Nach Gerichtsurteil
Hunderte Objektschützer der Berliner Polizei erhalten rückwirkend eine Lohnerhöhung. Ein Polizist hatte wegen einer zu niedrigen Eingruppierung geklagt. Einige Betroffene könnten Tausende Euro nachgezahlt bekommen. Von Sabine Müller
Mehr als zehn Jahre nachdem der Streit um die Bezahlung von Berlins Objektschützern vor Gericht begann, steht jetzt eine endgültige Lösung bevor. Wie die Finanz- und Innenverwaltung dem rbb mitteilten, wird das Land aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom November 2022 Konsequenzen für alle Beschäftigten im Objektschutz ziehen.
Das Gericht in Erfurt hatte im Fall eines angestellten Polizisten geurteilt, die Eingruppierung in die Stufe E4 des Tarifvertrags der Länder (Einstiegsgehalt aktuell: 2.500 Euro) sei zu niedrig. Denn die Tätigkeit im Objektschutz erfordere "gründliche Fachkenntnisse". Außerdem urteilten die Richter, dass dem Kläger Nachzahlungen für entgangenes Gehalt zustünden. Nach Einschätzung des Klägeranwalts war dies ein Grundsatzurteil, das nun für alle Berliner Objektschützer umgesetzt werden müsse.
Danach passierte erstmal monatelang nichts. Im Januar erklärte die Innenverwaltung, man warte zunächst auf die ausführliche Urteilsbegründung. Nachdem diese Mitte April in Berlin eingegangen war, erklärte der Senat Ende Mai nach einer Anfrage der Grünen: "Derzeit wird geprüft, ob und gegebenenfalls welche allgemeinen Konsequenzen aus diesem BAG-Urteil zu ziehen sind."
Klägeranwalt Johannes Weberling vermutete noch Mitte Juli im rbb-Interview, der Senat spiele weiter auf Zeit, weil er und seine Kläger nichts gehört hatten. Erst auf Nachfrage teilte die Finanzverwaltung dem rbb mit, der Senat habe entschieden, "aus dem Urteil für den Personenkreis der Wachschützer im Objektschutz bei der Polizei Berlin allgemeine Folgerung zu ziehen".
Der Polizei und der übergeordneten Innenverwaltung seien am 26. Mai "konkrete Umsetzungshinweise" bezüglich "rückwirkender Eingruppierung und Nachzahlung des irrtümlich zu wenig gezahlten Entgelts" übermittelt worden.
Laut Polizei Berlin geht es um mehr als 1.500 aktuell im Objektschutz Beschäftigte, außerdem um ehemalige Mitarbeitende. Wer noch in der Entgeltgruppe E4 eingestuft ist, soll in die nächsthöheren Gruppen E5 oder E6 aufsteigen. In der Einstiegsstufe bedeutet das 118 Euro mehr im Monat, aber auch Sprünge von über 200 Euro sind möglich. Das Ganze soll rückwirkend ab November 2022 gelten, dem Zeitpunkt des Gerichtsurteils.
Der Objektschützer Michael Meißner, seit 1999 in diesem Job, begrüßt die Entscheidung. Dass die Politik so spät reagiere, sei aber ein "Armutszeugnis". Er habe als Wachpolizist oft den Kopf hingehalten, wenn es ernst wurde, so Meißner, und habe sich dafür nie gerecht bezahlt gefühlt. "Es gab Tage, wo es wirklich zur Sache ging", erzählt er dem rbb, berichtet von aus dem Ruder gelaufenen Demonstrationen vor dem israelischen Konsulat, das er bewachte. "Man hält auf Deutsch gesagt seinen Arsch hin", so Meißner - und werde dann schlecht bezahlt.
Was ihn und andere Kollegen geärgert habe, sei die Eingruppierung in die Lohngruppe E4, die eigentlich für ungelernte Beschäftigte ohne Ausbildung gedacht ist. Für Meißner bedeutet die Senatsentscheidung, dass er statt 1.800 Euro nun etwa 1.900 Euro Rente bekommt, wenn er im September offiziell in den Ruhestand geht. Dazu kommt die Nachzahlung.
Nach Angaben des Klägeranwalts Prof. Dr. Johannes Weberling können etwa 90 Beschäftigte im Objektschutz, die bereits seit mehr als zehn Jahren auf eine höhere Eingruppierung klagen, mit Nachzahlungen von deutlich mehr als 10.000 Euro rechnen.
Finanzverwaltung und Polizei wissen nach eigenen Angaben bisher nicht, welche Summe insgesamt nachgezahlt werden muss. Für die Zukunft rechnet Finanzsenator Stefan Evers mit zusätzlichen Kosten von 4,7 Millionen Euro jährlich, hieß es auf rbb-Anfrage.
Innensenatorin Iris Spranger (SPD), in deren Zuständigkeitsbereich die Polizei fällt, teilte dem rbb schriftlich mit, sie "unterstütze, dass die Kolleginnen und Kollegen, die als Tarifbeschäftigte im Zentralen Objektschutz arbeiten oder eingestellt werden, höhergruppiert werden. Es geht hier um Tarifbeschäftigte in niedrigen Entgeltgruppen."
Klägeranwalt Weberling kritisiert die Berliner Regierung hingegen scharf. Sie habe jahrelang "auf Zeit gespielt", es sei "unfassbar, wie wenig die Wachpolizei wertgeschätzt wurde".
Weberling fordert die Polizei Berlin auf, nun schnell zu handeln. Sie solle bis zum 20. August schriftlich versichern, dass alle betroffenen Objektschützer bis Ende dieses Jahres ihre Gehaltsnachzahlung bekommen. Andernfalls droht Weberling damit, mit Hunderten Klagen auf rasche Nachzahlung vor das Arbeitsgericht zu ziehen.
Eine Auszahlung bis zum Jahresende scheint es im Moment allerdings sehr fraglich. Zwar betont die Polizei, sie sei bemüht, "die anstehende Aufgabe zeitnah durchzuführen". Dem rbb gegenüber verweist sie darauf, dass noch viele Fragen zu prüfen und viele Berechnungen anzustellen seien. Dafür sei mehr Personal notwendig, das jetzt per Ausschreibung gesucht wird. Außerdem wurden die Senatsverwaltungen um personelle Hilfe gebeten.
Immerhin, eine Konsequenz kommt tatsächlich zeitnah: Ab Oktober sollen die Stellen im Objektschutz nicht mehr wie bisher für die Entgeltgruppe E4, sondern für E5 ausgeschrieben werden.
Sendung: rbb24 Abendschau, 28.07.2023, 19.30 Uhr
Beitrag von Sabine Müller
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