Saisonkräfte auf Brandenburger Spargelfeldern - Vorbildliche Arbeitsbedingungen oder prekäre Verhältnisse?

So 16.04.23 | 13:16 Uhr | Von Kira Pieper
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Rumänische Erntehelfer ernten Spargel auf auf einem mit Folie abgedeckten Feld vom Spargelhof Kremmen. Spargel gilt als traditioneller Frühlingsbote auf dem Teller, doch die Anbaufläche für das heimische Gemüse in Brandenburg wird kleiner. Landwirte kämpfen mit höheren Kosten und Unwägbarkeiten beim Konsumverhalten, aber es herrscht zum Saisonstart auch Zuversicht. Auf den Feldern haben Erntehelfer die ersten Spargel-Stangen gestochen. Doch zum bevorstehenden Osterfest dürfte es heimische Gemüse in Brandenburg erst noch in kleinen Mengen geben (Quelle: dpa/Pleul)
Bild: dpa/Patrick Pleul

Um die Spargelernte in Brandenburg zu stemmen, greifen die Betriebe auf Saisonkräfte aus dem Ausland zurück. Diese bekommen seit dieser Saison den Mindestlohn von zwölf Euro. Die Gewerkschaft IG Bau befürchtet dennoch prekäre Arbeitsbedingungen. Von Kira Pieper

  • Die Erntehelfende bekommen seit dieser Saison einen Mindestlohn von zwölf Euro
  • Die Gewerkschaft IG Bau moniert dennoch die Behandlung der Arbeitskräfte
  • Sie würden nur unzureichend krankenversichert, ob der Mindestlohn tatsächlich gezahlt werden würde, sei nicht immer nachvollziehbar
  • Gartenbauverband und Spargelanbauer verweisen auf die strengen Kontrollen und guten Standards im internationalen Vergleich

4.000 bis 4.500 Saisonbeschäftigte werden 2023 laut Gartenbauverband Berlin-Brandenburg für die gerade begonnene Spargelernte in Brandenburg erwartet. Die meisten Erntehelferinnen und Erntehelfer kommen aus Polen und Rumänien.

Auf die Nachfrage von rbb|24, ob auch Saisonarbeitskräfte aus der Ukraine Spargel stechen würden und ob der Ukraine-Krieg Auswirkungen auf die Spargelernte habe, sagt Frank Saalfeld, Geschäftsführer des Verbands der Ostdeutschen Spargel- und Beerenanbauer, dass Menschen aus der Ukraine auch in der Vergangenheit äußerst selten als Erntehelfende eingesetzt worden seien. "Die Ukraine ist kein Mitglied der EU, damit gibt und gab es keine Freizügigkeit, wie wir sie bei EU-Ländern kennen", so Saalfeld.

"Krankenversicherung 2. Klasse"

Der Vorteil an Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeitern aus dem EU-Ausland ist: Sie brauchen keine Arbeitserlaubnis für Deutschland und können bis zu 70 Tage als kurzfristig Beschäftigte in Deutschland bleiben. In dieser Zeit müssen sie nicht sozialversichert werden. Der Arbeitgeber muss die Arbeiterinnen und Arbeiter lediglich bei der Krankenversicherung anmelden. Dies geschieht in der Regel in Form sogenannter privater Gruppenversicherungen.

Ein Punkt, der scharf kritisiert wird. Bei der Versicherung handele es ich um eine "Krankenversicherung 2. Klasse", moniert etwa die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau). Denn durch diesen Versicherungsschutz seien nicht alle Behandlungskosten abgedeckt. Teilweise müssten die Saisonkräfte Behandlungskosten selber tragen. Harald Schaum, stellvertretender Bundesvorsitzender der IG Bau erläutert in einer schriftlichen Stellungnahme zum Thema: Kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft müssten in Deutschland Anspruch auf den vollen Krankenversicherungsschutz haben, sie dürften keine Beschäftigten zweiter Klasse sein.

Koalition hatte Verbesserung versprochen - Umsetzung steht noch aus

Eigentlich hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag in diesem Punkt Besserung versprochen und wollte vollen Versicherungsschutz für Saisonbeschäftigte ab dem ersten Tag erwirken. Doch geändert hat sich bislang nichts.

Die Krankenversicherung ist nicht der einzige Punkt, der der Gewerkschaft ein Dorn im Auge ist. Die IG Bau bezeichnet auch die Lohnsituation für die Saisonarbeitenden als prekär. Oftmals werde die Arbeitszeit nicht transparent dokumentiert, damit sei nicht nachvollziehbar, ob der Mindestlohn auch tatsächlich gezahlt werde, moniert die IG Bau. Überstunden würden nicht bezahlt oder Wuchermieten für die Unterbringung würden den Verdienst letztendlich massiv schmälern.

Mindestlohn wirkt sich nicht auf Spargelpreis aus

Zuletzt war der Mindestlohn zum 1. Oktober von 10,45 Euro auf zwölf Euro pro Stunde erhöht worden. Frank Saalfeld vom Verband der Ostdeutschen Spargel- und Beerenanbauer bezeichnet den gestiegenen Mindestlohn für die Arbeitskräfte als ein Plus. Für die Landwirte sei die Erhöhung indes eine "echte Aufgabe". Um die Kosten abzufangen, müssten die "Abläufe im Betrieb optimiert werden", damit der Spargelpreis nicht erhöht werden müsse. Dafür gebe es noch ein paar "Stellschrauben", wie eine Optimierung der Ernte, oder ein verbessertes Folien- und Ernte-Management.

Der Gartenbauverband Berlin Brandenburg teilt auf Nachfrage von rbb|24 mit: Man sei um faire Arbeitsbedingungen und eine gute Unterbringung der Arbeitskräfte bemüht, zudem würde beides regelmäßig überprüft. "Das finde ich für ein Gartenbauland, wie Brandenburg es ist, vorbildlich", so Sylvia Schießer vom Gartenbauverband. Auch Frank Saalfeld betont: Die geltenden Richtlinien in den Punkten Arbeitsstätten, Arbeitsschutz und Hygiene würden ständig streng kontrolliert, der Standard sei im internationalen Vergleich sehr hoch.

Die IG Bau kritisiert, es würden viel zu wenig Kontrollen durchgeführt. Zwar sei die aktuelle Erntesaison erst gestartet, deswegen könne man noch nichts über die Erntebedingungen in diesem Jahr sagen, so Frank Tekkiliç, Sprecher der IG Bau, auf Nachfrage von rbb|24. Die Gewerkschaft werde die Situation der Arbeitskräfte aber weiterhin im Auge behalten.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 13.04.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Kira Pieper

50 Kommentare

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  1. 50.

    Sie sind ja ein richtiger Unternehmerhasser? Sie sollten aber bedenken dass Arbeitgeber Arbeitsplätze schaffen, Gewerkschaften mit Sicherheit nicht! Die verplempern nur die Mitgliedsbeiträge.

  2. 49.

    Gartenarbeit kann auch schwer sein. Das kennt jeder Gartenbesitzer. Die derzeit tätigen Spargelstecher spüren abends auch den Rücken. Sie brauchen aber das Geld und wer hier als Arbeitsloser doch grundversorgt ist und sich in dieser Rolle wohl fühlt, der tut sich das nicht an was die Menschen z. B aus Polen leisten. Eine Art Rückentraining und Arbeitsdisziplin anerziehen wäre für die echten Faulpelze anzuraten.

  3. 48.

    Hallo rbb-Team, könntet ihr bitte noch einmal näher informieren, was mit "Krankenversicherung 2. Klasse" gemeint ist?
    Evtl. Behandlung schon länger bestehende gesundheitliche "Einschränkungen" oder Zahnersatz, Leberflecke entfernen oder?

  4. 47.

    Bei Punkt 1 gebe ich Ihnen recht. 2. ist unrealistisch. Spargelstechen ist harte Arbeit und es muss eine Grundnorm erfüllt werden. Es wurde mehrfach versucht, sich am Heer der Arbeitslosen zu bedienen mit dem Ergebnis, dass Schlechtleistung erbracht wurde und 9 von 10 der eher unwilligen Erntehelfer nach spätestens 3 Tagen arbeitsunfähig waren. Wem soll das nützen?

  5. 46.

    Vielleicht mal Steuern und Abgaben im unteren Lohnsegment senken. Dann kann man auch wieder Spargel essen."
    Es ist immer wieder erstaunlich wie sehr sich der Gedanke verfestigt hat, das mit Steuer- und Abgabensenkungen alle Probleme aus der Welt zu schaffen wären.
    Die Idee, das eine höhere Besteuerung der oberen 5 % eine Möglichkeit wäre liest man dagegen so gut wie gar nicht.

  6. 45.

    "Ja, für die ausländischen Saisonarbeiter gilt das deutsche Arbeitsrecht ..." So wie bei Tönnis und Co.?

  7. 44.

    Ja, für die ausländischen Saisonarbeiter gilt das deutsche Arbeitsrecht und bei Arbeitskräften, die durch Leiharbeitsfirmen in ihren Heimatländern vermittelt werden, gegebenenfalls auch das dortige Arbeitsrecht. Und bei Verstößen stehen ihnen nicht nur die deutsche Gerichtsbarkeit zur Verfügung, sondern gegebenenfalls auch die ihres Heimatlandes bis hin zu der der EU. Allerdings sind die ausländischen Saisonarbeiter keine Mitglieder der deutschen Gewerkschaften. Natürlich können sie sich dort beschweren, zumal sie i.d.R. für Firmen ohne Betriebsrat arbeiten. Allerdings werden die Gewerkschaften auch ganz ohne Auftrag tätig, wenn sie glauben, einen Missstand entdeckt zu haben. Zum Beispiel in schöner Regelmäßigkeit zu Saisonbeginn.

  8. 43.

    Bratkartoffeln mit Spiegelei und Zwiebeln schmecken auch.
    Spargel ist mir zu teuer.
    Vielleicht mal Steuern und Abgaben im unteren Lohnsegment senken. Dann kann man auch wieder Spargel essen.

  9. 42.

    1. Wieso ist es nicht möglich, diesen Erntehelfern Wohncontainer zur Verfügung zu stellen, wenn sie keine Unterkunft haben, damit diese Arbeiter nicht irgendwelchen Wuchermiet-Abzockmodellen ausgesetzt werden?
    2. Warum ist es bis heute nicht möglich, aus dem Pool von 4 Millionen Arbeitslosen auch Erntehelfer zu gewinnen? Dies ist zumutbar, denn die Lebensmittelproduktion ist das normalste von der Welt. Meinetwegen auch mit Kombilohn-Modellen fördern.

  10. 41.

    Vortrefflich kommentiert! Nicht umsonst laufen den Gewerkschaften die Mitglieder davon. Die ausufernden Forderungen, die nicht finanzierbar sind, entbehren jeder Logik. Traurig genug, dass es keine Deutschen mehr gibt, die diese Arbeit übernehmen wollen. Der Sozialstaat finanziert sie ja ohne Gegenleistung. Und die europäischen Nachbarn kommen gern, weil sie deutlich mehr bekommen als im eigenen Land.

  11. 40.

    Da fallen mir doch glatt noch andere "Arbeitsgebiete" ein.
    Dies ist aber nicht mit unserer Rechtssprechung machbar.

  12. 39.

    Ach Frau "Su Wali" ,in Deutschland gelten ausschließlich die hiesigen Tarifverträge, das hiesige Arbeitsrecht, und der hiesiger Mindestlohn, und zwar pro Stunde, auch für jede geleistete Überstunde, ohne Trikserei usw..

    Für Beschäftigten auf den deutschen Arbeitsmarkt sind die deutschen Arbeitsgerichte zuständig, nicht nur für die aus den EU - Ländern, sondern auch aus Drittstaaten.

    Übrigens, die Gewerkschaften beschweren sich in Namen der Beschäftigten, die an sie herantreten, und darunter sind auch Saisonkräfte.

  13. 38.

    Da frage ich mich müssen wir Arbeitskräfte aus dem Ausland holen wenn wir Arbeitslose und Bürgergeldempfänger haben die zu Hause sitzen. Meiner Meinung nach würde ich diese als Erntehelfer einsetzen so würden diese Leute noch Geld verdienen und hätten auch noch eine Beschäftigung würden der Gesellschaft auch noch was zurück geben. So würde man auch den Arbeitskräfte Magel entgegen wirken.

  14. 37.

    Die Bedingungen, unter denen die „Lebensfreude“ produziert wird haben im internationalen Vergleich noch immer einen sehr hohen Standard. Es sind übrigens hiesige Gewerkschaften, die sich beschweren, und nicht die ausländischen Arbeitskräfte selbst. Die werden ja nicht als Sklaven nach Brandenburg verschleppt, sondern kommen freiwillig. Denn hier verdienen sie mit Saisonarbeit deutlich über dem Durchschnittslohn in ihrer Heimat. Und da sie aus EU-Ländern kommen, sind sie auch entsprechend rechtlich geschützt und könnten sich bei Missständen an entsprechende EU-Gremien, z.B. den EUGH, wenden. Ja, verbessern kann man immer etwas. Aber man sollte doch bitte auch mal im Auge behalten, warum diese Menschen Jahr für Jahr zur Saisonarbeit nach Deutschland drängen, statt auf den landeseigenen Feldern zu arbeiten.

  15. 34.

    "... Nur scheint es "einigen" schwerzufallen, sich mit den "Bedingungen auseinanderzusetzen" unter denen ihre "Lebensfreude" produziert "wird". ..."

    Ziemlich dünnen Eis!
    Wenn es darum geht, müsste ich (um es extrem zu sagen) halb nackt rumrennen, könnte meine Blumenvasen wegwerfen, müsste selber Hühner halten, selbst Krabben aus der Nordsee holen usw. usw.

    Man kann alles verbessern, aber bitte auf dem "selbstgewebtem" Teppich bleiben ;-)

  16. 33.

    Es wird sich zu (Nahrungs-) Kolonien entwickeln - Griechenland für Spargel, Island (Skandinavien)für Meeresprodukte, Süd- und Mittelamerika für Avocados, Soja und Ananas, Ukraine für Weizen, Honig und Senf, Asien für Reis, Tee und Kaffee (Vietnam), und ...
    Alles eigentlich ganz simpel.

  17. 32.

    ",,, Ich sehe den Spargelanbau in Deutschland auf einem absteigendem Ast. ..."
    Würde ungern auf den deutschen Spargel verzichten.
    Es wird für so viel Geld für Müll ausgegeben, da sollte - wer es mag - auch mal für gesunden Spargel etwas da sein.

    Kleiner Tipp:
    In der letzten Saison hat man an den kleinen Verkaufsbuden zum Feierabend teilweise sehr viel weniger bezahlt.
    Genauso wie bei Erdbeeren deutscher Herkunft.

  18. 31.

    Auch ich werde nicht täglich Spargel essen.

    1 kg sind ca. 12-16 Stangen:
    - ca. 10 Stangen (2 Personen) mit Schinken, Kartoffeln und zerlassener Butter
    - den Rest (auch "Abfälle" vom Schälen) zu einer leckeren Spargelcremesuppe verarbeiten
    und schon rechnet es sich m.E.

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