Analyse vom Institut Deutsche Wirtschaft
Hypothekenzinsen für Wohneigentum haben sich vervielfacht. Neuvertragsmieten ziehen teils zweistellig an. Die Lage am Wohnungsmarkt ist dadurch angespannt, wie selten zuvor. Was ist jetzt noch günstiger, Kauf oder Miete? Von Johannes Frewel
Wer eine Mietwohnung sucht, hat gerade einen besonders ungünstigen Zeitpunkt erwischt. Die Mietforderungen steigen massiv, der Marktrend zeigt steil nach oben. Mieten folgten immer wieder der Inflation, resümiert Michael Voigtländer, Ökonom am arbeitgeberfinanzierten Institut der Deutschen Wirtschaft IW Köln. Er untersuchte im Auftrag des Berliner Immobilienunternehmens Accentro Real Estate auf Basis der Marktdaten von 2022 die Rentabilität von Wohneigentum im Vergleich zu Miete. Sein Fazit: "Wohnimmobilien bieten einen relativ guten Inflationsschutz, gerade wenn es Knappheiten im Wohnungsmarkt gibt, wie aktuell".
Das IW ist mit seiner Analyse im Wohnkostenreport nicht allein. Auch die Daten des Immobilien-Onlineportals Immoscout24 wiesen im ersten Quartal 2023 einen beispiellosen Anstieg der Neuvertrags-Mieten in Deutschland aus. Beim Neubau legten sie im Jahresvergleich um bis zu knapp 20, im Bestand um gut zwölf Prozent zu. Besonders stark stiegen sie in Berlin. Die aktuelle Teuerungsrate für Neubau-Mietwohnungen lag allein zwischen Januar und März des laufenden Jahres bei 8,8 Prozent.
"Berlin ist das Brennglas des deutschen Immobilienmarkts", resümiert Immoscout24-Sprecher Lennart Dannenberg, "das sind historische Werte, die wir so seit Erhebung des Wohnbarometers noch nie gesehen haben". Solche Preissprünge seien sonst über den Zeitraum eines Jahres, nicht jedoch eines Quartals, zu beobachten. Die Verschiebung von Kauf zu Miete sei eine klare Entwicklung, die den Markt bestimme.
"Der Druck, der auf dem Mietmarkt herrscht, ist in Berlin nochmal deutlich ausgeprägter", resümiert er beim Blick in die bundesweiten Daten des Immobilienportals, "obwohl Berlin einer der reguliertesten Mietmärkte in Deutschland ist", so Dannenberg.
Eine Folge sind Ausweichbewegungen wohnungssuchender Mieter nach Brandenburg. Dannenberg kennt die Lage im Berliner Umland im Detail. Etwa in Werder. Dort sei aktuell der Mietmarkt besonders gefragt. Aber auch im Landkreis Potsdam-Mittelmark mit Teltow oder im Oberhavel-Kreis mit Oranienburg ziehe die Nachfrage nach Wohnungen und Häusern zur Miete gerade deutlich an. Bauwillige warteten ab, welche neuen Bau-Förderungen noch kommen und wie genau die Gebäudeenergieeffizienz-Regeln ausgelegt werden. "Sie warten momentan auf ein klares Signal der Politik", interpretiert Dannenberg die Marktdaten. Bis dahin wird nicht gekauft, sondern zunächst gemietet.
Wer in den Niedrigzinsjahren bereits eine Eigentumswohnung oder ein Haus für die Familie erworben hat, der kann sich bei langfristiger Finanzierung meist noch viele Jahre über Zinsen um die Ein-Prozent-Marke freuen. Auch der Wertverlust von Immobilien als Folge steigender Zinsen hält sich in der Region in engen Grenzen. In Berlin gaben die Preise für Bestands-Eigentumswohnungen im ersten Quartal nach Immoscout24-Daten um 0,3, bei Bestands-Häusern um 0,8 und bei Neubau-Häusern um 0,1 Prozent nach. Neue Eigentumswohnungen wurden demnach 0,8 Prozent teurer.
Zahlreiche Wohnungs- und Hauseigentümer in Brandenburg gehörten der Studie des IW Köln zufolge im vergangenen Jahr bei anziehenden Mieten zu den klaren Gewinnern. Je weiter weg von Berlin, umso mehr lohnt sich selbstgenutztes Wohneigentum.
Brandenburger Eigentümer wohnen günstiger als Mieter - in Oder-Spree um 47,4, in Dahme-Spreewald um 41,3, in Oberhavel um 37,2, im Barnim um 35,8, in Märkisch-Oderland um 34,8, in Havelland um 34, in Teltow-Fläming um 24,3 und in Potsdam-Mittelmark um 19,9 Prozent. Auch im Berliner Umland attestiert das IW "vergleichsweise hohe Selbstnutzerkostenvorteile".
Sogar in der als teuer geltenden Landeshauptstadt Potsdam errechnet der Wohnkostenreport in den vergangenen Jahren für Eigentümer einen Kostenvorteil von elf Prozent gegenüber Mietern. "Da haben wir trotz der hohen Zinsen eine sehr große Vorteilhaftigkeit", bilanziert IW-Ökonom Voigtländer. Dazu trägt bei, die Bodenpreise sind in einigen Regionen gemessen am bundesdeutschen Durchschnitt weiterhin eher günstig.
Mitte Juni hat die Europäische Zentralbank EZB erneut an der Zinsschraube gedreht. Das verteuert die Finanzierung für Eigentümer weiter. Doch Ökonom Voigtländer rechnet mit wieder etwas fallenden Zinsen, sobald die Inflation spürbar Kraft verliert. Dann könne sich auch der jetzt in den meisten Landkreisen gegenüber Mietwohnungen unwirtschaftliche Neukauf von Immobilien für Selbstnutzer wieder lohnen.
Wegen der besonderen wirtschaftlichen Dynamik im Berliner Umland werde der Wert von Wohneigentum dort wahrscheinlich auch weiter steigen. "Das ist natürlich ein wesentliches Argument, zu kaufen", sagt Voigtländer. So könnten Eigentümer langfristig am Aufwärtstrend der Region teilhaben. Derzeit ist jedoch angesichts der Zinsentwicklung kein günstiger Kaufzeitpunkt. Wie stark Baupreise und Zinsanstieg den Markt gegenwärtig beherrschen, zeigt sich in Berlin. Dort zahlen Käufer aktuell kräftig drauf. Trotz der massiv steigenden Mieten wohnen selbstnutzende Eigentümer dort 26 Prozent teurer als Mieter. Auch das wirkt wie ein Booster für die Nachfrage nach Mietwohnungen.
Beitrag von Johannes Frewel
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