Regionale Zulieferer profitieren
Tausende E-Autos laufen jede Woche in Grünheide vom Band. In jedem sind Module von weiteren Brandenburger Firmen verbaut. Das macht sich inzwischen im Bruttoinlandsprodukt des Landes bemerkbar. Wie nachhaltig ist das Wachstum? Von Philip Barnstorf
Am Rande von Werneuchen (Barnim) arbeitet ein unscheinbares, aber hoch spezialisiertes Unternehmen: In einer Produktionshalle – in etwa so groß wie ein halbes Fußballfeld – stellt die Firma Scharnau Spezialklebeband her. Dafür kauft das Familienunternehmen zunächst große Rollen Klebefolie ein, aus der anschließend mit einem Laser bestimmte Formen herausgeschnitten werden.
Diese Teile verkauft Scharnau zum Beispiel an Autohersteller und Zulieferer in aller Welt, die damit etwa Parksensoren oder Türleisten an ihren Autos befestigen. Neuerdings ist auch Tesla unter den Kunden. "Wir haben Zulieferungen an Tesla, die bei uns zehn Arbeitsplätze gesichert haben", sagte Matthias Schach Chef von Scharnau, das insgesamt 135 Menschen beschäftigt.
Neben Tesla kaufen auch Unternehmen bei Scharnau ein, die einzelne Autoteile herstellen und diese dann wiederum an den US-Hersteller verkaufen. So gehen einige Klebeband-Maßanfertigungen aus Werneuchen zunächst nach Polen. Dort werden sie in Automodule verbaut und anschließend weiter nach Grünheide verkauft. Laut Geschäftsführer Schach geht rund eine halbe Million Euro von insgesamt 22 Millionen Euro Jahresumsatz seiner Firma auf Tesla zurück.
Scharnau ist nicht das einzige regionale Unternehmen, das von der Tesla-Ansiedlung profitiert. So kauft der E-Autohersteller zum Beispiel Cockpit-Armaturen in Fredersdorf/Vogelsdorf. In der Branche gilt es als wahrscheinlich, dass Tesla außerdem Batterie-Komponenten aus Ludwigsfelde bezieht.
Insgesamt gibt der E-Auto-Hersteller nach eigenen Angaben sechs Prozent seines Einkauf-Budgets in Brandenburg aus. Außerdem braucht eine Autofabrik dieser Größe viele Dienstleistungen, um richtig zu funktionieren: von der Reinigungsfirma, über Security, Caterer bis zu Transportunternehmen. Laut Tesla sind täglich bis zu 2.000 Menschen von externen Firmen auf dem Fabrikgelände unterwegs. Einige stammen auch von Brandenburger Unternehmen.
Diese Entwicklung schlägt sich inzwischen auch im Brandenburger Wirtschaftswachstum nieder. Um sechs Prozent ist die Wirtschaft hierzulande im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gewachsen. Damit hat Brandenburg alle anderen Bundesländer weit hinter sich gelassen. "Wir sehen, dass der Kraftfahrzeugbau seinen Umsatz im ersten Halbjahr 2023 auf gut fünf Milliarden Euro mehr als vervierfacht hat. Das treibt das Wirtschaftswachstum fast alleine", sagt Benjamin Gampfer vom Statistikamt Berlin-Brandenburg, das das Wirtschaftswachstum berechnet.
Für den kräftigen Zuwachs sind aber nicht allein Zulieferbetriebe wie Scharnau verantwortlich: Die meiste zusätzliche Wertschöpfung kommt von Tesla selbst. Das Unternehmen eröffnete seine Fabrik im ersten Halbjahr 2022. Ein Jahr später produziert Tesla in Grünheide nach eigenen Angaben rund 5.000 Autos pro Woche. Das treibt das Wachstum nach oben, auch weil Tesla inzwischen mehr Teile – wie etwa Spiegelkappen und Stoßstangen – nicht mehr außerhalb Brandenburgs einkauft, sondern sie in Grünheide selbst herstellt, sodass die Wertschöpfung vor Ort zu Buche schlägt.
Allerdings sollte der satte BIP-Zuwachs nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Brandenburger Wirtschaft immer noch vergleichsweise klein ist. Das liegt vor allem daran, dass in Brandenburg weniger Menschen leben als in den meisten anderen Bundesländern. Im Land werden pro geleisteter Arbeitsstunde Waren und Dienstleistungen im Wert von durchschnittlich 57 Euro erwirtschaftet. Das ist zwar mehr als in allen anderen ostdeutschen Flächenländern, aber gut sechs Euro weniger als im Bundesdurchschnitt. "Wir sind jetzt in einer Wachstumsphase aber immer noch auf niedrigerem Niveau", sagte Benjamin Gampfer vom statistischen Landesamt.
Um bei der Wirtschaftskraft zu westdeuschen Bundesländern aufzuschließen, muss Brandenburg weiter kräftig wachsen. Wie nachhaltig sind also die sechs Prozent? "Im August lagen die Umsätze im gesamten verarbeitenden Gewerbe unter dem Vorjahresniveau", sagt Benjamin Gampfer. Außerdem würden Dienstleistungen in der Bilanz übers gesamte Jahr stärker gewichtet. Schließlich bleibt abzuwarten, wie stark Tesla seine Produktion in der zweiten Jahreshälfte steigern kann.
Aus dem Fabrikumfeld ist zu hören, dass nur in manchen Wochen die verkündeten 5.000 Autos produziert würden und dass die 6.000er Marke besonders schwer zu knacken sei. Außerdem machten zuletzt Nachrichten von vielen Arbeitsunfällen die Runde. Daher ist es gut möglich, dass Brandenburg die sechs Prozent nicht übers gesamte Jahr halten kann.
Mittelfristig könnte sich das aber ändern: Laut der neuesten Genehmigungsunterlagen sollen in einigen Jahren bis zu eine Million Autos pro Jahr in Grünheide vom Band rollen. Wenn der Konzern außerdem, wie von Elon Musk angekündigt, das geplante Model 2 in Grünheide baut, dürfte das für weiteren Aufschwung sorgen.
Auch bei den Zulieferern könnte sich noch was tun: Je mehr Autos Tesla produziert, desto mehr Teile muss das Unternehmen hinzukaufen. Deren Transport kostet. Daher steigt mit den Tesla-Produktionszahlen die Wahrscheinlichkeit, dass Zulieferer Werke in Brandenburg errichten, deren Wertschöpfung dann ins Brandenburger BIP einfließt. Fraglich ist, ob es für alle Anfragen genug Gewerbegrundstücke geben wird. Hierbei dürfte es auch darauf ankommen, wie schnell die Kommunen den Wasserstreit mit dem WSE beilegen und mehr Gewerbegebiete ausweisen.
Scharnau in Werneuchen will jedenfalls weiter mit Tesla wachsen. "Wir planen gerade eine weitere Produktionsstraße, wenn Tesla nächstes Jahr eine zweite Produktionslinie in Betrieb nimmt", betonte Geschäftsführer Schach. Trotz der Ausbaupläne blicke er "zwiespältig" in die Zukunft. "Uns gehen in Brandenburg langsam die Arbeitskräfte aus. Wir können diverse Stellen nicht besetzen. Damit sind die Produktionsvolumen begrenzt."
Fachkräfte seien zwar noch zu finden. Aber einfache Arbeiter gebe es kaum noch. Der Arbeitskräftemangel könnte das Brandenburger Wachstum also hemmen. Dann sind Scharnau und Tesla plötzlich nicht mehr nur Geschäftspartner sondern auch Konkurrenten.
Sendung: Antenne Brandenburg, 10.11.2023, 08:30 Uhr
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Beitrag von Philip Barnstorf
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