Interview | Polizeigewerkschaftler Lars Wendland
Seit einer Woche gibt es an der polnischen Grenze stationäre Grenzkontrollen. Der Polizeigewerkschaftler Lars Wendland hält das für einen Fehler. Die Bundespolizei sei bereits über dem Limit - und Brandenburg bekomme dadurch mehr Probleme.
Die stationären Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze laufen seit bereits einer Woche – testweise bis Mittwoch, doch mit einer Verlängerung um mindestens zwei Monate wird gerechnet. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hatte das seit Monaten gefordert, Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD) gab erst vor Kurzem grünes Licht.
Lars Wendland ist Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für die Bundespolizei in Berlin-Brandenburg und kritisiert die Einführung von stationären Grenzkontrollen, da aus seiner Sicht damit Ressourcen verschwendet werden. Wendland ist zudem SPD-Mitglied und hat sich in der Vergangenheit für Geflüchtete in seinem Wohnort Brieskow-Finkenheerd eingesetzt.
rbb|24: Herr Wendland. Sie und Ihre Gewerkschaft fordern bei jeder Gelegenheit immer mehr Personal und Material. Als Gewerkschafter können Sie nicht anderes sagen, oder?
Lars Wendland: Wenn die Politik unbedingt will, dass wir mehrere Aufgaben machen, dann muss sie auch dafür sorgen, dass Geld, Personal und Material zur Verfügung stehen, um die Aufgaben zu machen. Nun wird hier an die Ostgrenze mehr Personal benötigt. Doch dieses Personal wird woanders fehlen: Leute, die wir normalerweise in Flughäfen, Bahnhöfen oder sonst auf der Straße haben, sind jetzt im Grenzeinsatz.
Ein anderes Beispiel: Es liegen weit über tausend Handys von Schleusern vor, die bearbeitet werden müssen. Dafür fehlen uns aber Ermittler und Auswerter. Seit Jahren wurde von der GdP mehr Personal gefordert, das Bundespolizeipräsidium hat das aber nicht umgesetzt.
Es heißt immer wieder, wegen Personalmangel sei die Bundespolizei fast am Limit. Stimmt das?
Nein, wir sind über dem Limit. Bei den Grenzkontrollen haben wir schon Personal von überall aus Deutschland. Und ich behaupte, wir halten das nicht allzu lange durch.
2007 hat man sich über die offene Grenze nach Polen gefreut. Wie ist es jetzt?
Die Grenzöffnung ist ein positiver Effekt, den wir in Europa haben. Das ist nun anders, wir werden die Staus an der Grenze wieder erleben. Leider gibt es Leute, die sagen, es nicht ganz so schlimm. Ich bin gegen stationäre Kontrollen. Es war eine Errungenschaft, diese Kontrollen 16 Jahre nicht zu haben.
Momentan geht es um einen Zehn-Tage-Versuch. Danach wird man entscheiden, ob es so weiter geht. Die Kontrollen werden vermutlich verlängert, oder?
Wir wissen, dass die Verlängerung der Kontrollen an der Grenze zu Österreich schon beantragt worden ist, um weitere sechs Monate bis Mai 2024. Wir wissen auch, dass wir eine Europameisterschaft nächstes Jahr bekommen, bei der sowieso schon angekündigt war, dass wir vermutlich Grenzkontrollen rund um die Bundesrepublik haben. Und ich bin fest davon überzeugt, dass man versuchen wird, diese stationären Grenzkontrollen weiterzuziehen.
Aus Sicht der GdP ist es nicht durchhaltbar. Wir werden das personell nicht stemmen können. Vielleicht bräuchten wir nicht nur ein 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr, für die äußere Sicherheit, sondern auch ein 100-Milliarden-Paket für die innere Sicherheit in Deutschland.
Warum bevorzugen Sie flexible Grenzkontrollen?
Bei einer stationären Grenzkontrolle brauche ich an einem Grenzübergang ein Drei-Schicht-System mit etwa 15 bis 20 Leuten. Dieses Personal würde man einsparen, wenn man mit Tarnungs-Fahrzeugen oder mit Fahrzeugen hinfahren und an verschiedenen Orten kontrollieren würde.
Die stationären Grenzkontrollen bringen aus Sicht meiner Gewerkschaft wenig, da wir jeden aufnehmen müssen, der hier hinkommt und ein Schutzersuchen stellt – und das sind etwa 90 bis 95 Prozent der aufgegriffenen Menschen. Wir kommen nach europäischem Recht gar nicht drumherum.
Ein weiteres Problem: Bisher haben sich die Migranten in ganz Deutschland gemeldet und wurden überall aufgenommen oder sie sind weiter in andere Bundesländer oder in andere europäische Länder gereist. Aber ab jetzt werden wir jeden in Brandenburg aufnehmen müssen, der an einer Kontrolle aufgegriffen wird.
Man hat eigentlich mit den stationären Grenzkontrollen bezwecken wollen, dass die Zahl der Aufgegriffenen niedriger wird. Doch es klingt bei Ihnen, als müssen jetzt mehr Fälle in Brandenburg bearbeitet werden.
Es sind mehr Fälle, die wir nun bearbeiten müssen. Neben denjenigen, die an den Grenzkontrollen vorbeigehen, kommen nun diejenigen dazu, die wir an den Autobahnen und an den anderen Straßenverkehrswegen aufnehmen. Dass durch diese Kontrollen weniger Migranten nach Deutschland kommen, das ist ein Trugschluss.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen? Oft wird gesagt, dass Polen die Menschen, die über Belarus kommen, einfach durchlässt. Stimmt das aus Ihrer Sicht?
Ich kann Ihnen sagen, dass die Kontakte und die Arbeit mit dem polnischen Grenzschutz sehr gut laufen. Wir haben ein deutsch-polnisches Zentrum neben Frankfurt (Oder) im polnischen Swiecko. Und da arbeiten die Kolleginnen und Kollegen Tag und Nacht miteinander. Wir haben auch gemeinsame Streifen auf polnischer Seite.
Soweit ich weiß, gibt es in Polen auch Aufnahmeeinrichtungen. Da werden die Menschen hingebracht. Ob viele Menschen einfach in Richtung Deutschland durchlaufen? Das kann ich nicht behaupten, das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen: Wir haben Aufgriffe hier und dabei ist es selten, dass jemand in Polen registriert war.
Teile der Politik fordern, dass die aufgegriffenen Menschen zurückgeschoben werden. Ist das möglich?
Wenn das Verfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgeschlossen ist, steht fest, ob jemand Asyl bekommt oder nicht. Nach dem Prozess hat man die Möglichkeit, jemanden abzuschieben. Stellt jemand aber ein Schutzersuchen und wird an das BAMF weitergeleitet, dann haben wir als Bundespolizei keine Möglichkeit, ihn oder sie zurückzuweisen.
Wer wird aktuell an der Grenze gleich zurückgewiesen?
Wer in Deutschland eine nationale Einreisesperre hat, muss abgewiesen werden. Wir gehen davon aus, dass nicht mehr als fünf Prozent von den Aufgegriffenen wieder zurückgewiesen werden können. Allgemeine Zurückweisungen sind an Binnengrenzen rechtlich gesehen gar nicht möglich - also das, was die Innenminister immer erzählen. Dass wir damit die Migrationszahlen in Deutschland senken können, wie derzeit überall propagiert wird, ist eine Fehlinformation.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wendland!
Stefan Kunze führte das Gespräch. Bei diesem Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung des Interviews mit Herrn Wendland.
Sendung: Antenne Brandenburg, 23.10.2023, 15:40 Uhr
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