Signa und Berlin
Die Bauprojekte von Signa-Investor René Benko sind imposant - das unternehmerische Handeln des Galeria-Karstadt-Kaufhof-Eigners umstritten. Die einen sehen in ihm den Retter der Warenhäuser - die anderen werfen ihm vor, genau diese in den Ruin zu treiben. Von Oda Tischewski
Ein graues Netz umspannt die Karstadt-Filiale am Leopoldplatz – seit Jahren. Es soll verhindern, dass herabfallende Teile der Fassade Passanten verletzen. Drinnen tropft Regenwasser in die Auslagen. Seit Jahren ist an dem Gebäude an der Müllerstraße nichts gemacht worden.
Anya Sever arbeitet hier seit 32 Jahren, zwei Drittel dieser Zeit herrschte Krisenstimmung: Immer wieder wechselte der Besitzer der Warenhauskette, immer wieder stand die Filiale vor dem Aus. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen hat Anya Sever auf Weihnachtsgeld verzichtet, auf Urlaubsgeld, auf den Flächentarifvertrag – und blieb immer loyal. "Ich mag den Laden wirklich. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Bewerbung geschrieben", sagt die gelernte Fachverkäuferin für Herrenkonfektion.
Zuletzt sollte ihre Filiale während der Insolvenz 2020 geschlossen werden. Dann unterschrieben zwei Töchter der Signa Holding - die Immobiliensparte Signa Real Estate und der Warenhausbetreiber Galeria Karstadt Kaufhof - einen Deal mit dem rot-rot-grünen Senat: Die Arbeitsplätze am Leopoldplatz und an drei weiteren Berliner Standorten werden für mindestens drei Jahre erhalten – dafür kommt der Senat der Signa Real Estate baurechtlich bei ihren Plänen am Alexanderplatz, am Hermannplatz und am Kurfürstendamm entgegen.
Hinter der Signa Holding steht der österreichische Milliardär René Benko. Spätestens seit er 2015 den angeschlagenen Kaufhauskonzern Karstadt übernommen und 2018 mit dessen ewigem Konkurrenten Kaufhof fusioniert hat, spielt sein Name in den meisten deutschen Städten und Fußgängerzonen eine wichtige Rolle.
Im Fall der Filiale am Leopoldplatz ist inzwischen klar: Spätestens Ende Januar 2024 ist Schluss, es bleibt bei den der Politik zugesagten drei Jahren Mindestdauer. Anya Sever und ihre Kolleginnen und Kollegen erwarten in den nächsten Wochen ihre Kündigung. Drei bis fünf Jahre wird es dauern, bis die Signa Real Estate am Leopoldplatz ein neues, modernisiertes Warenhaus gebaut hat. Für Anya Sever wird das zu spät sein.
Während SPD und Noch-Bausenator Andreas Geisel (SPD) nach wie vor zu dem 2020 getroffenen Deal mit dem Investor stehen, sehen Grüne und Linke den sogenannten Letter of Intent inzwischen kritisch: "Ich habe Signa auch damals schon nicht für einen verlässlichen Partner gehalten, sondern für eine Immobilienverwertungsmaschine", sagt der scheidende Vize-Bürgermeister der Linken, Klaus Lederer. Die Signa habe 2020 – angesichts von Pandemie und Insolvenz – eine Notlage ausgenutzt, in der Berlin gezwungen war, zu handeln. Der Vorstands-Chef der Signa Real Estate sieht hier keinen Zusammenhang: "Der Letter of Intent artikuliert zwei politische und unternehmerische Ziele, ohne zu versuchen, sie in eine Abhängigkeit zu bringen", so Timo Herzberg.
Der Warenhausbetrieb ist nur ein Teil von Benkos Geschäftsmodell – der andere ist die renditeträchtige Entwicklung von Immobilien in zentralen Top-Lagen, Immobilien, auf denen nicht selten Warenhäuser stehen. Zuletzt hat der zur Signa-Holding gehörende Kaufhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof abermals Insolvenz angemeldet. Ende März entscheidet sich, welche Filialen diesmal geschlossen werden – und welche Gebäude anders genutzt werden können.
Susanna Kahlefeld von den Grünen geht noch einen Schritt weiter: Die Abgeordnete fühlt sich an Erpressung erinnert. Sie verweist auf die schwierige Situation 2020, als vielen Berliner Karstadt-Mitarbeitenden die Kündigung drohte – aus ihrer Sicht eine Gelegenheit für die Signa, im Tausch für den Erhalt dieser Arbeitsplätze beim Thema Baurecht voranzukommen. Als Expertin für Bürgerbeteiligungsverfahren hat Grünen-Politikerin Kahlefeld die Signa vor allem im Zusammenhang mit dem Bauprojekt Karstadt am Hermannplatz kennen gelernt. Hier will Signa den bestehenden Nachkriegsbau durch eine Replik seines spektakulären Vorgängers aus den 1920er Jahren ersetzen.
"So wie Signa in den Bezirken und im Abgeordnetenhaus aufgetreten ist, ist klargeworden, dass ihnen die Nutzung im Gebäude ziemlich egal ist", kritisiert Kahlefeld. Immer wieder hätten Vertreter der Signa verschiedenen Gesprächspartnern verschiedene Planungen vorgelegt, teils in kurzem zeitlichen Abstand. Timo Herzberg, dessen Signa Real Estate das Gebäude entwickelt, erklärt auf Nachfrage, dass noch nicht feststehe, welche Nutzung mit welcher Gewichtung im Haus untergebracht werde – tatsächlich klingt er dabei vage: "Unsere Vorstellungen reichen von einer Kita über Einzelhandel, gastronomische Angebote, natürlich auch Büroflächen, Wohnungen – all das ist uns wichtig, um ein lebendiges Quartier zu schaffen", so formuliert es Vorstands-Chef Timo Herzberg.
Am Ort des Geschehens rund um den Hermannplatz könnte der Kontrast derzeit nicht größer sein: Rund um den Platz lagern zahlreiche Obdachlose in Schlafsäcken. Im Café Pala, das an das Karstadt-Gebäude angrenzt, servieren Männer mit Dutt Kaffeespezialitäten mit Hafermilch - und die Website des Cafés zeigt Signas Utopie vom Karstadt am Hermannplatz à la Babylon Berlin: Ein hoch aufragendes Gebäude mit zwei charakteristischen Lichttürmen an einem sauberen Hermannplatz – ganz ohne Obdachlose.
"Ich würde mich freuen, wenn es fünf Apartments geben würde für die Notunterbringung obdachloser Menschen", sagt Jörg Richert von der Karuna Sozialgenossenschaft. Karuna war in der Vergangenheit auch an Signa-Veranstaltungen auf dem Karstadt-Gelände beteiligt. Fragt man den Vorstands-Chef der Signa Real Estate nach Jörg Richerts Traum, ist die Antwort ernüchternd. "Ich persönlich kann mir eine Unterkunft für Obdachlose an dem Standort nicht vorstellen", so Timo Herzberg.
Mitglieder der Bürgerinitiative Hermannplatz fürchten, dass Signa nur solche Anwohnerinnen und Anwohner in ihre Pläne mit einbezieht, die auch als Kundschaft im neuen Karstadt interessant wären. "Es geht um eine allmähliche Auswechslung der Mieterschaft und der Käuferschaft in den Kiezen rund um den Hermannplatz – davor habe ich eine gewisse Angst", sagt Joachim, der seit vierzig Jahren in der Nachbarschaft lebt.
Doch die Initiative hat einen Weg gefunden, um sich Einfluss zu verschaffen: Für einen Euro haben sie einen leerstehenden Kiosk gekauft und bauen ihn zur Protestzentrale aus – nur etwa zehn Meter von der Fassade des Kaufhauses entfernt und wenige Quadratmeter groß. Das reicht: Als Eigentümerin muss die Initiative bei der weiteren Planung berücksichtigt werden.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 09.03.2023, 6:45 Uhr
Beitrag von Oda Tischewski
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