Interview | Familiensoziologin Uta Brehm
Der Anteil der Menschen, die in Teilzeit arbeiten, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Warum ist das so? Familiensoziologin Uta Brehm spricht über Ursachen und Auswirkungen von Teilzeitjobs - in Großstädten und Flächenländern.
rbb|24: Frau Brehm, warum hat der Anteil der Menschen, die einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung nachgehen, in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen?
Uta Brehm: Der Anzahl der Teilzeiterwerbstätigen hat insbesondere deswegen zugenommen, weil immer mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt gehen und dort Teilzeit arbeiten. Die freiwillige Teilzeiterwerbstätigkeit ist für sehr viele Mütter in den letzten Jahrzehnten ein Weg gewesen, sich am Erwerbsleben zu beteiligen.
Heute sind insbesondere bei Frauen zu einem erheblichen Teil von etwa 45 Prozent familiäre Verpflichtungen der Grund, warum sie in Teilzeit arbeiten – wobei dieser Wert während der Corona-Pandemie noch deutlich höher lag. Oftmals ziehen Mütter auch Teilzeit einer Vollzeiterwerbstätigkeit vor, sodass das Arbeitsvolumen, also die insgesamt gearbeiteten Stunden aller Frauen, trotz ihrer ansteigenden Erwerbsquote nur wenig zugenommen hat.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum in Berlin der Anteil der Männer, die Teilzeit arbeiten, so überdurchschnittlich hoch ist? Bundesweit liegt die Teilzeitquote bei zwölf Prozent, in Berlin bei 23,9 Prozent.
Das kann mehrere Ursachen haben. In Berlin haben wir auf der einen Seite ein Milieu, das sehr progressiv ist und auf Gleichstellung und Beteiligung der Väter an der Familienarbeit ausgerichtet ist. Wenn Väter stärker an der Betreuung ihrer Kinder beteiligt sind, arbeiten sie häufiger in Teilzeit. Diese Familienbeteiligung von Berliner Männern sehen wir auch im Elterngeldbezug. In Berlin hatte ein verhältnismäßig hoher Anteil von Vätern eine relativ hohe Zahl von Elterngeldbezugsmonaten. Sehr häufig ist dieser Elterngeldbezug auch mit Teilzeiterwerb verknüpfbar.
Teilzeitarbeit hängt aber auch mit der Branche zusammen. In den Städten, in denen es viele Dienstleistungsberufe oder auch universitäre Jobs gibt, ist Teilzeit eine üblichere Arbeitsform.
Ein weiterer Grund ist, dass in Berlin die unfreiwillige Teilzeiterwerbstätigkeit eine größere Rolle spielt.
Laut Mikrozensus haben in Berlin etwa zwölf Prozent der Männer und sechs Prozent der Frauen unfreiwillig einen Teilzeitjob. Warum ist das so?
Das hängt mit der Lage des Arbeitsmarktes zusammen. Bis 2010 war unfreiwillige Teilzeit, gerade unter Männern, genau wie Arbeitslosigkeit bundesweit noch ein deutlich größeres Thema als heute. Aktuell sind wir in einer Situation, wo wir den Fachkräftemangel spüren, und damit ist der Anteil Arbeitsloser und unfreiwillig Teilzeiterwerbstätiger deutlich geringer. In Berlin ist der Arbeitsmarkt im bundesweiten Vergleich aber in einer nicht ganz so guten Lage. Da steuern die Einzelnen der Arbeitslosigkeit oft entgegen, indem sie in Teilzeit arbeiten, weil sie keine Vollzeiterwerbstätigkeit finden – also unfreiwillig teilzeiterwerbstätig sind.
Die Zahlen nach Bundesländern zeigen, dass in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg Frauen im Gegensatz zu den meisten Flächenländern dennoch eine unterdurchschnittliche Teilzeitquote haben. Haben Sie dafür eine Erklärung?
In Berlin und Großstädten ist, wie gesagt, häufig das Milieu progressiver, sodass die Arbeitsteilung in der Familie häufig egalitärer ausgestaltet ist und auch Frauen stärker am Erwerbsleben und Karrieren teilhaben. Häufig ist auch die Kinderbetreuung besser ausgebaut oder näher, zumindest als in westdeutschen Flächenländern. Das ermöglicht vielen Frauen, höhere Stundenanteile oder eben auch Vollzeit zu arbeiten. Deswegen ist die Teilzeiterwerbstätigkeit von Frauen etwas geringer.
Wenn jemand viele Jahre in Teilzeit arbeitet, hat das auch Auswirkungen auf die Rente. Können Sie in Zahlen ausdrücken, wieviel weniger Rente zum Beispiel eine Frau bekommt, die 20 Jahre jeweils 20 Stunden pro Woche Teilzeit gearbeitet hat, weil sie sich um ihre Kinder gekümmert hat?
Es gibt interessante Studien zum Lebenserwerbseinkommen, zum Beispiel vom Hamburgischen WeltwirtschaftsInstitut (HWWI). Sie haben sich insbesondere das Lebenserwerbseinkommen westdeutscher Frauen angeschaut, die nach der Familiengründung häufiger gar nicht oder in Teilzeit arbeiten. Die Studie kam zum Ergebnis, dass das durchschnittliche Lebenserwerbseinkommen von Frauen am Ende der Berufstätigkeit nur etwa so halb so hoch ist wie das von Männern in vergleichbaren Berufen – ein wesentlicher Treiber dieses Unterschieds ist die Teilzeit.
Ähnliches sehen wir auch bei den Rentenansprüchen: In Westdeutschland sind die Rentenansprüche von Frauen im Mittel nur etwa halb so hoch wie bei Männern. Interessanterweise sehen wir das in Ostdeutschland, wo es eine lange Kultur von Vollzeiterwerbstätigkeit für Frauen gibt, nicht: Dort sind die Unterschiede zwischen den durchschnittlichen Renten für Männern und Frauen deutlich geringer. Wenn dauerhaft nur die Hälfte der Stunden gearbeitet wird, muss man auch damit rechnen, dass das Lebenserwerbseinkommen, Vermögenswerte und Rentenansprüche nur halb so hoch sind.
Ein niedrigeres Lebenserwerbseinkommen und eine deutlich niedrigere Rente - welche weiteren Probleme sehen sie im Zusammenhang mit Teilzeitarbeit?
Das Problem ist nicht so sehr in Teilzeit einzutreten, sondern, nicht mehr aus Teilzeit herauszukommen. Teilzeiterwerbstätigkeit ist häufig ein typischer Weg für Mütter, oft versehen mit einem Stigma, dass sie weniger engagiert im Beruf seien und häufiger für längere Zeit ausfielen. Dabei wissen viele von uns, wie produktiv und gut im Zeitmanagement gerade Mütter sind. Besonders problematisch ist aber, dass Müttern häufiger berufliche Chancen verstellt sind. Teilzeiterwerbstätigen Müttern werden zum Beispiel Projektverantwortlichkeiten, Fortbildungen oder weitere Karriereschritte seltener zugetraut. Das ist das wirklich große Problem der Teilzeitfalle.
Das sehen wir auch im Gender-Pay-Gap. Da gibt es den unbereinigten und den bereinigten Gender-Pay-Gap. Ein wesentlicher Grund, der diesen Unterschied erklärt, ist die Teilzeiterwerbstätigkeit: Im Mittel verdienen teilzeiterwerbstätige Personen brutto pro Stunde weniger als vollzeiterwerbstätige Personen. Dann kommt in Ehepaaren häufig noch das Ehegattensplitting obendrauf, was das Nettoeinkommen von teilzeiterwerbstätigen Frauen noch mal reduziert. Teilzeitarbeit ist ein komplexer Aspekt, der an so vielen verschiedenen Enden zu einer beruflichen und finanziellen Benachteiligung beiträgt, dass wir als Gesellschaft und auch die Politik genauer hinschauen müssen, um diese Benachteiligungen auszuräumen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Götz Gringmuth-Dallmer, rbb|24
Sendung: rbb24 Abenschau, 20.04.2023, 19:30 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen