Strategie des Bundes
Die Bundesregierung setzt auf deutlich mehr Wasserstoff. Doch noch fehlt das Transportnetz dafür. Allein durch Brandenburg soll ein Pipelinenetz von hunderten Kilometer Länge gehen. Auch bestehende Leitungen kommen ins Spiel. Von Andreas B. Hewel
Think big! Denke groß! Die Zielmarken, die am Mittwoch im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie in Berlin präsentiert wurden, sind gigantisch. 130 Billionen Watt Energiebedarf aus Wasserstoff, 10 Gigawattanlagen, 1.800 Kilometer Leitungsnetze für Wasserstoff.
Gebraucht wird Wasserstoff vor allem in der Stahlindustrie, in der chemischen Industrie, für alternative Antriebsformen im Güterverkehr und für Wasserstoffkraftwerke. Diese Kraftwerke sollen dann vor allen Dingen Schwankungen im Stromnetz ausgleichen, die bei der Stromerzeugung durch Wind- und Solarenergie besonders hoch sind.
Erklärtes Ziel der neuen Strategie ist, dass die notwendige Infrastruktur dafür deutlich schneller aufgebaut wird, als die vorherige Bundesregierung es noch im Jahr 2020 geplant hatte. Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ist die Bedeutung dieser Weichenstellung nur schwer zu übertreffen: "Investitionen in Wasserstoff sind eine Investition in unsere Zukunft, in Klimaschutz, in qualifizierte Arbeitsplätze und in die Energieversorgungssicherheit." Ohne Wasserstoff, so das Credo, geht es nicht mehr.
Wasserstoff wird erzeugt, indem Wassermoleküle aufgespaltet werden – H2O wird zu Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2). Diese Aufspaltung nennt man Wasserelektrolyse. Ein Vorgang, der sehr viel Energie benötigt. Deswegen soll künftig vor allem sogenannter "grüner Wasserstoff" entstehen, für dessen Erzeugung erneuerbare Energie eingesetzt werden.
Habecks ambitionierter Plan: Die Zielgrößen für die Produktionskapazität sind nun doppelt so hoch. Im Jahr 2030 soll Deutschland demnach über Anlagen verfügen, die eine Elektrolysekapazität von mindestens zehn Gigawatt garantieren. Damit ließen sich gigantische Mengen Wasserstoff erzeugen, die wiederum 28 Terawattstunden Energie liefern könnten. 28 Billionen Wattstunden, eine 28 mit zwölf Nullen. Think big!
Schon jetzt scheint allerdings klar, dass diese Produktionsmengen den im Jahr 2030 vorhandenen Bedarf nicht decken dürften. Nur 30 Prozent des Wasserstoffes könne das Land dann selbst erzeugen, 70 Prozent müssten weiterhin importiert werden. Der Gesamtbedarf wird für 2030 auf 130 Terawattstunden prognostiziert. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland knapp 260 Terawattstunden aus erneuerbaren Energieträgern produziert.
Damit Wasserstoff in großen Mengen transportiert werden kann, bedarf es entsprechender Netze. Zum einen, um den hier produzierten Wasserstoff dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird. Vor allen Dingen aber, um Wasserstoff aus dem Ausland importieren zu können.
Mit Hochdruck soll dieses Wasserstoffnetz aufgebaut werden. Bis 2027/28 soll in Deutschland ein sogenanntes Startnetz mit einer Länge von 1.800 Kilometern entstehen. Hinzu kommen europaweit nochmal 4.500 Kilometer Pipeline. Nur rund ein Drittel der Leitungen muss dafür neu gebaut werden. Meist können bisherige Erdgasleitungen umgerüstet werden.
Auf eine solche Umrüstung stellt sich unter anderem die Firma Ontras Gastransport ein. Südlich von Potsdam regelt sie bisher die Erdgasmengen, die ins Stadtnetz von Potsdam eingespeist werden. Vor allem Druckanpassungen müssen hier bewerkstelligt werden.
Dass die Umstellung auf Wasserstoff nun deutlich schneller gelingen soll, wird hier begrüßt. "Wir sehen das als den richtigen Schritt, die Wasserstoffinfrastruktur voranzubringen und den Markthochlauf auch für Wasserstoff hinzubekommen", freut sich Ralf Borschinsky von der Brandenburger Firma. Die Gaspipelines auf Wasserstoff umzustellen, sei ohne große technische Schwierigkeiten möglich, sagt er. Dennoch seien bundesweit milliardenschwere Investitionen nötig. Für die Umstellung bräuchten die Unternehmen Unterstützung vom Staat. "Es werden sehr viele Milliarden Euro fließen“, prognostiziert Borschinsky, „und dafür braucht man eine gewisse Anreizsituation, damit unsere Investoren dann auch wirklich zupacken."
Im Wirtschaftsministerium in Brandenburg sieht man die eigenen Pläne durch die Nationale Wasserstoffstrategie bestätigt. Die Wasserstoffproduktion in Brandenburg allerdings muss deutlich ausgebaut werden. Bis zum Jahr 2030 hofft man, eine Terawattstunde Wasserstoff erzeugen zu können. 2045 sollen es dann 21 Terawattstunden sein.
Auch in der Mark könnte der Bedarf dann deutlich höher sein, als die Produktionskapazitäten. Für 2030 wird der brandenburgische Wasserstoffverbrauch auf fünf Terawattstunden geschätzt, im Jahr 2045 sollen es gar 40 Terawattstunden sein.
Auch der Ausbau des Pipeline-Netzwerks ist dringend erforderlich. Das soll mit Hochdruck geschehen. Bis 2030 soll das Wasserstoffnetz in Brandenburg eine Länge von 687 Kilometern haben. Damit ließe sich mindestens dreimal mehr Wasserstoff transportieren, als für den Verbrauch prognostiziert wird. Bis 2045 soll das Netz auf 1.100 Kilometer anwachsen.
Umsonst allerdings ist das nicht. Die Ausbau- und Betriebskosten in Brandenburg werden bis 2045 mit 1,2 Milliarden Euro angenommen. Eine kühne Rechnung über einen so langen Zeitraum. Aber sie zeigt zumindest die Größenordnung der Kosten.
Nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums wäre dies jedoch eine Investition, die sich schnell bezahlt machen würde. "Wir sehen große Chancen für das Land entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette", heißt es schriftlich aus dem Ministerium. Und man mahnt zur Eile. "Nun kommt es darauf an, die Maßnahmen der Strategie ohne Verzögerung umzusetzen. Vor allem die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsprozesse ist von großer Bedeutung."
Bleibt die Frage, ob das für die Wasserstoffherstellung notwendige Wasser überhaupt in diesen Dimensionen zur Verfügung steht. Um eine Terawattstunde Energie erzeugen zu können, werden im Schnitt 30.000 Tonnen Wasserstoff benötigt. Und für die Erzeugung von einer Tonne Wasserstoff benötigt man rund neun Kubikmeter Wasser, also 9.000 Liter.
Wenn Deutschlands vorhergesagter Bedarf für das Jahr 2030 von 130 Terawattstunden auch hierzulande produziert werden sollte, wären dafür 35,1 Millionen Kubikmeter Wasser notwendig. Eine gigantische Menge und doch nur ein Zehntel der Menge, die pro Jahr in der Lausitz an Grundwasser abgepumpt wird, um den Tagebau betreiben zu können.
Die tatsächlich geplanten Elektrolysekapazitäten in Deutschland aber liegen mit 28 Terawattstunden deutlich darunter. Ihr Wasserbedarf liegt bei knapp 8 Millionen Kubikmetern im Jahr 2030. "Das Wasser wird sicherlich nicht der limitierende Faktor sein", entwarnt Ralf Borschinsky von Ontras Gastransport. "Sondern ich brauche die grüne Energie, um den grünen Wasserstoff herzustellen. Das wird das Primäre sein."
Um den benötigten Strom aus erneuerbaren Energien für die geplante Elektrolyseanlagen liefern zu können, benötigte man zum Beispiel mehrere tausend moderne Windräder. Immense Zahlen. Think big!
Sendung: Brandenburg aktuell, 26.07.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Andreas B. Hewel
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