Netzabdeckung
So schnell wie das menschliche Nervensystem: In Brandenburg sollen schon Ende 2023 zwei von drei Haushalten die neueste Mobilfunktechnik 5G+ nutzen können. Unternehmen bietet das neue Chancen. Von Markus Woller
Frontal-Zusammenstoß, ein Auto fährt auf einer Brandenburger Allee gegen einen Baum. Um die Insassen zu retten, muss es nun schnell gehen. Die Firma Peitel aus Teltow hat eine App entwickelt, um Ersthelfern und Rettungsteams zur Seite zu stehen. Mit ihrer Hilfe könnten Notärzte, die in Brandenburg oft sehr weit vom Unfallort entfernt stationiert sind, per Handy zugeschaltet werden und kompetente ärztliche Anweisungen geben.
Mitübermittelt würden live und in Echtzeit auch die Vitaldaten des Patienten, wie Herzschlag und Blutdruck. Das alles lange bevor der Arzt tatsächlich vor Ort wäre - und hoffentlich rechtzeitig, um das Schlimmste zu verhindern. Alles, was die Firma jetzt noch für die App braucht, ist sichereres, schnelles Internet im Land – am besten mit dem neuesten Standard 5G+.
Eine größere Verfügbarkeit des Netzes, weniger Stromverbrauch, eine extrem schnelle Verbindung: Das alles verspricht eine neue Kooperationsvereinbarung, die Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) am Mittwoch mit dem Netzbetreiber Vodafone getroffen hat. Zwei von drei Haushalten im Land sollen so bis zum Jahresende in Brandenburg mit dem superschnellem Netzstandard 5G+ erreicht werden können. Bis Ende 2025 sogar 90 Prozent aller Haushalte, was allerdings immer noch große Lücken im Flächenland Brandenburg bedeuten wird.
Vodafone selbst bewirbt den leistungsfähigen Standard als "Echtzeit-Netz". Die Reaktionszeit verkürzt sich nach Einschätzungen von Experten von bisher 35 Millisekunden im bisherigen 5G-Netz auf nur noch 10 bis 15 Millisekunden. Das entspreche in etwa der Reaktionszeit im Nervensystem des menschlichen Körpers. Vor allem für die Steuerung von Fahrzeugen oder Drohnen gilt die verzögerungsfreie Kommunikations-Technologie als wegweisend. Unter anderem auch, weil mit ihr mehr Nutzer pro Funkzelle möglich sind. In jedem Quadratkilometer sollen sich bis zu eine Million Geräte vernetzen lassen – ohne Qualitätseinbußen.
Ob der moderne Netzstandard aber auch für Handynutzer Vorteile bringt, muss sich noch zeigen. Zwar profitieren Handynutzer zukünftig wohl von einem geringeren Energieverbrauch. Andererseits bringt das Netz laut Experten bisher nicht die hohen Bandbreiten, die mit dem bis dato üblichen Koppeln von 5G- und 4G-Netz erreicht werden können. Heißt: Es kann nicht so viel, dafür aber deutlich schneller kommuniziert werden.
Das Netz könnte also bald besser sein. Woran es aber im Land weiter mangelt sind Firmen, die das als Chance sehen. Das Brandenburger Wirtschaftsministerium hat in einer Analyse festgestellt, dass besonders kleine und mittlere Unternehmen im Land die 5G- und 5G+-Potenziale kaum nutzen. Oft, weil schlicht nicht bekannt ist, welche Vorteile die neue Technologie bietet oder weil die Unternehmen aus Kostengründen keine Möglichkeiten sehen, in dem Bereich zu forschen.
Um den digitalen Anschluss nicht zu verlieren, hat das Ministerium nun eine 5G-Strategie aufgelegt und vor allem vier Orte, sogenannte Testbeds geschaffen, an denen sowohl die 5G+-Infrastruktur als auch Experten zur Beratung für Testanwendungen zur Verfügung stehen. "Wir haben ein Konsortium geformt, wo das an vier Orten praktisch durchführt wird. Firmen können diese Orte besuchen, wo sie selbst eigene Fragestellungen mal ausprobieren können", erläutert Wirtschaftsminister Steinbach.
Zu den Orten gehört der Smarte Campus in der TH Brandenburg, der Flugplatz Schönhagen (Teltow-Fläming), betreut durch die TH Wildau, die BTU-Modellfabrik in Cottbus und der Flugplatz Welzow (Spree-Neiße). Mögliche Anwendungsgebiete sieht das Ministerium unter anderem bei der Entwicklung von autonomen Fahrzeugen, Transport- oder Löschdrohnen, virtueller Realität oder im vernetzten Gesundheitswesen. Die Anwendungsmöglichkeiten seien aber völlig offen.
Die Landesregierung sieht die Schaffung der Testorte als Unterstützung für Brandenburger Unternehmen. "Das ist die Chance für Unternehmen, sich in einem immer härter umkämpften Markt zukunftssicher aufzustellen", so Wirtschaftsminister Steinbach. Technischer Dienstleister wird auch hier das Mobilfunkunternehmen Vodafone sein.
Das Projekt wird mit 6,5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Verkehr und Digitales unterstützt und läuft bis Ende 2024.
Als "längt überfällig" stufen die Industrie- und Handelskammern in Brandenburg die Vorstellung der 5G-Strategie des Landes ein. Inhaltlich sei sie zudem nicht konkret genug, so IHK-Präsidentin Ina Hänsel. "Die meisten Maßnahmen sind weder zeitlich terminiert noch in der Durchführung und Finanzierung definiert."
Zudem bemängeln die Kammern, dass das 5G-Netz schon seit mehreren Jahren viel besser hätte ausgebaut sein müssen. Um eine möglichst vollständige Abdeckung des Landes zu erreichen, bedürfe es mehr finanzieller Anreize und einer Optimierung der Bauordnung durch das Land. Um Fortschritte festzustellen, böte sich die Fortführung des 2020 durchgeführten Mobilfunk-Monitorings mit realen Messdaten an, heißt es von den Handelskammern.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 12.07.23, 19:30 Uhr
Beitrag von Markus Woller
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