Das Unternehmen Neutrino
Ein Brandenburger verspricht, mit seinem Unternehmen "Neutrino" Strom aus unsichtbaren Elementarteilchen von der Sonne zu gewinnen. Das funktioniert nicht, sagen Wissenschaftler, doch Geld verdient er damit trotzdem. Von Julian von Bülow und Philip Barnstorf
Mit der Tesla-Ansiedlung kam nach Ost-Brandenburg Aufbruchstimmung. In den Sog der Euphorie möchte auch das 2014 gegründete Unternehmen Neutrino, mit dem Konzept des sogenannten Pi-Autos. Das soll angeblich seinen eigenen Strom generieren und würde so sogar die Teslas von Elon Musk in den Schatten stellen. Der Mann hinter der vermeintlich bahnbrechenden Technologie ist Holger Thorsten Schubart.
Ende November 2021 verkündet Schubart, eine Produktionshalle in Frankfurt (Oder) gekauft zu haben. 500 Millionen Euro wolle er dort in ein Forschungs- und Entwicklungszentrum seines Unternehmens Neutrino investieren. Dort will man sich Neutrinos zu Nutze machen, die die Sonne ausstrahlt – winzige Elementarteilchen, die äußerst selten mit Materie wechselwirken. Schubart will vor einigen Jahren eine Folie aus Kohlenstoff erfunden haben, die es möglich macht, vom Handy bis zum Auto jeden Gegenstand kabellos mit Strom zu versorgen – so die Behauptung.
Es ist die Geschichte eines Beelitzer (Potsdam-Mittelmark) Unternehmers, der bis heute große Versprechungen macht, sie nicht einzuhalten scheint und dafür noch Geld bekommt – zum Beispiel das von Olga Zerenkov.
Schon vor rund dreizehn Jahren trifft Zerenkov Schubart in der Lobby des Adlons in Berlin. Er sei einer der wichtigsten Geschäftsmänner der Stadt, fast unantastbar, sagt eine Freundin zu ihr, und nun sitzt er hier in der Lobby des Adlon. Überdurchschnittlich gut angezogen, fast unpassend: Große Uhr, Edelsteinringe, schicker Anzug und stets leichtes Desinteresse am Geschehen. Seinen Zeitdruck macht er zum Zeitdruck der anderen.
Eingeschüchtert sei sie gewesen: "Ich hab’ nur fünf Minuten, vor jemandem zu sprechen, der so wichtig ist!" So schildert die ehemalige Geschäftspartnerin Olga Zerenkov ihr erstes Treffen mit Schubart. Später überreicht sie ihm Briefumschläge mit 80.000 Euro in bar.
Ehemalige Geschäftspartner, erzählen dem rbb, wie charismatisch, fast hypnotisch Schubart wirken konnte. Das Gespräch mit dem rbb stützt diese Eindrücke: Er spricht schnell, ist höflich, von seiner Sache überzeugt und hat immer einen Vergleich parat, um seine Sache verständlicher machen zu wollen. Heute sind viele seiner ehemaligen Kollegen aber nicht mehr gut auf Schubart zu sprechen.
Mit seiner Art gewinnt der Neutrino-Chef zunächst auch das Vertrauen von Olga Zerenkov. Sie bringt Expertise und Kontakte nach Russland mit und investiert in Schubarts Unternehmungen. Der macht die Gesundheitsökonomin zur Prokuristin von Neutrino. Doch mit der Zeit wird sie skeptisch: "Er hat uns ständig irgendwas erzählt, was für mich komisch klang. Ich habe Volkswirtschaft studiert und mir schien das absolut unlogisch. Ich habe dann langsam erkannt: Der kann nichts", sagt Zerenkov heute. Sie bricht den Kontakt zu Schubart 2015 ab. Ihr Investment von 80.000 Euro erwies sich für sie nach eigenen Angaben als Fehler.
Wie Schubarts große Vision macht auch die Neutrino-Aktie etwas her, schließlich steht auf ihr, die US-Amerikanische Schwestergesellschaft Neutrino Inc. könne Aktien im Nennwert von 10 Milliarden US-Dollar vergeben. Das bedeutet aber nicht, dass das Unternehmen annähernd so viel wert ist. Da es nicht börsennotiert ist, existiert kein Kurs für die Aktie. Schubart bekommt nur dann viel Geld für Unternehmensanteile, wenn er Menschen überzeugt, dass die Aktien das Geld wert seien.
Dem rbb vorliegende Kontoauszüge von Neutrino zeigen, dass allein von April 2017 bis März 2018 mindestens 290.000 Euro von Kleininvestoren mit dem Überweisungszweck "Aktienkauf" bei Schubart eingingen. Möglicherweise ist die Summe deutlich höher, da auch Aktienkäufe ohne diesen Überweisungszweck möglich, aber eben nicht als solche identifizierbar sind.
Eine Strategie Schubarts scheint, Prominente im Umfeld von Neutrino zu platzieren. Er lässt sich häufig mit ihnen ablichten, etwa Michail Gorbatschow, Martin Schulz, Vitali Klitschko, Gesine Schwan, Astronaut Matthias Maurer oder Prinz Albert von Monaco. Auf der Webseite von Neutrino wird etwa Greta Thunberg als Ehrenmitglied im wissenschaftlichen Beirat geführt.
Thunbergs Management erklärt auf rbb-Anfrage allerdings: "Die Ehrenmitgliedschaft ist nichts, was Greta akzeptiert oder genehmigt hat." Damit konfrontiert sagt Schubart im rbb-Gespräch: "Wenn Greta Thunberg sagt: 'Sind Sie denn verrückt geworden? Das wollte ich, das will ich nicht", dann kriege ich meine Abmahnung. Aber die Greta hat das nicht getan." Angesprochen darauf, dass es ungewöhnlich sei, den Namen von Prominenten ungefragt in die eigenen Gremienlisten zu schreiben und zu warten, bis diese sich beschweren, beteuert Schubart: Thunberg sei ein Einzelfall.
Zwischenzeitlich stand der Name des weltberühmten Physikprofessors Stephen Hawking in der Mitgliederliste von Neutrinos wissenschaftlichem Beirat. Den habe man allerdings entfernt, da er verstorben sei, sagt Schubart.
In einem anderen Fall drückt Schubart auf einem Foto die Hand von Arthur McDonald, der 2015 den Physik-Nobelpreis für seine Forschung an Neutrinos erhielt. Schubart verwendete das Foto für Pressemitteilungen seines Unternehmens, was gegen den Willen des Forschers geschah, wie "Der Spiegel" berichtete [www.spiegel.de].
Schubart macht sich mit alldem wenig Freunde: Zerenkov hat den Beelitzer angezeigt und ist damit nicht allein. Mehrere Verfahren laufen gegen den Neutrino-Chef in Berlin und Potsdam. Bis jetzt wurde er allerdings noch nicht belangt.
Schubart sagte dem rbb gegenüber, die Vorwürfe seien haltlos. Zuvor hatte er bereits erklärt: "So startet es. Sie werden attackiert und denunziert. Irgendwann werden Sie aber hofiert und zum Schluss werden sie finanziert. Und das ist doch mit allen großen Innovationen passiert." Wenn jemand aus der Anfangszeit mit Neutrino unzufrieden sei, kaufe er die Aktien gerne zurück.
Seit Jahren bemüht sich Schubart um die Anerkennung seiner vermeintlichen Erfindung beim Europäischen Patentamt, doch das weist seine Mühen zurück: "Die Anmeldung offenbart die Erfindung nicht so deutlich und ausreichend, dass ein Fachmann sie ausführen kann." Und weiter: "Es ist auch für den Fachmann nicht nachvollziehbar, dass eine Folie mit den Eigenschaften [...] ohne weitere Verdichtung in eine derart starke Wechselwirkung mit Neutrinos treten würde, dass ein Strom messbar wäre. Eine solche Interpretation steht im Widerspruch mit den bekannten Gesetzen der Physik."
Das Amt weist die Patentanmeldung zurück, Schubart legt Beschwerde ein. "Es ist immer schlecht, die zu fragen, die die Innovation nicht kennen.” Man müsse mit denen sprechen, die die Innovation haben", sagt Schubart. Doch "seine" Wissenschaftler, die aus dem Beirat des Unternehmens, stünden vor der Herausforderung, dass sie teils verspottet und nicht anerkannt würden.
Heiko Lacker, Professor für Elementarteilchenphysik an der Humboldt-Universität zu Berlin, bestätigt das Urteil des Patentamts. Es sei unmöglich, dass Schubarts Folie zuverlässig mit Neutrinos interagiere: "Man kann relativ einfach ausrechnen, wie dick so eine Materie sein müsste, damit das passiert. Das sind etwa 1.000 Lichtjahre. Das heißt, wenn ich jetzt eine Folie nehmen würde, dann wäre die Wechselwirkungs-Wahrscheinlichkeit quasi null." Und mit quasi null lässt sich kein Handy oder Auto laden.
Holger Thorsten Schubart will sich nicht entmutigen lassen: Er führe gerade Gespräche mit großen börsennotierten Unternehmen, Namen nennen dürfe er nicht. "Ich bin mir sicher, dass ich noch dieses Jahr mit einem von denen einen großen Abschluss machen werde."
Doch schon das Forschungs- und Entwicklungszentrum in Frankfurt (Oder) wird Schubart nicht verwirklichen. Der Kauf der Halle ist gescheitert. Eine Neutrino-Energierevolution aus Brandenburg wird die Welt wohl nicht sehen.
Hinweis der Redaktion: Zwei von mehreren Verfahren gegen Herrn Schubart wurden eingestellt, wir haben den Beitrag im Mai 2024 entsprechend aktualisiert.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 15.07.2022, 19:30 Uhr
Beitrag von Julian von Bülow und Philip Barnstorf
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