Firmen-Aus
Die Pritschenwagen von "Robben & Wientjes" gehörten zum Stadtbild wie das Wort "Robbe" zur Sprache Berlins. Und auch sonst war die Firma weitaus mehr als nur ein Dienstleister. Von Ilja Behnisch
Einen Tod muss man ja sterben. Da kann man so einen Text auch gleich mit dem "F"-Wort beginnen: Früher. Früher gab es das ja noch, das heutzutage fast Undenkbare, dass Berliner:innen innerhalb der Stadt umziehen.
Weil sie wollten. Weil sie konnten. Weil es freien Wohnraum gab, für den man keinen Zweitjob annehmen musste oder ein Erbe angreifen, um ihn sich leisten zu können. Weil man sich verliebt oder entliebt hatte und also zum Handeln gezwungen war. Weil man das WG-Leben satt hatte oder nur, weil es ging. Eine schönere, größere, besser gelegene Wohnung.
Sofern man nicht innerhalb des Hauses umgezogen ist, gab es für Berliner:innen dann genau zwei Dinge zu tun.
1.) Möglichst geschickt im Freundeskreis nach Helferhänden fahnden. "Sag’ mal, was machst Du denn am 31.?", fragte man dann möglichst beiläufig. Wer aufmerksam genug war, konnte schon am Datum erkennen, dass es auf Umzugshilfe hinauslief und log sich geschickt aus der Affäre.
2.) Eine "Robbe" mieten. Jene legendären Pritschenwagen und Lkw der Autovermietung Robben & Wientjes. Gegründet 1978 in Berlin-Kreuzberg. Bekannt für das lustige Robben-Logo, Stundenpreise ab 2,50 Euro und etwas, was heute vermutlich Costumer-Experience heißt und unter "Original-Berlin" abgestempelt würde.
Inzwischen zieht niemand mehr um, weil es sich keiner mehr leisten kann. Und wer zu- oder wegzieht, hat entweder nix im Koffer, weil das WG-Zimmer für 700 Euro (kalt) kaum mehr Platz bietet als für ein Bett und ein bisschen Fantasie. Oder aber so viel Geld, dass der Umzug von einer "Relocation"-Agentur abgewickelt wird. Eine "Robbe" braucht da niemand mehr. Kein Wunder also, dass die Firma nun endgültig von der Bildfläche verschwunden ist. Nachdem die Gründer sie schon 2018 an den Konkurrenten Buchbinder verkauft hatten.
Alsbald verschwanden auch die berühmten Mietstationen in der Prinzenstraße und der Prenzlauer Allee. Veräußert vom neuen Besitzer. Die Firmengründer Robben und Wientjes, zwei gebürtige Nordrhein-Westfalen, die es durch den gemeinsamen Wunsch nach Wehrdienstverweigerung ins (West-)Berlin der 70er-Jahre verschlug, hatten bei ihrer sukzessiven Firmen-Expansion penibel darauf geachtet, Firmengrundstücke stets zu kaufen, niemals zu mieten. Nur so war ihrer Ansicht nach die nachhaltige Entwicklung möglich, die letztlich zu einer knapp 1.000 Autos starken Firmenflotte führte, die Jahr für Jahr an die 50 Millionen Kilometer abspulte.
Zweiter Erfolgsfaktor: analoge Planung. Ihre Programmierer hätten alles Mögliche probiert, so Dietmar Robben 2018 in einem Interview mit der "Berliner Zeitung", am Ende stand die Erkenntnis: "Online würde es bedeutend länger dauern. In diesem Falle ist das Internet einfach mal nicht konstruktiv."
Also rief man an, in den Filialen. Und wenn man Berlin nicht schon kannte, lernte man es spätestens dann kennen. Man konnte sie ja durch das Telefon hören. Die Zigaretten, die die Robben & Wientjes-Mitarbeiter auch dann noch im Kundenbereich rauchten, als in geschlossenen Räumen rauchen ungefähr auf der Stufe von öffentlichem Urinieren angekommen war. Der Kaffee, der immer so aussah, wie ein Kaffee aussehen musste, wenn man sich egal zu welcher Tageszeit sagte: Erstmal einen Kaffee. Die übergroßen Kalender und Listen, mit deren Hilfe die Leihen disponiert wurde, Format DIN-A2-Buch.
Es ging schnell am Telefon, das schon. Aber immer war da zunächst auch das Gefühl, es sei dieses Mal nun aber wirklich nahezu unmöglich, noch einen freien Wagen zu finden. Weil: "Am Wochenende ist hier die Hölle los, kannste Dir ja vorstellen!" Und vielleicht war es auch nur Masche, jedenfalls war man dann jedesmal fast mütterlich gerührt, dass es doch noch möglich gemacht werden konnte. Dass man doch noch Geld ausgeben durfte für einen Wagen mit hakeliger Schaltung, schwergängigen Ladeflächen-Entriegelungen und einer Tankregelung, bei der man immer lässig "ja ja", sagte auf die Frage, ob man sie verstanden habe, wobei man jedes Mal aufs Neue log.
Denn auch das war Teil der "Robben & Wientjes"-Wahrheit: Die Angestellten waren Könige. Der Kunde war Kunde. Der den Königen zeigen wollte, dass er schon wisse, wie der Hase läuft. Möglichst beiläufig die oft recht happige Kaution auf den Tisch legen, bloß nicht danach gefragt werden! "Weiß ich Bescheid" sagen, wenn der genaue Standort des Mietwagens beschrieben wurde. Und sich dann bloß nicht dabei erwischen lassen, wie man den Platz scannte, weil man natürlich überhaupt nicht Bescheid wusste. Und schließlich "neeeeee, geht schon" säuseln, wenn der Außenmitarbeiter fragte, ob er beim Ausparken helfen solle.
Hatte man die "Robbe" dann erfolgreich durch die Stadt manövriert, den Schleifpunkt zum Freund gemacht und sich spätestens nach dem erfolgreichen Umzug gefühlt hat wie Manfred Krug in "Auf Achse", nachdem er mal wieder auf den letzten Drücker und gegen jeden Widerstand eine wichtige Terminfracht nach Thessaloniki geschafft hatte, glückte man zurück auf den Hof von Robben & Wientjes, als gäbe man der Stadt ein Stück von seinem Herzen zurück.
Die "Robben & Wientjes"-Angestellten, diese kleinen Rockstars, ließen sich von der Euphorie des Vollbrachten keinesfalls anstecken. "Na dann, bis zum nächsten Mal", war noch das höchste der Gefühle. Das nun für immer ausbleiben wird.
Nach den Mietstationen sind nun auch die ohnehin schon selten gewordenen Robben aus dem Stadtbild verschwunden. Einen Tod muss man ja sterben. Dieser hätte ruhig noch auf sich warten lassen können.
Sendung: Fritz, 15.08.2023, 22:30 Uhr
Beitrag von Ilja Behnisch
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