Teilzeitarbeit aus Unternehmenssicht
Immer mehr Menschen wollen in Teilzeit arbeiten. Ohne flexible Arbeitszeitmodelle finden Unternehmen kaum noch genug Personal. Verbände sehen das kritisch, für die Unternehmen kann es aber auch Vorteile mit sich bringen. Von Jens Butterwegge
Der Anteil der Menschen, die in Berlin und Brandenburg einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung nachgehen, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Das zeigen Daten der Arbeitsagentur, die rbb|24 ausgewertet hat.
Für die großen Unternehmen in Berlin und Brandenburg gehört Teilzeitarbeit längst zur Normalität. Die Deutsche Bahn (DB) etwa schreibt seit Ende 2020 alle neuen Stellen immer auch in Teilzeit aus, sofern das betrieblich möglich ist, wie eine Sprecherin des Unternehmens sagt.
Für Führungskräfte bietet die DB demnach auch Jobsharing an. Dabei teilen sich zwei Führungskräfte eine Stelle. Dieses Angebot richte sich laut Deutscher Bahn an diejenigen, die weniger als 70 Prozent arbeiten möchten, aber dennoch bereit sind, Führungsverantwortung zu übernehmen.
Die Zukunft-Umwelt-Gesellschaft (ZUG), eine hunderprozentige Tochter des Bundesumweltministeriums, stellt Beschäftigte grundsätzlich nur in Vollzeit an und bietet ihnen dann die Möglichkeit, befristet in Teilzeit zu wechseln. Damit hätten die Arbeitnehmer immer die Möglichkeit, in ein Vollzeitarbeitsverhältnis zurückzukehren, sagt ZUG-Teamkoordinator Personalentwicklung Holger Sassenberg. Das Unternehmen habe inzwischen eine Teilzeitquote von 46 Prozent. Es stelle deshalb inzwischen vorsorglich mehr Leute ein, als Vollzeitstellen vorhanden sind. Um auf dem umkämpften Arbeitnehmermarkt bestehen zu können, sei das nötig. "Du kriegst sonst die Leute nicht", sagt Sassenberg.
Auch der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin berichten Unternehmen, dass sie ohne attraktive und flexible Teilzeitmodelle überhaupt keine Leute mehr finden würden, wie Pressesprecherin Claudia Engfeld sagt.
Dazu passt, dass auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) oder das Klinikunternehmen Vivantes ganz aktiv mit flexibler Arbeitszeitgestaltung um Mitarbeiter werben. Bei Vivantes seien rund 40 Prozent der Mitarbeitenden in Teilzeit beschäftigt, so Pressereferentin Mischa Moriceau. Bei der BVG sind es laut Pressesprecher Jannes Schwentu 20 Prozent der Belegschaft, die in Teilzeit arbeiten.
Beim Land Berlin richteten sich Teilzeitumfang und Arbeitszeitmodell grundsätzlich nach den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten, müssten aber mit den Möglichkeiten in der Dienststelle im Einklang stehen, sagt Alexis Demos von der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen. Auch hier sei die Teilzeitquote von 2015 bis 2022 kontinuierlich angestiegen - von 19,6 Prozent auf 24,9 Prozent.
"Arbeitszeitautonomie ist etwas, was sich bei Wissensarbeiter:innen zum Standard entwickelt", sagt Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH Berlin. Im Produktionssektor oder der Landwirtschaft sehe das teilweise noch anders aus. Sein Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem beim Thema New Work.
Arbeitgeber hätten inzwischen kaum eine Chance, sich dieser Entwicklung zu verweigern. "Für Unternehmen ist es ein großer Vorteil, attraktiv auf dem Arbeitnehmermarkt zu sein", so Schermuly. Arbeitnehmer seien motivierter, weniger gestresst und dadurch leistungsfähiger. Es gebe weniger Krankmeldungen, betont der Wirtschaftspsychologe.
Besonders in Teams, in denen der eine auf die Arbeit des anderen angewiesen ist, entständen dadurch aber auch Probleme, wenn die Beschäftigten aufgrund flexibler Arbeitszeitmodelle weniger Kontakt zueinander hätten, so Schermuly weiter. Arbeitsprozesse würden sich verlangsamen und im Team entstehe Frustpotenzial.
Unternehmen könnten dem aber entgegenwirken, indem sie sich mit angepasstem Management auf die neue Flexibilität einstellten, sagt der Wirtschaftspsychologe weiter. Er empfehle, dass die Teams je nach Herausforderung flexibel agierten. Wenn persönlicher Austausch zum Erreichen eines Ziels besonders wichtig sei, müsse sich das Team eben zeitweise eine Präsenzpflicht für alle auferlegen, um danach wieder Freiheiten durch die flexiblen Arbeitszeiten genießen zu können. Jeder Bereich in einem Unternehmen müsse auch personell auf seine besonderen Anforderungen reagieren können.
Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) sehen die Entwicklung hin zu geringerer Arbeitszeit eher kritisch. "Der Wunsch nach mehr Teilzeitarbeit ist vor allem dort ein Thema, wo es die Einkommenssituation zulässt", sagt Alexander Schirp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der UVB .
Unternehmen könnten dem begegnen, indem sie zunehmend Leistungen outsourcen oder ihre Produktivität steigern, so Schirp. Für beide Instrumente gebe es jedoch Grenzen.
Der stellvertretende UVB-Geschäftsführer betont weiterhin, dass es wichtig sei, dass die Unternehmen über die Arbeitszeit-Modelle das letzte Wort haben. "Wenn eine Vier-Tage-Woche zur Organisation und den Abläufen eines Betriebs passt, kann sie für beide Seiten sinnvoll sein. Eine gesetzlich oder tarifvertraglich festgeschriebene Arbeitszeitverkürzung für alle halten wir für den falschen Weg. Eine generelle Vier-Tage-Woche würde den Fachkräftemangel noch einmal dramatisch verschärfen", warnt Schirp.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.04.2023, 8 Uhr
Beitrag von Jens Butterwegge
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