Kein russisches Öl mehr ab Januar
Seit fast 60 Jahren transportiert die Pipeline "Druschba" russisches Erdöl bis nach Schwedt und Leuna. Ab Januar ist das vorbei. Grund sind Sanktionen gegen Russland. Ganz abgestellt wird die Leitung, die für Schwedt auch Wohlstand bedeutete, aber nicht.
In der Leitwarte der Mineralölverbundleitung Schwedt ist kurz vor Beginn der zweiten Stufe des Ölembargos gegen Russland noch keine besondere Aufregung spürbar. Dabei kommt hier bei Schwedt in der Uckermark die mehr als 5.000 Kilometer lange Erdölleitung "Druschba" (Freundschaft) an.
Zu 95 Prozent wurde hier bislang russisches Rohöl verteilt und weitergepumpt – in die Raffinerien direkt in Schwedt und Leuna in Sachsen-Anhalt. Doch damit ist ab dem 1. Januar Schluss.
Das erste russische Rohöl über die Pipeline erreichte Schwedt offiziell am 18. Dezember 1963. Damals gab DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht mit den Worten "Genosse Werkdirektor, schalten Sie die Automatik auf Schieber auf!" den Befehl, die "Druschba"-Erdölleitung in Betrieb zu nehmen. Mit dem Erdölverarbeitungswerk, der heutigen PCK-Raffinerie, wuchs der kleine Ort Schwedt über die Jahrzehnte zur Industriestadt heran.
Seither ist russisches Erdöl der Stoff, aus dem der Schwedter Wohlstand gemacht ist. Zum Beispiel durch das Kraftwerk der Raffinerie, das die Stadt mit Fernwärme versorgt. Rund 90 Prozent aller Haushalte sind so mit dem Werk verbunden. Die Schwedter Wohnungsbaugenossenschaft hat in diesem Jahr eine Reihe Hausanschlüsse erneuert.
Das Unternehmen investiert gerade 25 Millionen Euro in die vollständige Umgestaltung eines Plattenbauviertels. Die Entscheidung fiel kurz vor Sanktionsverkündung. Als im Mai dann die Nachricht kam, dass sich Deutschland an einem Embargo auf russisches Pipeline-Öl beteiligt, wurde Genossenschaftsvorstand Matthias Stammert nervös. "Das ist viel Geld. Pro Block sind es dreieinhalb Millionen Euro. Lohnt sich das noch? Kriegen wir das amortisiert oder haben wir jetzt eine Fehlinvestition gemacht, da wir hinterher keine Mieter haben?", fragte sich Stammert.
"Das hat mir Angst gemacht und nicht nur mir, sondern den Leuten ging es auch so", fügt die Schwedter Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD) hinzu. Die Sozialdemokratin war erst kurz zuvor ins Amt gewählt worden - und nun gleich diese Krise. "Und das war für mich der Grund, um in alle Richtungen loszugehen und zu sagen, das kann der Standort Schwedt so nicht hinnehmen", sagt Hoppe.
Denn in der PCK-Raffinerie wird bislang gutes Geld verdient. Das durchschnittliche Tarifgehalt liegt bei über 70.000 Euro im Jahr. Schwedt rechnet aktuell mit 26 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen – das ist mehr als doppelt so viel wie im größeren Eberswalde (Barnim). "Der Erfolg und die gute Entwicklung, die Schwedt durchlaufen hat, sind natürlich zurückzuführen auf die gesicherte Versorgung über die Druschba-Pipeline - das ist gar keine Frage", räumt Hoppe ein.
Die PCK-Raffinerie sponsert Schwedter Sportvereine – und richtet sogar einen eigenen Fußballpokal aus. Das Werk unterstützt die Nachwuchsarbeit der Feuerwehr und die Uckermärkischen Bühnen Schwedt. 1967 startete ein Internationaler Zeichenwettbewerb für Kinder entlang der Freundschafts-Erdölleitung. Jetzt sind junge Künstler aus aller Welt beteiligt – auch aus Russland.
Anfang Mai hat Bürgermeisterin Hoppe noch keine Entscheidungen aus der Politik vernommen, wie das Öl-Embargo gegen Russland für die Schwedter Raffinerie und für die Stadt gemanagt werden sollte. Der Druck wird immer höher, nicht nur im Rathaus.
Die Bürgerschaft beginnt sich zu organisieren. Mit dabei ist die Augenärztin Constanze Fischer. Die Medizinerin lebt seit 1985 in der Stadt, bezeichnet sich selbst als Nachrichten-Junkie und interessiert sich intensiv für Politik. Als sie vom Embargo-Beschluss hört, gründet sie mit anderen ein lockeres Bürgerbündnis für die Zukunft Schwedts. "Die Politik hat diesen Entschluss gefasst, ganz oben und aber noch gar nicht klargestellt, wie sie das hier unten ausgestalten will. Und deswegen dachte ich, da müssen wir ein bisschen Gesprächsboden bereiten", erinnert sich Fischer.
Der Gesprächsboden wurde dann ein sehr großer Platz. Ende Juni organisierte Fischer mit ihren Mitstreitern eine Großkundgebung. Es gelang ihnen, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach Schwedt zu holen.
Ein Heimspiel hatte der dort nicht. "Also jemand rief gerade, ich kann nach Hause gehen. Dann müsst ihr Euch jetzt entscheiden, ob ihr das wollt. Antworten kann ich aber schwer von zuhause aus geben", erklärte der Bundeswirtschaftsminister Ende Juni in Schwedt, "allerdings würde ich eine Vorbemerkung machen: Sie haben eben gerade jedenfalls mehrheitlich geklatscht, als ihr Geschäftsführer gesagt hat, dass wir diesen Angriffskrieg ablehnen. Das Klatschen ist natürlich dann wohlfeil, wenn man etwas ablehnt und nichts dagegen tut."
Habeck sprach schließlich über seine Bemühungen um eine alternative Ölversorgung für die PCK-Raffinerie und erneuerte seine Zusage, dass die Bundesregierung für die Verluste aus diesen Geschäften aufkommt. "Die Zusage ist gegeben. Natürlich!", unterstrich Habeck.
Schließlich kam es am 16. September zu einer Entscheidung. "Die Bundesregierung hat heute die Rosneft Deutschland GmbH sowie die in RN Refining & Marketing GmbH unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt. Das ist eine weitreichende energiepolitische Entscheidung zum Schutz unseres Landes", erklärte Kanzler Olaf Scholz (SPD).
Damit war die Mehrheitsgesellschafterin der PCK, eine Tochter des russischen Staatskonzerns Rosneft, unter staatlicher deutscher Kontrolle. Bund und Land verabschiedeten gleichzeitig ein 1,4 Milliarden Euro schweres sogenanntes Zukunftspaket.
Inzwischen ist beim Chef der Schwedter Wohnungsbaugenossenschaft eine gewisse Beruhigung eingekehrt. Mit dem sogenannten Zukunftspaket von Bund und Land kann Schwedt dreistellige Millionensummen in den wirtschaftlichen Wandel investieren.
So ist in den nächsten Jahren geplant, hunderte Millionen Euro in die Region fließen zu lassen, um Jobs und Unternehmen zu erhalten und die Energieversorgung zukunftsfähig zu machen. So wird auch an einer alternativen, vollständigen Ölversorgung Schwedts gearbeitet.
So hat der Bund 400 Millionen Euro für den Ausbau der Leitung in den Rostocker Ölhafen in den Bundeshaushalt eingestellt. Die bereits bestehende Leitung kann das PCK in Schwedt allerdings nur zur Hälfte mit der bisherigen Rohölmenge beliefern. Verschiedene Ausbau-Varianten sind laut Bundeswirtschaftsministerium in Prüfung. Zudem könnten Arbeiten im Rostocker Ölhafen und in der Fahrrinne noch dafür sorgen, dass größere Öltanker in Rostock anlanden können.
Andererseits wurden aber auch riesige Summen beschlossen, um eine Transformation in eine nicht-fossile Zukunft des gesamten Industriestandorts anzuschieben. Damit wurden offenbar auch innerhalb des PCK einige Bremsen gelöst.
Schon lange hatte man dort Pläne entwickelt, wie sich grüner Wasserstoff einsetzen lässt. Jetzt legte sie Geschäftsführer Ralf Schairer auf den Tisch: "Ich gehe davon aus, dass wir 2025 hoffentlich grünen Wasserstoff produzieren." Der Plan ist, Wasserstoff aus Windstrom über eine Elektrolyseanlage zu gewinnen und in Tanks zu speichern.
In den nächsten zwei Jahren will die PCK-Raffinerie zunächst nur einen kleinen Elektrolyseur bauen, mit dem getestet werden soll, wie sich Wasserstoff in den Produktionsprozess einbinden lässt. Langfristig aber will PCK-Chef Schairer mit den Wasserstoff-Pionieren von Enertrag - ein Unternehmen, das ebenfalls in der Uckermark ansässig ist - etwas ganz Großes entwickeln: "Da reden wir über 300 Megawatt. Dann würden wir alles, was wir an Wasserstoff hier brauchen, mit grünem Wasserstoff speisen können", so Schairer weiter.
Wasserstoff wird als Teil des Raffinerieprozesses gebraucht, könnte aber auch für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe genutzt werden - zum Beispiel bei grünem Flugzeugbenzin.
"Ich bin so ein grundoptimistischer Mensch. Ich gehe davon aus, dass, wenn das kommt, was die sich so denken - also Innovationscampus, Umstrukturierung der Raffinerie in Richtung grüne Energiequellen – dann kann Schwedt wieder wachsen", sagt der Chef des Schwedter Wohnungsbaugenossenschaft Stammert. Ab dem kommenden Jahr soll in dem Viertel nicht nur um-, sondern sogar neugebaut werden.
Insgesamt versprach das Bundeswirtschaftsministerium, dass die PCK-Raffinierie zu Jahresbeinn mit allen alternativen Versorgungsaktionen zu mindestens 70 Prozent ausgelastet sein wird, Tendenz steigend.
Und die Erdölleitung Freundschaft? Sie wird nicht komplett abgestellt, denn über das letzte Teilstück wird über den polnischen Hafen Danzig per Schiff weiter Rohöl durchgeleitet. Hierzu hat es mit Polen eine entsprechende Vereinbarung gegeben. "Wir haben Versorgungssicherheit in der Region gegeben", sagte der Staatssekretär im Bundeswirtschaftministerium, Michael Kellner (Grüne). "Wir werden weiter daran arbeiten, die Zahlen nach oben zu bringen. Auch da gibt es positive Signale."
Denn möglicherweise kommt demnächst noch Erdöl aus Kasachstan dazu. Das Bundeswirtschaftsministerium gab sich zum Jahresende optimistisch, dass es zu einer Vereinbarung mit Kasachstan kommt. Andere Politiker – unter anderem der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) – ziehen das allerdings in Zweifel.
Der Brandenburger Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) erklärte, er sei zuversichtlich, dass in einem weiteren Schritt im Frühjahr die Lücke vollends gefüllt werden könne.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 29.12.2022, 19:30 Uhr
Mit Material von Fred Pilarski und Ricardo Wittig
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