Weniger Lehrstellen durch Corona
Durch die Corona-Krise wollen viele Betriebe im Herbst weniger Ausbildungsplätze anbieten. Auf die Perspektiven Geflüchteter wirkt sich das drastisch aus. Für sie geht es um viel mehr als ihre berufliche Zukunft. Von Jule Käppel
"Ich würde mir wünschen, dass alle Mitarbeiter diesen Elan an den Tag legen, den die beiden Jungs haben. Die geben sich Mühe und haben einfach eine Chance verdient", sagt Elektromeister Jörg Witt aus Berlin-Kaulsdorf mit einem stolzen Lächeln. Vor einem Jahr hat er entschieden, dass zwei Geflüchtete eine Berufsausbildung in seinem kleinen Handwerksbetrieb erhalten sollen: Oveis, 34 Jahre alt, stammt aus dem Iran, der 24jährige Estifanos aus Eritrea.
Ihr Chef ist hochzufrieden mit ihnen. "Der deutsche Handwerker guckt ja doch schon mal ganz gern auf die Uhr, wenn Feierabend ist. Die Jungs ziehen einfach durch, bis es fertig ist. Sie sind freundlich, und man kann auch mächtig viel von ihnen über seine eigene Kultur lernen." Bei den Kunden gibt es anfangs Hemmschwellen, sagt Witt. "Aber, wenn die merken, wie die arbeiten, verschwinden die ganz schnell wieder."
Dennoch haben es Geflüchtete schwer, eine Ausbildung zu bekommen, und es wird nicht leichter. Die Pandemie löst auf dem Lehrstellenmarkt eine Schock-Reaktion aus. Die Zahlen aus einer Umfrage des Zentralverbandes Deutsches Handwerk zeigten im April, dass ein Viertel der befragten Betriebe im Herbst weniger Ausbildungsplätze anbieten will.
Das trifft insbesondere geflüchtete Menschen, sagt Anja Piel vom Bundesvorstand Deutscher Gewerkschaftsbund: "Dadurch, dass es jetzt deutlich weniger Ausbildungsplätze gibt, potenziert sich diese Benachteiligung, die Geflüchtete durch mangelnde Sprache oder schlechte Schulabschlüsse haben. Sie sind unter den Wenigen, die genommen werden, noch weniger."
Im Elektrobetrieb müssen die Azubis noch anderthalb und zwei Jahre lernen. Mit dem Abschluss verbessert sich ihre Perspektive auf eine Zukunft in Deutschland. Für den Iraner Oveis ist die Lehre ein Rettungsanker. "Dank meiner Ausbildung darf ich bleiben", sagt er, "aber ich muss jedes Jahr meinen Aufenthalt verlängern. Wenn ich die Ausbildung nicht schaffe, werde ich abgeschoben, denke ich."
Estifanos aus Eritrea hat eine gute Bleibe-Prognose. Er lebt bei einer deutschen Familie und hat damit zusätzlich zur Ausbildung beste Voraussetzungen für die Integration. Für die Gastfreundlichkeit möchte er sich revanchieren: "Wenn ich meine Lehre abgeschlossen habe, kann ich zuhause helfen, Dinge zu bauen oder zu reparieren."
Bei Jörg Witt haben die beiden die Aussicht auf eine Weiterbeschäftigung nach der Ausbildung. Er möchte sich persönlich für seine "Jungs" stark machen, denn eine Abschiebung ist für sie mit bedrohlichen Folgen verbunden, sagt ihr engagierter Chef. "Wenn man sie jetzt wirklich zurückschicken würde, würde Estifanos sofort verhaftet und ins Gefängnis kommen. Oveis hat ja seinen muslimischen Glauben abgelegt und ist zum Christentum übergegangen, weil er eine christliche Ehefrau hat. Wenn er wieder zurückgehen würde, würden sie ihn steinigen oder Ähnliches. Die kann man eigentlich nicht mehr zurückschicken."
Er fügt kämpferisch hinzu: "Die kriegen die Chance bei mir, sich zu integrieren und die sollen sie auch kriegen!"
In Deutschland gehen zwei Drittel aller Menschen mit Fluchthintergrund, die sich um eine Ausbildung bemühen, leer aus. Sie werden auf dem Lehrstellenmarkt nicht berücksichtigt und ihre Chancen stehen nach der Pandemie noch schlechter.Beitrag von Jule Käppel
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