Damit der Fluss überleben kann, braucht er rechtlichen Schutz", heißt es in der Petition weiter. Und dafür wiederum weitere Unterstützung.

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Noch bis zum 3. Juni soll der "Marsz dla Odry" fortgesetzt werden. Auf insgesamt 44 Tagesetappen wollen die Teilnehmer die 956 Kilometer von der Quelle im Nordosten Tschechiens bis zum Ziel in Stepnica am Stettiner Haff zurücklegen und für ihre Sache werben.

Bereits am Mittwoch wird das Thema auch noch einmal in der Viadrina in Frankfurt (Oder) auf der Tagesordnung stehen. Dann wollen Wissenschaftler noch einmal verstärkt den rechtlichen Status der Oder besprechen und den Fluss in ein internationales Naturschutz-Programm aufnehmen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 22.05.2023, 14:10 Uhr

Mit Material von Dilan Polat und Philip Barnstorf

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