Hohe Baupreise und Umweltschutz
Neubauten verursachen deutlich mehr CO2-Emissionen als eine Sanierung oder ein Umbau von Bestandsgebäuden. Architekten und Umweltschützer fordern deshalb ein Umdenken, und das nicht nur aus Umweltgründen. Von Anja Dobrodinsky und Franziska Ritter
Im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bundesweit rund 14.000 Gebäude abgerissen worden, obwohl Wohnraum vielerorts knapp ist - und obwohl der Neubau mehr Ressourcen verschlingt und CO2-Emissionen verursacht als die Sanierung bestehender Gebäude. Wahrscheinlich ist die Zahl sogar noch höher, denn in Deutschland braucht man – abgesehen von Berlin – keine Genehmigung, um Gebäude abzureißen.
"In diesen Gebäuden sind wahnsinnig viele Materialien verbaut. Wir haben sie uns teuer erkauft und können nicht einfach abreißen und neu bauen, als gäbe es kein Morgen", mahnt Michael Wicke von den "Architects for Future", einem Zusammenschluss von Architekten, die sich für eine Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad einsetzen. Sie fordern, dass mehr Bestandsgebäude saniert oder modernisiert werden. Abriss und Ersatzneubauten sollten ihrer Meinung nach nur das letzte Mittel sein.
Die Deutsche Umwelthilfe, die diese Forderung unterstützt, hat beispielhaft eine Liste mit Gebäuden zusammengetragen, die abgerissen werden, ohne dass dies Vorteile fürs Klima brächte. Sie verweist unter anderem auf ein Hortgebäude im brandenburgischen Schildow, das aus den 1930er Jahren stammt und zuletzt im Jahr 2000 saniert wurde. Es soll durch einen Neubau ersetzt werden.
"Was dabei bemerkenswert ist: In beiden Varianten entstehen 400 neue Plätze für die Kinder, also nicht ein einziger Hortplatz mehr, obwohl man neu baut. Durch den Abriss und Neubau entstehen allerdings Mehrkosten von 3,4 bis 3,7 Millionen Euro", rechnet Paula Brandmeyer von der Deutschen Umwelthilfe vor.
Ein weiteres Beispiel aus Berlin: Im Mettmannkiez in Berlin-Wedding sollen mehrere Gebäude mit 140 Wohnungen abgerissen werden, damit die Bayer AG dort ihr Werk ausweiten kann. Die Häuser in der Tegeler Straße und Fennstraße müssen weichen, weil sie auf einer Gewerbenutzfläche stehen und es dafür keinen Bestandsschutz gibt. Bislang sind sie nur verschont geblieben, weil sich in den Gebäuden offenbar Fledermäuse eingenistet haben, die unter Naturschutz stehen. Im Bezirk gibt es laut Paula Brandmeyer 130 weitere Gebäude, die das gleiche Schicksal ereilen könnte.
Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe sieht strukturelle Probleme: Die aktuellen Regelwerke und Fördersysteme setzten Fehlanreize für den Abriss bestehender Gebäude. "Der gesamte Lebenszyklus von Gebäuden muss in den Blick genommen werden", mahnt sie und mahnt Veränderungen im Gebäudeenergiegesetz an, das 2023 novelliert wird. Bis dahin fordern Umwelthilfe und Architects for Future den Abriss bestehender Gebäude zu stoppen.
Natürlich ist ein neues Haus meist energieeffizienter als ein altes. Rechnet man aber die Rohstoffe, den Transport, den Bau, den Betrieb und im Zweifel auch den Abriss des Vorgängergebäudes der Gebäude mit ein, dann verschlingt ein Neubau viel mehr Ressourcen als ein bestehendes Haus.
Deshalb plädiert auch Reiner Nagel, Vorstand der Bundesstiftung Baukultur in Potsdam, für mehr Umbau. Rund die Hälfte der leerstehenden Bürogebäude ließe sich ohne großen Aufwand zu Wohnungen umbauen. "Umbauen oder weiterbauen heißt auch, dass man auf ein Bestandsgebäude aufstockt", sagt er und spricht von einem Aufstockungspotenzial von 2,4 Millionen Wohnungen.
Supermärkte, Bürohäuser und Parkhäuser bieten viel Platz für zusätzliche Stockwerke. Allerdings gibt es rechtliche Hürden. Denn für große Umbauten gelten hierzulande dieselben Bauvorschriften wie für den Neubau. Deshalb müssen auch bei Umbauten strenge Vorgaben zu Energieeffizienz, Schallschutz, Brandschutz, Abstand, Barrierefreiheit und Zahl der Parkplätze eingehalten werden.
Das bremst laut Reiner Nagel das Umbaugeschehen: "Ein Gebäude, das vor 50 Jahren errichtet worden ist, kann den Brandschutz von heute nicht mehr erfüllen. Deshalb müsste man eine Privilegierung einführen, die sagt, für den Bestand gelten die Normen, die zur damaligen Bauzeit galten."
Der Umbau von Gebäuden hat noch einen weiteren Vorteil gegen über dem Neubau, erklärt Reiner Nagel von der Bundesstiftung Baukultur: "Wenn man jetzt zum Beispiel Baustoffengpässe hat oder Materialengpässe oder Kostenengpässe aufgrund von Zinsen, dann kann man entscheiden, wann man was macht." Ein Umbau in kleinen Häppchen sozusagen, was beim Neubau natürlich nicht geht.
Doch auch für einen Umbau braucht es Rohstoffe, die nur selten aus dem Recycling stammen. Dabei fallen jährlich rund 250 Millionen Tonnen Abfall auf dem Bau an, erläutert Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes. "Tatsächlich recycelt wird ungefähr eine Größenordnung von 13 Prozent. Das liegt daran, dass wir keinen Produktstatus für Recyclingmaterial haben. Kein Bürgermeister sagt, ich bau mit Recyclingmaterialien einen Kindergarten, weil das ist juristisch Abfall." Jedes recycelte Material, wie Fenster, Lehm oder auch Fertigteile, brauche eine Zulassung im Einzelfall. Um das zu ändern, müssten die Bauordnungen reformiert werden.
Sendung: rbb24 Abendschau, 12. Dezember 2022, 19:30 Uhr
Beitrag von Anja Dobrodinsky und Franziska Ritter
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