Geflügelmast in Brandenburg
Sie schlüpfen als 40 Gramm schwere Küken und enden mit 2,5 Kilo Schlachtgewicht. Dazwischen liegt ein präzise geplantes Hühnerleben von 38 Tagen im Mastbetrieb von Henry Meerbeek in Storkow. Mit dem Begriff Massentierhaltung kann er nichts anfangen. Von Sebastian Schneider
Will Henry Meerbeek wissen, wie es seinen Tieren geht, setzt er sich an seinen Computer. Um sieben Uhr morgens beginnt er seine Tage, eine Tasse Kaffee in der Hand, Zahlenkolonnen vor seinen Augen. Er sieht, dass die Hühner in Stall 12 im Schnitt 441 Gramm wiegen. Dass dort bisher 1,53 Prozent der Tiere gestorben sind. Gestern waren es sechs Stück, normale Quote.
Er sieht, wie viel die anderen getrunken haben, wie viele Vitamine und Aminosäuren ihnen der Futterautomat eingeflößt hat. Ein Wachstumsschub, der erst im Schlachthaus endet. Der Mäster ist zufrieden. 13 Tage haben die Hühner hinter sich, gut ein Drittel ihres Lebens. Sie wachsen so rasant wie sie sollen.
Der 57 Jahre alte Niederländer ist ein freundlicher, aber nüchterner Mensch, der keine Zeit mit Nebensächlichkeiten verliert. Seine Firma heißt Storkower Geflügelmast, und der Name beschreibt exakt, womit der Mann hier seit 1992 sein Geld verdient: winzige Küken möglichst schnell in gesunde, schwere Schlachttiere zu verwandeln. Er hält 360.000 Masthühner in 15 Ställen, es ist einer der größten Betriebe Brandenburgs. Drei Menschen arbeiten hier. Mehr braucht man nicht.
Der Hunger der Deutschen auf Geflügel wächst seit Jahren, und die Brandenburger mögen es besonders gern. Laut Branchenverband essen 80 Prozent der Brandenburger mindestens einmal die Woche Geflügelfleisch, elf Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Es ist mager und proteinreich, deshalb gilt es als gesünder als Schwein oder Rind. Vor allem aber ist es billig. Die großen Supermarktketten unterbieten sich Woche für Woche mit Sonderangeboten.
Fast 90 Prozent der Konsumenten beteuern in Umfragen, sie seien bereit, mehr Geld für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung zu zahlen. Aber an der Kühltheke entscheiden die meisten nur nach dem Preis. Die teurere Bioware hat in Deutschland einen Marktanteil von etwa zwei Prozent. Also produzieren Unternehmer wie Meerbeek nicht am Bedarf vorbei. "Am Ende hat es der Verbraucher in der Hand", sagt er.
Auch nach dem erfolgreichen Volksbegehren gegen Massentierhaltung steigt in Brandenburg die Zahl der Tiere, die in großen Betrieben gemästet werden. Die Landesregierung fördert diese Hochleistungsmast. Sie hat dafür im vergangenen Jahr hunderttausende weitere Tierplätze genehmigt.
Die Standards bei konventionellem Geflügel seien die strengsten der Welt, sagen die Befürworter. Wenn wir es nicht machen, machen es eben die anderen, zu schlechteren Bedingungen, argumentieren sie. "Ich hasse das Wort Massentierhaltung", sagt Henry Meerbeek. "Wir sind ein Familienbetrieb. Wir arbeiten auch nicht anders als einer mit 40.000 Tieren." Aus seiner Perspektive ist das wenig.
Wer den Chef in seine Ställe begleiten will, muss einen grünen Overall, Mundschutz, Haarnetz und Gummistiefel anziehen. Mit denen tritt man auf eine Fußmatte, die mit Desinfektionsmittel getränkt ist. "Das wichtigste ist die Sauberkeit", sagt Meerbeek. Werden wenige Tiere krank, haben alle ein Problem. Er öffnet die Tür zu Nummer 12. Man kommt rein, tritt auf leicht feuchten Boden aus fein zerhäckselten Holzpellets. Riecht den Geruch von Hühnerkot, herb, aber weniger streng als erwartet.
Man hört das Piepen von 29.000 Masthähnchen, das Surren der riesigen Ventilatoren an der Decke. Die weißgelben, flauschigen Vögel rennen in Gruppen durch den fensterlosen Stall, 95 Meter lang, 40 Meter breit. Verlassen werden sie ihn in ihrem Leben nie. Manche bleiben stehen. Sie gucken einen neugierig an.
Schon bevor Meerbeek das Gelände am Rande der Stadt kaufte, wurden hier Hühner fettgefüttert, im "KIM" – das stand für Kombinat Industrielle Mast. Kein Vergleich zu den Standards von heute, aber mit dem gleichen Ziel. "Zu DDR-Zeiten hat in der Tierhaltung alles gestunken. Aber wenn es heute mal stinkt, protestiert jeder", klagt Meerbeek.
Er wohnt mit seiner Frau im ehemaligen Sozialtrakt der Arbeiter: ein langgezogener Bungalow, weißer Rauhputz, kornblaue Fensterrahmen, im Garten steht ein Hahn aus Stein. Schon sein Vater war Tiermäster, der Sohn kam nach Brandenburg, weil ihn die Möglichkeiten nach der Wende reizten. "Holland war voll", sagt Henry Meerbeek.
Als er in Storkow anfing, hatten seine Hähnchen 1,5 Kilo Schlachtgewicht. Inzwischen sind es zwischen zwei und 2,5 Kilo. Drei Zuchtfirmen haben den Weltmarkt unter sich aufgeteilt, je nach Kundenwünschen designen sie die Ware - in Deutschland setzen die Vögel extrem viel Brustfleisch an, in China haben sie dicke Schenkel.
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Meerbeeks Tiere stammen alle von der gleichen Rasse ab: Cobb 500, die erfolgreichste weltweit - eine von nur noch wenigen, die in der industriellen Geflügelhaltung genutzt werden. Die Erfinder preisen ihr Produkt als den "effizientesten Broiler der Welt" an, mit den niedrigsten Kosten pro verwertbarer Masse.
Im Stall meint man Regen auf das Dach prasseln zu hören, in Wahrheit ist es das Picken tausender Schnäbel in den gelben Futterschalen. Sie hängen an acht Rohren, die den ganzen Stall durchziehen. Aus nicht einmal einem Kilo Soja- und Getreidefutter gewinnt der Mäster später ein Kilo Hühnerfleisch. Vorausgesetzt, er hält sich genau an die Anleitung, die die Firma mitliefert. Sie legt fest, wie viel frische Luft die Hähnchen brauchen, welche Temperatur im Stall (27 Grad), wie viel Luftfeuchtigkeit (60 Prozent), welches Kunstlicht (20 Lux, aber etwas heruntergedimmt). Beim Licht ist man sich noch nicht ganz sicher.
Die Küken kauft Meerbeek von einer Firma in Sachsen-Anhalt, wo sie in Wärmeschränken ausgebrütet werden. Kaum geschlüpft, bringt sie ein LKW nach Storkow. Männchen und Weibchen werden zusammen aufgezogen. Bevor sie geschlechtsreif sind, liegt ihr Fleisch längst abgepackt in einer Kühltheke.
Sterben in den ersten Tagen zuviele Küken, ruft der Chef den Tierarzt an und berät mit ihm, welche Medikamente er den anderen im Stall gibt. "Die Leute werfen uns immer vor, wir würden kippen, kippen, kippen", sagt er über den Einsatz von Antibiotika. Aber die gebe er doch nur bei Bedarf.
Dieser "Durchgang", wie er die Tiere in Stall 12 nennt, bekommt über das Trinkwasser gerade ein Antibiotikum gegen Kolibakterien, dazu Impfstoffe gegen Bronchitis und Durchfallerkrankungen.
In weißen, großen Kanistern im Vorraum steht, was die Masthähnchen noch kriegen: Mittel, die ihnen helfen, die riesigen Futtermengen zu verdauen, Calcium, damit ihre Knochen später das hohe Gewicht aushalten. "Ich habe selbst doch das größte Interesse daran, dass es meinen Tieren gut geht", sagt Meerbeek. Schäden ziehen ihm seine Kunden vom Preis ab.
Vor ein paar Monaten hat sich der Unternehmer der "Initiative Tierwohl" angeschlossen. Seitdem bekommt er Geld vom Großhandel, wenn er bestimmte Kriterien einhält, die auch der neue Tierschutzplan des Landes empfiehlt. Supermarktketten wie Edeka und Kaufland zahlen ihm ein paar Cent mehr pro Kilo. Dafür haben seine Masthähnchen etwas mehr Platz und bekommen Strohballen und Picksteine, um sich zu beschäftigen. Das soll sie daran hindern, sich gegenseitig anzugreifen.
Meerbeek ist nach der Testphase noch nicht sonderlich begeistert, über das Stroh könnten Keime in den Stall kommen. Aber er hat alles durchgerechnet. "Das System ist nicht verkehrt", sagt er.
Das Wohlbefinden der Tiere ist Verhandlungssache - und besonders im Agrarland Brandenburg wird darüber seit Jahren gestritten. Mehr als 100.000 Menschen haben 2016 gegen Massentierhaltung unterschrieben. Als Kompromiss versprach die Landesregierung strengeren Tierschutz, 2018 soll er umgesetzt werden. Ein Jahr lang redeten Umweltschützer, Agrarexperten, Landwirte, Mäster darüber, wie sich das Leben in den Riesenställen verbessern ließe – ohne den Profit zu schmälern. Auch Henry Meerbeek war dabei.
Hinterher lobten die Beteiligten, wie sehr sich alle Seiten aufeinander zu bewegt hätten. Der Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) nannte die 131 Empfehlungen dann eine "Grundlage". Man müsse jetzt erst einmal sehen, ob und wie sich das Ganze finanzieren lasse. Er gebe zu, dass der "Geflügelbereich ein bisschen schwieriger" sei. Der neu angestellte Tierschutzbeauftragte des Landes darf weder Ställe inspizieren noch Strafen verhängen. Er hat nicht einmal ein eigenes Budget.
Henry Meerbeek nennt es auch nach den vielen Diskussionen "weltfremd", Tierhaltung, wie er sie betreibe, abschaffen zu wollen. "Ich verstehe das ganze nicht. Wenn jemand die nötige Fläche, die Absatzverträge hat, es sich rechnet - wieso soll er es dann nicht machen?", fragt er.
Neue Ställe genehmigt zu bekommen, könne mehrere Jahre dauern, weil die Auflagen immer strenger würden, klagt Meerbeek. "Außenbereiche wie sie Tierschützer immer fordern, kann ich hier nicht bauen." Mehr Geflügel draußen bedeute mehr Kot und damit mehr Emissionen - das erlaube dann der Umweltschutz wieder nicht.
Und selbst wenn er das tue: Die Hochleistungsrasse in seinen Ställen ist für ein Leben im Freien gar nicht gedacht. Die Vögel sind schwer auf der Brust und schwach in den Beinen. Draußen drohen Greifvögel, eingeschleppte Krankheiten, Stress. Zweieinhalb Kilo in 38 Tagen sind so nicht zu schaffen.
Man darf es mit dem Tierwohl also nicht übertreiben, zeigt dieses Geschäftsmodell. Wird das Brandenburger Geflügel teurer, liefern eben Fleischfabriken aus Brasilien, Polen, der Ukraine. "Die über der Oder warten schon", so formuliert es Henry Meerbeek. Für ihn ist nur entscheidend, dass er am Ende einwandfreie Ware liefert.
Durch die kahlen Kiefern vor seinem Haus kann er den Schlachthof gegenüber sehen, 80 Prozent seiner Hähnchen liefert er dorthin. Im Moment bekommt er knapp 89 Cent pro Kilo Lebendgewicht. Wenige Cent davon bleiben als Gewinn hängen.
Jeden Spätsommer fährt Meerbeek mit seiner Frau für zwei Wochen in den Urlaub nach Kroatien. Ansonsten pendelt er zwischen Stall, Büro und den Wohnräumen nebenan. Seine Söhne wollen die Firma nicht übernehmen. Er könne gut von seinem Geschäft leben, sagt Henry Meerbeek. Reich ist er damit nicht geworden.
Bevor er Feierabend macht, geht er nochmal an seinen Schreibtisch. Er rechnet aus, ob die Hühner heute genug gefressen haben. 24 Tage bleiben ihnen noch. Ein Wachstumsschub, der erst im Schlachthaus endet. Um kurz vor neun gehen die Neonröhren in den Ställen aus. Dann hört man dort keinen Mucks mehr.
Sendung: Inforadio, 01.01.18, 09:45 Uhr
Beitrag von Sebastian Schneider, rbb|24
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