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Quelle: rbb|24 / Schneider

Geflügel-Schlachtbetrieb in Storkow

Schwer auf der Brust

Der neue Brandenburger Tierschutzplan soll das Leben in den Riesenställen verbessern. Die Verbraucher aber verlangen vor allem billiges Fleisch. Ein Besuch in einem modernen Geflügel-Schlachthof zeigt, was sie für ihr Geld bekommen. Von Sebastian Schneider und Bettina Rehmann

Das Sonderangebot läuft ausgezeichnet: Hähnchen-Ministeaks, eingeschweißt in Plastik, die 400-Gramm-Schale für 1,99 Euro. Das Kühlregal bei Kaufland in Berlin-Tempelhof ist schon fast leergeräumt. Auf die Folie haben sie einen stilisierten Hahn gedruckt, daneben ein Foto von gebratenen Schnitzeln, "aus Brustfilet geschnitten, frisch." Woher kommt dieses Fleisch? Wie hat das Huhn gelebt, dessen wertvollste Stücke hier für knapp fünf Euro das Kilo verkauft werden?

Auf dem Preisschild steht "Plukon", der Konzern mit Sitz in den Niederlanden vertreibt Geflügelfleisch in Supermärkten, unter verschiedenen Markennamen. Die Nummer oben rechts auf der Packung verrät, wo dieses Huhn geschlachtet worden ist: EZG-255 steht für die Friki GmbH in Storkow.

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Der neue Tierschutzplan [PDF-Download]

170.000 Tiere pro Tag

Der Schlachthof liegt nur 60 Kilometer von der Verkaufstheke entfernt, im Kreis Oder-Spree. Von Berlin aus fährt man nach Südosten, vorbei an Kiefernwäldern, ein Stück über die "Autobahn der Freiheit". Plukon, im vergangenen Jahr 1,4 Milliarden Euro Umsatz, beschreibt sich "inmitten der Gesellschaft, die ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Mensch, Tier, Umwelt und Rentabilität wünscht."

In Storkow heißt dieses Gleichgewicht: 170.000 geschlachtete Hähnchen pro Tag, mehr als 44 Millionen pro Jahr. Der Absatz steigt, das magere, proteinreiche Geflügel wird bei den Deutschen immer beliebter. Schon jetzt essen sie mehr als doppelt so viel Fleisch wie der Durchschnitt der Weltbevölkerung, geben dafür aber vergleichsweise wenig Geld aus. Und nichts ist billiger als Hähnchen und Pute.

Anbieter wie Plukon haben sich darauf perfekt eingestellt. Nach der Wende übernahmen die Niederländer in Storkow das "Kombinat Industrielle Mast" von der Treuhand und bauten es zu einem der modernsten Geflügelschlachthöfe Europas aus.

"Wir haben ja nichts zu verbergen"

Der Betriebsleiter Peter Schenk nimmt sich Zeit für eine Führung. Man muss mit ihm dafür durch mehrere Desinfektionsschleusen laufen. Es riecht wie auf einer Quarantänestation. Lange hätten sie überlegt, ob sie ihre Hallen einem Reporter zeigen, sagt Schenk, ein Mann mit graumeliertem Haar und Karohemd unter dem Kittel: "Wir haben ja nichts zu verbergen. Aber die pauschale Kritik in den Medien hat uns zu denken gegeben."

Das Huhn, das im Berliner Kaufland endete, lebte davor im Norden Brandenburgs. LKW-Fahrer liefern die dickgezüchteten Tiere in Storkow an, zehn bis zwölf in einer Kiste, acht Stück übereinander gestapelt. Friki kauft sie von Mästern in der Umgebung.

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Vom Küken in die Klarsichtfolie in 38 Tagen

In der Regel braucht ein Mastküken 38 Tage bis zur Schlachtreife -sein Lebensweg in Bildern.

Blaues Licht, um zu beruhigen

Ihre letzten Stunden verbringen die Hühner in einer Halle mit blauem Licht, gekühlt von der Luft riesiger Ventilatoren. Das soll sie beruhigen - Stress verdirbt ihr Fleisch. Die Vögel hören das Piepen rückwärtsfahrender Gabelstapler und hinter sich ein unbestimmtes, immer lauter werdendes Dröhnen. Sie bleiben friedlich, auch, als sie aus den Kisten auf ein Fließband gekippt werden. Die Maschine rollt an.

"Ein Huhn zu schlachten, ist was anderes, als ein Rind oder Schwein", sagt Peter Schenk, der die Tierfabriken der DDR noch kennengelernt hat. Er meint: leicht, schnell, fast vollautomatisch, kaum Dreck und Gestank. Das Fließband läuft in einen 21 Meter langen Tunnel.

Auf den letzten Zentimetern davor kontrolliert ein Mann, ob die Tiere unversehrt in den Tod fahren. Mit seiner rechten Hand hält er die träge gefressenen Hühner davon ab, vom Band zu hüpfen. Nur wenige versuchen es. Der Mann bewegt seinen Arm wie in Zeitlupe. Sie verschwinden im Dunkel. Dort werden sie mit CO2 betäubt.

Die letzte Station ihres Lebens: Ein Arbeiter prüft, ob die Hühner einen gesunden Eindruck machen - im Tunnel rechts davon werden sie betäubt und kurz darauf getötet. | Quelle: rbb|24 / Schneider

Ausbluten am laufenden Band

Als die schlaffen Körper wieder ans Neonlicht kommen, hängen Arbeiter sie kopfüber in Metallhaken. Ab hier gibt die Transportkette über den Haarnetzen der Schlachter den Rhythmus vor. Ein paar Meter weiter schneidet eine rotierende Klinge die Kehlen der Hühner durch. Nur ein Hautfetzen hält den Kopf noch am Körper. Sofort rinnt das Blut aus ihren Hälsen. Peter Schenk bittet, in diesem Bereich nicht zu fotografieren. Es könne die Leute vielleicht verstören, sagt er.

In der nächsten Halle ist es plötzlich so schwül, dass einem Schweißperlen auf die Stirn treten. Die Wärme der Körper und ihres süßlich riechenden Blutes in den Auffangwannen wirkt wie eine Heizung. Nach spätestens zwei Minuten sind die Hühner praktisch leer. Eine rotierende Gummimatte rupft ihnen die gelblich-weißen Federn vom Leib.

Köpfe und Füße kommen ab, werden als Delikatesse nach Asien exportiert. In Deutschland gibt es dafür keine Nachfrage. Blut und Organe verkauft Friki als Futter an die Nerzindustrie. Aus denen macht man später Pelze.

217 Tiere pro Minute

Die nächste Maschine zieht die Innereien aus den Hühnern und hängt sie vor deren Körper an das Förderband. Fleischbeschauer müssen hier die "Organpakete" an den Haken begutachten, um Entzündungen, Blutungen, Verfärbungen zu erkennen. 217 Tiere rattern pro Minute an ihren Augen vorbei. Jedes auffällige müssten sie sofort aussortieren.

Länger als eine halbe Stunde am Stück dürfen die Kontrolleure nicht am Band stehen, dann wechseln sie zu anderen Aufgaben in der Fleischfabrik. Verantwortlich ist jeweils einer von drei Amtstierärzten – Beamte des Landkreises Oder-Spree, für die aber Friki bezahlt. Jeden Tag gehen sie in der Schlachterei ihrer Arbeit nach, genau wie jeder andere Angestellte der Firma.

Sie stellen den Mästern auch die Atteste aus, mit denen deren Tiere zum Schlachten freigegeben werden. Das letzte Mal ein Attest verweigert habe sie vor zwei Jahren, sagt eine der Ärztinnen. Als der Mäster die fehlenden Papiere nachreichte, ging die Lieferung raus.

Geflügelmast

Stall 12

Sie schlüpfen als 40 Gramm schwere Küken und enden mit 2,5 Kilo Schlachtgewicht. Dazwischen liegt ein präzise geplantes Hühnerleben von 38 Tagen im Mastbetrieb von Henry Meerbeek in Storkow. Mit dem Begriff Massentierhaltung kann er nichts anfangen. Von Sebastian Schneider

Fast 850.000 weitere Geflügelplätze genehmigt

Die rot-rote Landesregierung fördert Massentierhaltung, die die Dumpingpreise der modernen Schlachtfabriken erst ermöglicht. Brandenburgs Böden seien schlecht, außerdem gehe es um Arbeitsplätze, hat der Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) argumentiert.

Mehr als 100.000 Brandenburger aber haben gegen Massentierhaltung unterschrieben. 2018 soll als Kompromiss ein neuer Tierschutzplan in Kraft treten, um das Leben in den Riesenställen zu verbessern. Aber der Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) hat bereits vorausgeschickt, dass man jetzt erstmal sehen müsse, "was geht und was nicht – und was bezahlbar ist." Fast 850.000 zusätzliche Geflügelplätze sind genehmigt, die meisten in Großanlagen.

Biofleisch hat knapp zwei Prozent Marktanteil

Automaten teilen Hähnchen jetzt in Hälften, trennen Schenkel ab. Je nach Bestimmung kommen die Teile weiter zum Wiegen und Verpacken. An diesem Punkt fällt es längst schwer, sich vorzustellen, dass die glatten, hellrosa Fleischlappen ein paar Räume nebenan noch atmende Tiere gewesen sind. Die Ware rattert durch die vier Grad kalte Halle, wie auf einer Achterbahn. Jeden Abend wird hier durchgekärchert.

Die Verbraucher haben in Brandenburg die Wahl zwischen teurem Biofleisch, das einen Marktanteil von gerade mal zwei Prozent hat, und billigem Industriefleisch. Im Gegensatz zu Eiern muss dessen Herkunft auf der Packung nicht angegeben werden.

Je mehr man in der Produktion automatisieren kann, desto billiger. In der Schenkelstrecke waren es früher sechs Kollegen, jetzt braucht man einen. Am Einkaufspreis für das Masthuhn und am Verkaufspreis an die mächtigen Handelsketten lässt sich nichts drehen.

Der Roboter aber, der einen talentierten Filetierer ersetzt, ist noch nicht erfunden. Die Deutschen essen soviel Hähnchenbrustfilet, dass zusätzlich Ware importiert werden muss - obwohl die Nachfrage nach ganzen Tieren mehr als gedeckt ist.

"Nur ein Prozent mehr Fleisch, das wir vom Knochen abkriegen, bedeutet am Ende des Tages einen Wettbewerbsvorteil", sagt Peter Schenk über die Arbeit der Filetierer. | Quelle: rbb|24 / Schneider

Drei Sekunden für ein Brustfilet

Möglichst verlustfrei müssen die Filetierer das teuerste Fleisch abschneiden. Es gibt technische Tricks, wie man es noch effektiver vom Knochen bekommt, aber die möchte Friki nicht aufgeschrieben sehen. Ein Brustfilet schafft ein geübter Arbeiter in etwa drei Sekunden, dann kommt schon das nächste Hähnchen. Es ist einer der Premium-Jobs im Schlachthof, hier arbeiten die Besten: Neben Erfahrung braucht man dafür Talent.

Die Mitarbeiter an den Messern verdienen bis zu 15 Euro die Stunde. Dafür müssen sie konzentriert bleiben, können wegen des Lärms nicht miteinander reden, müssen mit dem rasenden Stakkato der Maschinen mithalten können. "Am Arbeitsplatz kann ich nichts ändern. Also muss ich gut bezahlen, um Leute zu bekommen", argumentiert Peter Schenk. Denn das sei im Berliner Umland immer schwerer.

Der Wettbewerbsdruck ist enorm. "Es geht nur über den Preis. Neue Konkurrenten drücken in einen Markt, der ohnehin schon voll ist", sagt Schenk. In Polen beispielsweise wächst die Zahl der Ställe prozentual zweistellig. In den Schlachtfabriken dort malochen inzwischen vor allem Ukrainer, manche für 3,50 Euro die Stunde. Der Aufbau von Friki in Storkow wiederum wäre ohne polnische Kollegen undenkbar gewesen, man sieht es bis heute an den Nummernschildern auf dem Parkplatz. Nach Słubice fährt man 40 Minuten.

Gnadenloser Preiskampf

Auch das Wiegen und Verpacken ist Präzisionsarbeit, hier arbeiten die meisten der 430 Angestellten. Zwei Frauen nehmen Hähnchenschenkel vom Band und legen sie in immer gleichen Bewegungen in die Schalen. Die Supermärkte verlangen genaue Einwaage-Mengen. Gerne darf mehr in einer Verpackung sein, als draufsteht. Damit aber würde der Schlachthof Geld verschenken.

Also muss aufs Gramm genau gewogen und eingepackt werden, kleine Fleischreststückchen liegen in Kisten bereit, um jede Verpackung perfekt zu machen. Außerdem sollen die Hähnchenstücke möglichst attraktiv angeordnet werden. "Yin und Yang" nennt man die Methode. Kann der Computer auch noch nicht.

Friki liefert nicht nur an Kaufland, sondern unter anderem auch an Edeka und Netto – mal in der einen, mal in einer anderen Verpackung. Der Kunde soll nicht merken, woher das Fleisch von Eigenmarken wie "Gut Ponholz" wirklich kommt, so wünschen es sich die Handelsketten - damit der Lieferant unauffällig gewechselt werden kann. Wenn Aldi ein Hähnchen für 2,99 Euro verkauft, ziehen die anderen nach, aus Angst, dass sonst Kunden wegbleiben. Macht ein Fabrikant den Preiskampf nicht mit, fliegt er eben von der Liste.

Zwei Stunden und zehn Minuten von der Schlachtung bis zur Plastikschale

Das abgepackte Fleisch wird jetzt mit Wasserdampf und Kaltluft auf zwei Grad heruntergekühlt. Dann landet es in der Lagerhalle, in Kartons aus hellbraunem Karton, bereit zum Ausliefern. Vom Tod des Tieres bis hierher sind zwei Stunden und zehn Minuten vergangen.

Zwischen 6:30 Uhr und 1 Uhr nachts fahren vollgepackte Laster vom Firmengelände. Wenn ein Großkunde am Vormittag bestellt, liegt das Hähnchenbrustfilet am nächsten Früh in seinen Kühltheken. Die tiefgefrorenen Schenkel werden in Containerschiffen bis nach Ozeanien gebracht. In Storkow planen sie gerade ein neues Logistikzentrum.

400 Gramm für 1,99 Euro - Brustfilet in einer Berliner Kaufland-Filiale. | Quelle: rbb|24 / Rehmann

"Wehe, das Fleisch ist dann ein bisschen teurer"

Peter Schenk betont, er mache seine Arbeit mit absolut reinem Gewissen. Was konventionelles Geflügel angehe, gälten in Deutschland die strengsten Standards der Welt. "Alles, was ich hier produziere, wird mir aus den Händen gerissen. Bauernhofromantik gibt's nicht für 1,99 Euro. Da muss sich jeder Verbraucher an die eigene Nase fassen", sagt Schenk. Er spielt nach den Regeln, er hat sie nicht gemacht, soll das heißen.

In den Niederlanden verkauft Plukon inzwischen mehr langsamer gewachsene Tiere, denen es in ihrem Leben etwas besser gegangen ist. Die Kunden zahlen dafür, der Konzern zeigt sich mit dem Profit zufrieden. In Brandenburg scheint das noch undenkbar. Manche kauften sich einen Weber-Grill für 1.000 Euro, sagt Schenk, "aber wehe, das Fleisch ist dann ein bisschen teurer."

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Sendung: Inforadio | 01.01.2018 | 10:45 Uhr

Beitrag von Sebastian Schneider und Bettina Rehmann, rbb|24

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