Berufsschulen suchen Personal
Was tun gegen den starken Lehrkräftemangel in Berlin? Viele Schulleitungen wünschen sich mehr Geld, um damit unkompliziert und schnell Vertretungslehrkräfte einzustellen. Denn schon jetzt sind 1.500 Stellen unbesetzt. Von Angela Ulrich und Agnes Sundermeyer
Erdem Kazan sitzt hinter dem Steuer eines Elektro-Autos in der Modellwerkstatt des Oberstufenzentrums für KfZ-Technik in Berlin-Charlottenburg. Der 27-jährige erklärt seinen Berufsschülern die unterschiedlichen Typen von Einparkhilfen.
Kazan ist selbst noch Student, der einzige in Berlin, der Fahrzeugtechnik auf Lehramt studiert. Als studentische Hilfskraft ist er am Oberstufenzentrum für KfZ-Technik in Charlottenburg über ein Vertretungslehrbudget angestellt. Er liebt seinen Studentenjob. Kazan hat am Oberstufenzentrum selbst mal seine Ausbildung gemacht, dann kam das Fachabitur, das Abi und das Lehramts-Studium.
"Als ich als Lehrkraft angefangen habe, habe ich gemerkt, dass das genau der Beruf ist, den ich machen möchte. Die Praxisinhalte waren sehr wichtig für mich, und ich weiß jetzt schon, dass ich auf meinen späteren Beruf extrem gut vorbereitet werde."
Seine Schüler, alles Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 25 Jahren, hören Erdem Kazan gespannt zu. Seine Art des Unterrichtens kommt an. Amid Molavi, Berufsschüler im ersten Ausbildungsjahr, findet besonders die Praxisnähe von Kazan gut: "Man lernt bei ihm den theoretischen Teil praktisch gut anzuwenden, das finde ich immer sehr gut. Er hat ja die Ausbildung selber gemacht, dazu den Studiengang - das ist das perfekte Zusammenspiel", sagt der Berufsschüler.
Studentischen Hilfskräfte wie Erdem Kazan sind für den Leiter des Oberstufenzentrums für KFZ-Technik, Ronald Rahmig, eine wichtige Säule im Stundenplan. Ohne sie wären die Lücken noch größer. Rund 1600 Schülerinnen und Schüler lernen am OSZ. Fünf Vollzeitstellen für Lehrkräfte sind derzeit unbesetzt.
Gern würde der Schulleiter noch mehr Vertretungskräfte mit Zeitverträgen einstellen, denn er braucht sie dringend: "Weil es eigentlich eine einfache Variante ist, Menschen hier in die Schule zu bekommen und auch eine eigentlich sehr schnelle Variante", sagt Rahmig und seufzt dabei ein bisschen. Denn fertig ausgebildete Lehrkräfte für sein technisch orientiertes Oberstufenzentrum sind erst recht nicht zu bekommen.
"Mit den Vertretungsmitteln kann ich leichter jemanden finden, der in die Lücke springt, die eigentlich jemand anderes ausfüllen soll", erklärt Rahmig sein Dilemma, das auch Positives hat: Studierende wie Erdem Kazan können dann "sehr produktiv und wichtig und wirksam tätig sein", freut sich der Schulleiter.
Doch derzeit stehen Schulen nur drei Prozent des "anerkannten Unterrichtsbedarfs" zur Verfügung, um damit Vertretungslehrkräfte einzustellen. Und dieses Budget will Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) auch nicht aufstocken. Stattdessen sollen Schulen einfacher Lehrerstellen in solche für Verwaltungsfachkräfte umwandeln können, damit die Lehrenden selbst weniger mit Bürokratie zutun haben. Die bisherige Deckelung in diesem Bereich werde aufgehoben, heißt es aus der Senatsbildungsverwaltung. Wenn dann doch wieder mehr Lehrkräfte verfügbar sind, könnten die Stellen wieder zurückgewandelt werden.
Außerdem setzt Schulsenatorin Günther-Wünsch auf mehr "multiprofessionelle Teams" in Schulen: Personal aus anderen Berufsgruppen soll zur Unterstützung gewonnen werden. Neben Pädagogischen Assistenzen kommen dafür beispielsweise Logopädinnen, Ergotherapeuten, Psychologinnen, Musiktherapeuten oder Sprachlernassistenzen infrage. Insgesamt wünscht sich zwar auch die Bildungssenatorin "mehr Flexibilität" - aber eben nicht mehr Geld für Vertretungslehrerinnen und -lehrer.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft in Berlin sieht zwar die Not der Schulleitungen. Doch das Vertretungslehrerbudget aufzustocken - davon hält auch GEW-Sprecher Tom Erdmann nichts. "Wenn man noch mehr Vertretungsbudgets in Schulen gibt, ist noch mehr Wildwuchs da. Das heißt, die Einstellungen sind noch mehr außerhalb der gewerkschaftlichen Mitbestimmung", warnt Erdmann. Schulleiter und Schulleiterinnen könnten noch mehr Leute einstellen, die vielleicht gar nicht passen.
Auch die Bildungspolitikerin der Linken, Franziska Brychcy, ist eher verhalten, was Vertretungslehrkräfte angeht. Das Budget von drei auf sechs Prozent auszuweiten könne sie sich vorstellen, aber: "Wirklich helfen würde es, wenn man weitere Professionen, und im Berufsschulbereich wären das auch Handwerksmeister, über ein zusätzliches Budget auch unbefristet anstellen und weiterqualifizieren könnte", sagt Brychcy.
Louis Krüger von den Grünen hat die Studierenden selbst im Blick, die mehr Gewinn aus ihrer Lehrtätigkeit ziehen sollten. "Es ist sinnvoll, auch mit den Unis in Rücksprache zu gehen, damit Studis das auch als einen Teil der Studienleistung erbringen können." Auch die AfD mit ihrem bildungspolitischen Sprecher Thorsten Weiß wurde zum Thema angefragt, er meldete sich jedoch nicht zurück.
Berufsschulleiter Rahmig sieht sowieso keine Alternative zu Studierenden als Hilfslehrer. "Reguläre sogenannte Laufbahn-Bewerberinnen gibt es im Augenblick nicht, schon seit einiger Zeit nicht", macht OSZ-Leiter Rahmig klar. Er sei darauf angewiesen, Menschen zu finden, "die ein Mindestmaß an Qualifizierung für meinen Bereich haben."
Für Student Erdem Kazan ist es ein Segen, dass er als Hilfslehrer am OSZ in Charlottenburg anfangen durfte. Ohne neben dem Studium zu unterrichten, und viel Praxis zu gewinnen, hätte er sein Studium auch aus finanziellen Gründen abbrechen müssen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 07.07.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Angela Ulrich und Agnes Sundermeyer
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