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Kündigungswelle in der Tech-Branche
Ähnlich wie in den USA entlassen zahlreiche Berliner Start-ups und Technologiefirmen Mitarbeiter. Die Mehrheit unter ihnen ist jung und international. Die Tech-Branche in der Stadt wäre eigentlich auf sie angewiesen. Von Efthymis Angeloudis
Für Elyse und ihre Kollegen hatte der Arbeitstag bei einem mittelgroßen Tech-Unternehmen in Berlin ganz normal begonnen: Team-Meeting, Besprechung von Projekten und Aufteilung von Aufgaben - ein vertrauter Ablauf. Bis einer nach dem anderen zu einem Gespräch mit der Personalabteilung eingeladen wurde.
Als der erste der Gruppe in das Meeting verschwand, war sein Slack-Konto plötzlich weg. Und dann ging es einfach so weiter - bis es am Ende des Tages kein Kommunikations-Team mehr gab. Ohne Ankündigung, ohne Vorwarnung – alle entlassen. "Sie hatten niemanden mehr in der Firma, der die Unternehmenskommunikation macht", sagt die US-Amerikanerin. "Das hat mich wirklich überrascht."
Doch das war nur der Anfang. Bis November hatte das Tech-Unternehmen aus der Bildungsbranche zehn Prozent seiner Belegschaft gekündigt. Ähnlich wie in den USA folgte auch in der Berliner Startup-Szene eine Entlassungswelle. Angesichts der schwachen Konjunkturprognosen, Zinswende und schwierigen Finanzierungssituation mussten vor allem Unternehmen, die Verluste schreiben, schnellstmöglich ihre Kosten reduzieren. Und der schnellste Weg dazu war eindeutig.
Die Entlassungen kamen, so schien es, im Wochentakt: Das Berliner Foodtech-Start-up Infarm kündigte im Dezember 500 Mitarbeiter. Beim E-Scooter-Anbieter Tier Mobility mussten bis Anfang des Jahres 280 Beschäftigte das Berliner Start-up verlassen. Essenslieferdienst Delivery Hero kündigte Ende Januar 156 Beschäftigten in seiner Berliner Zentrale. Der Online-Coaching-Anbieter Coachhub trennte sich im Februar von rund 80 Mitarbeitern.
Die angespannte wirtschaftliche Lage belastet zudem die Gründerszene in Berlin. In der Stadt sind 2022 deutlich weniger Start-ups gegründet worden als ein Jahr zuvor, wie der letzte Bericht des Start-up-Verbands gezeigt hat. Pro 100.000 Einwohner gerechnet lief München der Hauptstadt bei Neugründungen sogar den ersten Platz ab.
Start-ups haben in Erwartung eines starken Wachstums während der Pandemie oft mehr Leute eingestellt, als sie benötigten. "Corona hat zu einem wahnsinnigen Einstellungsschub geführt", sagt Niclas Vogt vom Start-up-Verband. "Wir haben das alle erlebt, waren plötzlich zu Hause und haben mit der Software Teams zusammengearbeitet. Und dieser Digitalisierungsschub hat natürlich auch allen digital getriebenen Geschäftsmodellen Vorschub geleistet", erklärt Vogt rbb|24. Doch das Wachstum nach Corona blieb aus.
Der Verband geht davon aus, dass die meisten von der Kündigungswelle Betroffenen in Deutschland schnell wieder einen neuen Job finden. Gute Chancen also auf einen Neuanfang. Doch was ist, wenn das Visum an den Job gebunden ist? "Gerade bei IT ist es so, dass der Fachkräftemangel eigentlich nur über Hirings aus Drittstaaten zu stemmen ist", so Vogt. Beschäftigte, die hohe Risiken eingehen müssen, um nach Deutschland zu kommen.
Auch die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) ist der Ansicht, dass der Fachkräftemangel allein durch deutsche Fachkräfte nicht gedeckt werden könne. "Der demografische Wandel bedeutet, dass wir einfach nicht genügend heute 15-Jährige haben, die vielleicht in drei, vier Jahren dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Und das bedeutet, dass wir ohne eine Fachkräfteeinwanderung ohne auch die Erleichterung der Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen für Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, nicht den Bedarf decken können, den wir eigentlich hier haben", sagte sie dem rbb. Der Fokus liege deshalb jetzt darauf, die Rahmenbedingungen zu erleichtern.
Diese erschweren nicht nur die Einwanderung nach Deutschland, sondern auch den Aufenthalt im Fall einer Kündigung. Denn eine Kündigung bedeutet für nicht-EU-Bürger oftmals nicht nur kein Einkommen mehr, sondern auch keine Aufenthaltserlaubnis. "Wenn man am selben Tag erfährt, dass man gekündigt wird, kann es schon ziemlich schwer sein für jemanden aus dem Ausland", sagt Elyse. "Dann muss man innerhalb einiger Wochen einen neuen Job finden, sonst muss man weg." Einen Termin bei der Ausländerbehörde bekam die US-Amerikanerin aber erst fünf Monate nach der Kündigung. "Das war der einzige freie Termin im System."
Eben diese bürokratischen Hürden machen den deutschen Startups und ihren Angestellten laut dem Bundesverband Deutsche Startups zu schaffen. Besonders auch bei der Gewinnung von Talenten aus dem Ausland, die so dringend benötigt werden. Beispiele gibt es dazu viele. Ein Entwickler aus Indien hat laut Niclas Vogt trotz Arbeitsvertrag mit einem Münchner Startup acht Monate gebraucht, bis er sein Visum für Deutschland hatte. "Das Startup hat dann zum Glück einen Weg gefunden, dass er schon aus Indien für sie arbeiten konnte. Bei solchen wahnsinnig langen Laufzeiten muss man froh sein, wenn die Leute während des Prozesses nicht abspringen und dann doch ins Silicon Valley gehen", erklärt Vogt.
Auch der Standortfaktor Offenheit erschwere die Einwanderung von ausländischen Fachkräften nach Berlin, so Vogt. "Viele haben davon berichtet, dass sie an Sprachbarrieren scheitern, gerade was Prozesse in Ämtern angeht, aber auch bei der Wohnungssuche. Da hat man es in Deutschland einfach schwieriger", sagt der Experte des Startup-Verbands. "Und viele haben auch von Rassismuserfahrungen berichtet, wenn sie einen fremdklingenden Nachnamen haben." Es sei schwieriger, eine Wohnung zu finden, schwieriger in den Prozessen gehört zu werden.
Immerhin sprechen Berliner Startups laut einer Umfrage des Verbands hauptsächlich Englisch – ein Beweis dafür, wie viele junge internationale Fachkräfte unter den Beschäftigten sind. Sobald sie aber mit Berliner Behörden zu tun hätten, fühlten sich viele gar nicht gesehen, glaubt Elyse. "Obwohl sie sehr begabte Menschen sind und viel verdienen und langjährige Erfahrung im IT-Bereich haben, fühlen sich viele wie Bürger zweiter Klasse."
Elyse hat im Gegensatz zu vielen Kollegen und Kolleginnen aus Indien oder Pakistan immerhin Glück gehabt, nicht in der Probezeit gekündigt worden zu sein, wie sie sagt. Mit einem Aufenthaltstitel für Akademiker (Blaue Karte EU) ist Elyses Bleiberecht zwar nicht an einen Job, jedoch an ein jährliches Einkommen von mindestens 58.000 Euro gekoppelt. "Das ist bei einem Communications-Job in der jetzigen Lage, mit all den Kündigungen, gar nicht mal so einfach." Als Freiberuflerin müsse sie jetzt Erklärungen von Firmen einsammeln, die der Ausländerbehörde bestätigten, sie mindestens 20 Stunden die Woche beschäftigen zu wollen.
Doch vielen ihrer ehemaligen Kollegen erging es anders. "Entweder dürfen sie sich nach der Kündigung nicht mehr in Deutschland aufhalten oder sie füllen sich hier nicht mehr sicher", sagt die US-Amerikanerin. "Man findet hier nicht mal eine Wohnung."
Ein abschreckendes Beispiel für ein Land, in dem nach einer Umfrage des Branchenverbandes Bitkom aus dem November 2022 rund 137.000 IT-Spezialisten fehlen. Am gefragtesten sind demnach Softwareentwickler, gefolgt von Programmierern und Anwendungsbetreuern. Alles Berufe, die von der Kündigungswelle in Berlin betroffen sind.
"Wir haben einen massiven Fachkräftemangel, der auch unter Start-ups wirklich eklatant hoch ist", beteuert Niclas Vogt. Laut einer Umfrage des Start-up-Verbands haben neun von zehn Startups offene Stellen. Viele von ihnen müssten sogar aufgrund des Fachkräftemangels auf Wachstum verzichten, so der Experte.
Das wollten viele, glaubt auch Elyse. Auch unter ihren amerikanischen Freunden befinden sich Entlassene aus der Tech-Industrie, wie sie erzählt. Eine Freundin aus Seattle, die von Twitter gekündigt worden sei, habe sie angerufen und sich erkundigt, ob Berlin für die Jobsuche eine gute Wahl für sie und ihre Familie wäre. Elyses Antwort klang ernüchternd. "Ich liebe Berlin, aber Berlin ist schwer." Hierher zu ziehen - besonders mit einer Familie - sei besonders mühsam, habe sie ihr am Telefon gesagt. "Wenn du nach Deutschland kommen möchtest, wäre Frankfurt, Düsseldorf oder München wohl besser."
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.05.2023, 10:35 Uhr
Beitrag von Efthymis Angeloudis
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