rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Video: ARD Mittagsmagazin | 12.09.2019 | Steffi Groth | Quelle: imago-images/Carsten Thesing

Interview | Aldi in der Markthalle Neun

"Es gibt keinen Konflikt zwischen uns und der Nachbarschaft"

Ein Aldi-Markt soll aus der Markthalle Neun in Kreuzberg verschwinden, Anwohner wollen das verhindern. Weil der Bezirk als Vermittler noch nicht tätig geworden ist, ist für Samstag eine weitere Kundgebung geplant. Der Betreiber zeigt sich im Interview gesprächsbereit.

rbb: Herr Niedermeier, Sie und ihre Geschäftspartner sind vor acht Jahren mit dem Konzept angetreten, einen kleinteiligen Lebensmittelmarkt mit Ausrichtung auf die Nachbarschaft zu schaffen. Heute sehen Sie sich lautstarken Protesten ausgesetzt. Sind Sie mit Ihrem Konzept gescheitert?

Florian Niedermeier: Nein. Das Motto "Halle für Alle" war für uns weniger Konzept, als vielmehr eine Fragestellung, ein andauerndes Experiment. Es gab den Punkt, an dem Berlin entschieden hat, die Halle zu verkaufen, weil sie von den Zahlen her nicht mehr positiv bewirtschaftet werden konnte. Als wir übernommen haben, war die Hoffnung, dass hier Strukturen, die überall verloren gehen, weiterhin bestehen. Also etwa, dass ich meinen Bäcker habe, dem ich vertraue, meinen Metzger, Gemüsehändler und den Bauern persönlich treffe. Was wir hier haben im Gegensatz zu anderen Kiezen, das sind 50 bis 60 Betriebe, die etwas anbieten, was rundherum mehr und mehr verschwindet, nämlich Kleingewerbe und Lebensmittelhandwerk.

Das klingt theoretisch gut – aber Anwohner klagen, statt einer "Halle für Alle" gebe es praktisch vor allem eine Eventhalle mit hochpreisigen Luxusprodukten, ausgerichtet auf Touristen.

Bäcker und Bauern leben nicht von Tourismus. Der Tourist kauft kein Gemüse. Davon könnte der Markt nicht leben. Am Donnerstag sind viele Touristen dabei, da ist der Streetfood Markt. Es wirkt aber touristischer als es ist. Gerade mittags sieht man das. Da kommen viele Leute aus umliegenden Betrieben zum Mittagessen, die sprechen Englisch. Daher stammt der Verdacht, dass die Halle immer touristischer werde. In meiner Wahrnehmung sind das keine Touristen, sondern Leute aus aller Welt, die jetzt hier leben und arbeiten. Das sind Kreuzberger, Nachbarn.

Was ist mit den Kreuzbergern und Nachbarn, die schon länger hier leben, sollten die nicht genauso mitgenommen und nicht außen vor gelassen werden?

Die Nachbarn sind unsere Kunden. Die sind wichtig, deshalb machen wir das. Wir haben das mal erhoben, daher weiß ich, dass mit großem Abstand unsere Nachbarn die Kundschaft stellen. Was das Einkommen betrifft, ist das völlig gleichmäßig verteilt – von 500 Euro frei verfügbarem Einkommen bis über 5.000. (Im Interview ist die Rede von frei verfügbarem Einkommen, bei dem die Kosten für Lebensmittel bereits abgezogen sind. Die besagte Erhebung aber hat das monatliche Haushaltsnettoeinkommen abgefragt. Anm. d. Red.)

Hier im Kiez leben auch viele einkommensschwache Menschen, die ohne den Aldi um ihre bezahlbare Nahversorgung fürchten.

Subjektiv kann ich das nachvollziehen. Objektiv ist es so, dass kein Mensch Angst haben muss, dass es keinen Aldi mehr gibt. Ehrlich gesagt glaube ich, dass die Nahversorgung hier im Kiez gewährleistet ist. Es gibt den Lidl. Der niedergebrannte Netto wird auch wieder aufgebaut.

Selbst Leute, die bereit wären, kleinteilig auf dem Markt einzukaufen, beklagen nicht nur die Preise, sondern auch, dass die Stände nicht immer besetzt und unter der Woche oft leer sind.

Deswegen ist das sogenannte Vollsortiment ein wichtiger Punkt. Ich glaube, die perfekte Mischung wäre, dass die Frische und das Lebensmittelhandwerk auf dem Markt sind und das Ergänzungssortiment beim Discounter. Deshalb hatten wir überlegt, dass wir den Aldi durch einen DM ersetzen, der das Vollsortiment ermöglicht, aber den Frischebereich dem Markt überlässt. Ich verstehe, wenn Leute sagen, "Mist, ich krieg hier Dienstagfrüh keine Milch" – aber das kann man lösen.

Wie wollen Sie das lösen?

Ich glaube, dass wir eine Grundversorgung anbieten können, wenn sie nachgefragt wird. Wenn die Zeiten dann ungünstig sind, kann man das ändern. Aber wenn man sagt 'Ich möchte den Komfort, den mir der Discounter bietet, dass ich jederzeit alles zum maximal günstigen Preis bekommen kann', dann verstehe ich zwar, dass das angenehm ist. Aber es verursacht eben auch, dass sich die anderen Anbieter nicht halten. Wenn die Nachfrage steigt, hieße das, wir könnten einen zweiten Gemüsebauern daneben stellen. Man könnte sagen, der eine kommt vormittags, der andere nachmittags. Die Gestaltungsfreiheit wäre dann viel größer und da sind dann auch alle bereit, das zu machen. Wir wollen so wahrgenommen werden und als Marktgemeinschaft diesen Komfort bieten.  

In den vergangenen Monaten gab es lautstarke Proteste von Anwohnern und Initiativen. Macht Ihnen die Kritik zu schaffen?

Wenn manche Leute laut werden, finde ich das nicht schlimm. Das Problem ist nur, dass andere nicht gehört werden, die leiser, aber genauso wichtig sind. Für mich ist es auch kein Konflikt zwischen uns und der Nachbarschaft. Die Nachbarschaft, die gibt es nicht. Es gibt einige Leute, die meinen, für die Nachbarschaft zu sprechen. Die Nachbarschaft ist nicht eine Gruppe - die ist divers und verändert sich. Es gibt hier nicht die Situation Aldi versus Händlerschaft versus Nachbarschaft. Es gibt Leute, die kaufen beim Aldi alles ein, gehen dann zum Stand und kaufen Kuchen. Oder jemand kauft auf dem Markt ein, geht in den Aldi und holt Toilettenpapier. Das ist die Realität, die Mischung.

Sie haben eingangs gesagt, dass alles sei ein andauerndes Experiment. Wie läuft Ihr Experiment "Halle für Alle" bisher?

Wir bemühen uns. Wir schauen in Richtung der Wertschöpfungskette an den Anfang, sehen den Produzenten. Dann kommt die Kundschaft und sagt: 'Alles zu teuer, ihr seht mich gar nicht.' Da den Spagat zu schaffen, alles im Blick zu haben und in den Dialog zu gehen, das ist unser Ziel.

Der vom Bezirksamt vor Monaten angekündigte Dialogprozess ist mittlerweile in Vorplanung. Verstehen Sie den aktuellen Konflikt auch als Chance?

Absolut. Wir wollen weiterdiskutieren und weiterkommen. Wir wollen 2.800 Quadratmeter anders bewirtschaften. Ich wünsche mir, dass man dieses Experiment zulässt und nicht sagt: 'Wir müssen überall gleich sein und deshalb hier Discount machen'. Aber wir wollen zeitgleich die Grundversorgung gewährleisten, deshalb gehen wir in den Dialog und meinen das ernst. Zeitgleich brauchen wir die Dialogbereitschaft der Anwohner.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Stefanie Groth, ARD-Mittagsmagazin.

Sendung: Mittagsmagazin, 12.09.2019, 13:00 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen