Fachkräftemangel in der Filmbranche
Wo früher Menschen Schlange standen für ein unbezahltes Praktikum, ist jetzt der Kampf um gute Leute entbrannt. Der Fachkräftemangel hat die Filmbranche erreicht. Die sucht jetzt nach neuen Wegen für die Nachwuchsausbildung. Von Julia Baumgärtel
Wer früher beim Film arbeiten wollte, musste sich manchmal vom Kabelträger zum Produktionsleiter hocharbeiten. Heute werden die meisten dieser Arbeiten nicht mehr von der Generation Praktikum erledigt, sondern von gefragten Fachkräften. Und die können sich ihre Jobs offenbar aussuchen. Insider erzählen, dass sich Produktionsfirmen gegenseitig mit Angeboten überbieten und einander etwa die Beleuchter:innen wegschnappen.
Der große Bedarf ist kein Wunder, denn der Markt boomt. Die Filmförderung Medienboard Berlin Brandenburg gibt an, dass sich die Anzahl der Drehtage in der Region in den letzten zehn Jahren von 1.107 (2012) auf aktuell 6.200 (2022) fast versechsfacht hat. Quer durch alle Berliner Bezirke und Brandenburger Landkreise fällt im Schnitt 17mal am Tag die Filmklappe.
Laut Pressemitteilung der Allianz Deutscher Produzenten - Film & Fernsehen (kurz: Produzentenallianz) herrscht in nahezu allen Bereichen Personalmangel. Vor allem in der Produktionsleitung und Filmgeschäftsführung - also Menschen, die sich um die Finanzen einer Produktion kümmern – fehlen Fachkräfte. Aber auch für Aufnahmeleitung, Produktionsassistenz und Editing wird Personal gesucht - und die Liste ist noch länger.
Vier von fünf Unternehmen in der Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft der Hauptstadtregion berichten von Problemen bei der Stellenbesetzung, sagt Jeannine Koch, Vorstandsvorsitzende des Netzwerkvereins Medianet berlinbrandenburg e.V.. In Brandenburg sei der Anteil sogar noch höher. "Es ist höchste Zeit, für diesen Bedarf Lösungswege zu erarbeiten."
Bisher hält sich noch hartnäckig das Gerücht, das Filmbusiness sei eine Art geschlossene Gesellschaft. Das habe sich längst geändert, sagt Juliane Müller von der Produzentenallianz. "Die Filmbranche ist kein 'closed shop' mehr, keine geschlossene Gesellschaft. Handwerkliche, technische oder organisatorisch-kaufmännische Fähigkeiten, alles wird gebraucht beim Film". Die Branche benötige dringend mehr Ausbildungsangebote.
Unbezahlte Praktika gehören meist der Vergangenheit an. Denn über das Berufsbildungsgesetz haben viele Praktikant:innen inzwischen Anspruch auf Mindestlohn.
Die Ufa GmbH ist da schon unterwegs. Seit Mai 2022 können in der neu gegründeten Ufa Academy Quer- oder Wiedereinsteiger:innen ein zweijähriges Traineeprogramm durchlaufen. Angeboten wird jeweils eine Traineestelle in den Bereichen Regieassistenz, Aufnahmeleitung, Script/Continuity und Filmgeschäftsführung. Denn an diesen Stellen fehlen der Ufa, die im großen Stil Fernsehunterhaltung produziert, Fachkräfte. Bewerben konnten sich alle Interessierten im Alter von 25 bis 60 Jahren. Bezahlt wird die Ausbildung mit dem Mindestlohn.
Die Chancen auf eine Übernahme im Anschluss sind nicht schlecht, die Verdienstmöglichkeiten auch nicht: Laut Verdi-Gagentabelle für Film- und Fernsehschaffende verdient etwa eine Regieassistentin ab dem 1.4.2023 pro Woche 1.553 Euro. Allerdings sind das Gagen, die nur projektweise bezahlt werden.
Lisa Jorge ist eine der ersten Trainees der Ufa und möchte Regieassistentin werden. Bisher war die 32-Jährige als Krankenschwester beschäftigt, jetzt will sie kreativer arbeiten. "Unübliche Arbeitszeiten kenne ich schon. Ich habe im Schichtsystem gearbeitet. Jetzt habe ich auch mal Vorbereitungstage, wo ich ein Drehbuch lesen kann. Ansonsten hat ein Drehtag zehn Stunden. Es ist super interessant", sagt die Potsdamerin.
Ufa-Geschäftsführer Joachim Kosack sieht eine große Chance darin, Quereinsteiger für seine Firma zu gewinnen: "Es handelt sich um Berufe, die man nur 'On the Job' ausbilden und lernen kann. Aufnahmeleiter beispielsweise werden an keiner Hochschule ausgebildet. Daher kam die Idee, die Ufa Academy zu gründen."
Die vier Trainee-Stellen finanziert die Ufa derzeit in Eigenregie, aber das soll nur ein Anstoß sein, das Modell breiter anzulegen. Sobald mehr Firmen und Institutionen beteiligt sind, könnte aus der Idee eine gemeinsame Media Academy für Berlin und Brandenburg werden.
Die Planungen dafür sind offfenbar schon sehr konkret: "Es wird angestrebt, bis Frühsommer 2023 die Grundlagen für eine Unterstützung der regionalen Media Academy durch die Länder Brandenburg und Berlin zu schaffen", schreibt das Brandenburger Wirtschaftsministerium. Und auch Berlin signalisert bereits Entgegenkommen, auch in finanzieller Hinsicht: "Wir müssen gemeinschaftlich einen Weg finden, wie wir etwas Gutes organisieren. Und da ist Berlin absolut bereit", sagt der Staatssekretär der Senatsverwaltung für Wirtschaft Berlin, Michael Biel, dem rbb.
Den Rahmen für eine solche Media-Academy könnte etwa das gemeinnützige Erich-Pommer Institut bieten – einer der großen Weiterbildungsanbieter in der deutschen und europäischen Medienbranche.
Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin vom Medienboard Berlin Brandenburg, sieht gute Chancen für alle, die beim Film arbeiten wollen. Die Branche boome, Streamingdienste produzierten in Serie, da seien selbst die höher dotierten Positionen zu haben, sagt sie. Derzeit bekomme die Filmförderanstalt zum Beispiel Anträge, in denen bei der Position "Regie" noch kein Name stehe, weil der Posten noch nicht vergeben werden konnte.
Die Lage sei günstig für Frauen, die Karriere beim Film machen wollen, sagt Niehuus. Bisher hätten vor allem in der Regie die Männer deutlich dominiert – obwohl an den Filmhochschulen mehr Frauen einen Regieabschluss machten. "Die Quote, wie viele Männer und Frauen als Regisseur:innen arbeiten, hat sich deutlich verbessert", sagt Niehuus. "Der Fachkräftemangel ist auch eine Chance für Nachwuchstalente, in dem Bereich Fuß zu fassen und verbessert die Chancengleichheit für Frauen."
Ein wichtiger Punkt, der sich im Filmgeschäft vermutlich noch ändern müsste: die Arbeitsbedingungen. Denn Drehtage können lang sein. Wenn eine Produktion 30.000 bis 40.000 Euro pro Tag kostet und bis zu 100 Leute am Set arbeiten, wird das Maximum herausgeholt.
Auch an diesem Punkt spürt die Branche Veränderungsdruck. "Für viele ist der sogenannte Wanderzirkus nicht mehr so attraktiv, die Work-Life-Balance wird wichtiger", sagt Juliane Müller von der Produzentenallianz PAIQ. "Genau an diesen Fragen arbeiten wir als Sozialpartner schon seit geraumer Zeit." Das Umdenken beginnt auch bei der Ufa: "Wir müssen über flexiblere Arbeitszeitmodelle oder Job-Sharing nachdenken. Das geht nicht in allen Gewerken, aber da, wo es möglich ist", sagt Geschäftsführer Joachim Kosack.
Trainee Lisa Jorge zeigt sich schon jetzt ganz zufrieden, immerhin muss sie keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr machen. Nur an die eisigen Temperaturen bei Außendrehs musste sie sich gewöhnen: "Aber man kann sich ja gut einpacken."
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 13.02.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Julia Baumgärtel
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