Interview | Queere Aktivistin aus Polen
Am Samstag findet die deutsch-polnische Pride-Demo für mehr Sichtbarkeit der queeren Community in Frankfurt (Oder) und Slubice statt. Die Studentin Marta Hewczuk aus Słubice organisiert die Parade schon zum dritten Mal mit.
2020 wurde die deutsch-polnische Pride in Słubice und Frankfurt (Oder) zum ersten Mal organisiert. Bei der diesjährigen vierten Ausgabe unter dem Motto "Embrace Humanity" (Umarmung der Menschlichkeit ) wollen die Demonstrierenden auf die zum Teil schwierige Situation für queere Menschen in Deutschland und Polen aufmerksam machen.
Mitorganisatorin ist die queere Aktivistin Marta Hewczuk aus Słubice. Sie studiert polnisches und deutsches Recht an der Europa-Universität Viadrina und am Collegium Polonicum. Im Interview mit rbb|24 spricht die 25-Jährige über die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, queeren Menschen, Intersexuellen und weiteren sexuellen Geschlechtsidentitäten (LGBTQI+), ihre Erwartungen an die Politik und Wünsche für die Zukunft.
rbb|24: Frau Hewczuk, Sie organisieren die Pride-Demo in diesem Jahr schon zum dritten Mal. Wie sind Sie dazu gekommen?
Marta Hewczuk: Ich habe schon an der ersten Pride 2020 teilgenommen und fand es sehr schön und wichtig, dass die Veranstaltung organisiert wird. Damals gab es rund 800 bis 1000 Teilnehmende. Die Pride war sehr bunt, die Stimmmung war super und die Reden sehr wichtig und inspirierend. Ich konnte an diesem Tag zu 100 Prozent ich selbst sein. Und das in einer Stadt, in der es zwar queere Menschen gibt, die aber nicht jeden Tag so sichtbar sind.
Damals habe ich jemanden aus dem Organisationsteam kennengelernt, der zu mir sagte: "Wir organisieren die Pride noch ein zweites Mal, möchtest du dabei helfen?" Ich habe dann "Ja" gesagt, da ich gerne solche Sachen unterstütze, weil es für mich besonders wichtig war und ist, für queere Menschen aktiv zu werden.
Gab es Gegenproteste?
Ja. Ich erinnere mich auch noch daran, dass es eine Gegendemonstration auf der polnischen Seite gab. Jedoch war es nicht zu einem direkten Konflikt oder zu direkten Auseinandersetzungen gekommen.
Die Pride-Parade wird als deutsch-polnische Demonstration organisiert. Warum ist es Ihnen so wichtig, das als transnationales Projekt zu veranstalten?
Unsere Doppelstadt aus Słubice und Frankfurt ist sehr eng miteinander verbunden und das schon seit vielen Jahren. Es gibt sehr viel, was diese beiden Städte verbindet. Ich finde es auch sehr schön, dass wir die Pride zusammen machen, obwohl das Organisationsteam und auch die Teilnehmenden aus zwei ganz verschiedenen Ländern kommen.
Wenn wir mit den Vorbereitungen beginnen, besprechen wir die Themen, die wir auf der Pride ansprechen wollen. Dabei werden die polnischen Themen von den polnischen Mitwirkenden in unserer Organisationsgruppe und die deutschen von den deutschen bearbeitet. Und es gibt meistens auch Themen, die uns verbinden. Ich denke, im Endeffekt funktioniert es.
In diesem Jahr steht die Demo unter dem Motto "Embrace Humanity" (Umarmung der Menschlichkeit". Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen?
Wir wollen zeigen, dass es wichtig ist, sich auf das Menschliche in uns zu fokussieren und darauf hinzuweisen, dass wir trotz unserer Unterschiede alle gleich sind. Das soll aber nicht heißen, dass diese Unterschiede, die wir ebenfalls alle haben, nicht schön sind.
Polen gilt euroapaweit als queerfeindlich. Diskriminierung gehört für viele LGBTQI+ zum Alltag. Wie sicher fühlen Sie sich in ihrer Heimat? Wurden Sie schon einmal angefeindet?
Das ist immer anders. Wenn man sich quasi "normal" kleidet, ist alles ok, wenn man sich etwas schicker und stereotypisch "queer" anziehen möchte, spürt man schon die Blicke von anderen. Als ich einmal mit meiner Ex-Freundin Hand in Hand durch Słubice gegangen bin, hatte uns ein Mann angeschrien und uns mit seinem Hund gedroht. Das kann passieren. Aber ich möchte zeigen, wer ich bin. Ich könnte auch nicht anders leben, weil es für mich wichtig ist, ich selbst zu sein. Ich denke auch, dass die Sichtbarkeit wichtig für uns alle als Community ist.
In den vergangenen Jahren sind immer mehr so genannte LGBT-freie Zonen in Polen entstanden, vor allem im Südosten des Landes. Drohen Ihnen dort Strafen, wenn Sie beispielsweise mit einer Frau Hand in Hand in der Öffentlichkeit spazieren gehen würden?
Nein, offiziell gibt es keine Strafen. Aber es zeigt schon, dass Menschen der LGBTQI+-Community dort nicht willkommen sind. Sie könnten dort auch beleidigt und möglicherweise auch angegriffen werden. Auch meine Freunde und ich würden uns dort nicht sicher fühlen. Und das in unserem Heimatland. Das betrifft insbesondere den Osten Polens. Ich kann mir vorstellen, dass es für die queeren Menschen, die dort wohnen, sehr schmerzhaft ist, dass diese Zonen eingeführt wurden. Daher wundert es mich nicht, dass die Leute auswandern.
Die polnische und deutsche Polizei sichern die Pride-Parade am Samstag. Gibt es denn auch politische Unterstützung?
Also die Schirmherrschaft für die Pride hat die Marschallin (Elżbieta Polak, Anm. d. Red.) übernommen. Das ist schon etwas Besonderes und bedeutet viel Prestige und Anerkennung. Wir haben auch den Bürgermeister von Słubice (Mariusz Olejniczak, Anm. d. Red.) eingeladen, aber er wird mit Sicherheit nicht kommen. Das ist auch keine Überraschung für uns. Wir hatten ihn einmal bei einem Treffen mit Herrn Wilke (René Wilke, Bürgermeister von Frankfurt (Oder), Anm. d. Red.) gefragt, ob es nicht möglich wäre, Słubice als LGBT-freundliche Stadt zu bezeichnen – in Abgrenzung zu den LGBT-freien Zonen. Er hat abgelehnt. Es sieht so aus, als wäre eben diese Kleinigkeit schon zu viel.
Würden Sie denn sagen, dass Słubice generell eine queer-freundliche Stadt ist?
Es ist sehr unterschiedlich, da es wirklich sehr verschiedene Menschen hier gibt. Ich bin noch in einer anderen queeren Gruppe, der "Queer nad Odra" (dt.: "Queer an der Oder", Anm. d. Red.). Wir organisieren verschiedene Veranstaltungen in Słubice und erhalten dafür auch Unterstützung. Es gibt Menschen, die sehr freundlich sind und uns gerne helfen. Aber 100 Prozent LGBT-freundlich ist diese Stadt auch nicht.
Was könnten die Ursachen sein für Queer- und Transfeindlichkeit in Polen?
An erster Stelle stehen dort die Politiker:innen, die sich queerfeindlich äußern. Zum Beispiel hatte unser Präsident (Andrzej Duda, Anm. d. Red.) gesagt, dass wir eine Ideologie sind. Wenn wir als solche bezeichnet werden, sind wir dadurch keine Menschen, sondern nur noch eine Idee. Hinzu kommt, dass auch in höheren Kirchenkreisen noch sehr viele homo- und transfeindlich sind. Aber es gibt mittlerweile auch Kirchen, die sagen, dass es völlig ok und normal ist eine LGBTQI+Person zu sein. Das ist bislang aber nur eine Minderheit.
Am 15. Oktober wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Welche Hoffnungen stecken Sie in die Wahl?
Wir wünschen uns vor allem eine hohe Wahlbeteiligung. Ich denke, dann könnte Polen nicht nur für uns als queere Community, sondern für alle anderen Menschen, die in Polen leben und für andere Minderheiten ein freundlicheres Land werden. Schritt für Schritt könnte sich dann einiges verbessern. Für uns als queere Community wünsche ich mir, dass Menschen mit demselben Geschlecht heiraten können, dass sie ganz normal ein Kind adoptieren können. Persönlich weiß ich zwar nicht, ob ich Kinder haben möchte. Aber die Möglichkeit wäre schon schön. Ich denke, das sind Menschenrechte, und ich finde es nicht normal, dass wir diese nicht haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview für rbb|24 führte Felicitas Montag. Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Version.
Sendung: Antenne Brandenburg, 02.09.2023, 14:30 Uhr
Beitrag von Felicitas Montag
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