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Audio: Antenne Brandenburg | 23.08.2023 | Lisa Steger | Quelle: imago-images/Jochen Tack

Debatte über faire Netzentgelte

Brandenburg wartet auf billigeren Strom

Strompreise sind in Brandenburg im Vergleich zu anderen Bundesländern oft höher. Das liegt vor allem an den höheren Netzentgelten. Die Bundesnetzagentur deutet jetzt an, die Kosten fairer verteilen zu wollen. Von Michael Schon

Auf der Deutschlandkarte des Vergleichsportals Verivox leuchtet Brandenburg orange. Das ist kein gutes Zeichen. Satte Farben bedeuten hohe Strompreise. Eine Familie in Brandenburg zahlte zuletzt im Durchschnitt 1.974 Euro für ihre Stromrechnung, bei einem angenommenen Standardverbrauch von 4.000 Kilowattstunden im Jahr. Das sind rund 49 Cent pro Kilowattstunde. In Bremen, dem günstigsten Bundesland, waren es 300 Euro weniger.

Brandenburg mit dritthöchsten Netzentgelten

Wer seine Stromrechnung gründlich liest, weiß: Der Strompreis ist ein Cocktail mit langer Zutatenliste: Erzeugung, Vertrieb, Steuern und Abgaben gehören dazu. Und keinen kleinen Anteil davon machen die so genannten Netzentgelte aus. Diese stellen Netzbetreiber den Stromanbietern dafür in Rechnung, dass sie den Strom durch ihre Netze leiten, vom Kraftwerk in die Steckdose. Die Stromanbieter wiederum legen diese Kosten auf ihre Kunden um.

Auch dafür wurden die Brandenburger im vergangenen Jahr mit am stärksten zur Kasse gebeten: Im Durchschnitt waren 8,95 Cent pro Kilowattstunde fällig, wie aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht. Nur in Schleswig-Holstein und Hamburg wurden demnach höhere Netzentgelte verlangt.

Neuregelung der Netzentgelte angekündigt

Bundesländer, die viel grünen Strom produzieren, sollen entlastet werden

Regionen mit viel erneuerbarer Energie sehen sich schon länger wegen hoher Netzentgelte benachteiligt. Der Bundeswirtschaftsminister kündigt nun einen Vorschlag für Änderungen am System an.

Dass die Netzentgelte gerade in Brandenburg hoch sind, ist kein Zufall: In dünnbesiedelten Regionen teilen sich weniger Kunden die Kosten für Leitungen und Wartungsarbeiten. Ein weiterer Faktor: Auch die Kosten für den Aus- und Aufbau der Netze, die für die Einspeisung erneuerbarer Energien gebraucht werden, landen über die Netzentgelte auf der Rechnung der Stromverbraucher. Und weil Brandenburg besonders viel ausbaut, fallen besonders hohe Investitionen in neue Netze an.

Industriebetriebe drohen mit Abwanderung ins Ausland

Die hohen Kosten treiben nicht nur private Stromkunden um. Auch viele Unternehmer reiben sich beim Blick auf die Stromrechnung die Augen. Die Handwerkskammer Potsdam schätzt auf Anfrage von rbb24 ein, dass die hohen Strompreise ihre Mitgliedsbetriebe erheblich belasten. "Besonders hart trifft es die energieintensiven Branchen wie Bäcker, Metallbauer oder Textilreiniger", sagt Sprecherin Ines Weitermann. Die Folge: Die Kunden treffen wieder Preisanpassungen - selbstverständlich nach oben.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Cottbus malt bereits ein düsteres Bild. Hauptgeschäftsführer Wolfgang Krüger rechnet vor, dass 88 Prozent der Industriebetriebe von steigenden Strompreisen betroffen seien, mehr als die Hälfte fürchte um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Es gebe bereits Erwägungen "zur Produktionseinschränkung im Inland beziehungsweise zur Verlagerung ins Ausland", warnt Krüger.

Nordländer wollen kosten bundesweit neu verteilen

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) lässt wenige Gelegenheiten aus, für eine Neuregelung der Netzentgelte zu trommeln. Feindbild ist Bayern. Dort sind die Netzentgelte besonders niedrig, der Widerstand gegen Reformen ist besonders hoch. "Das muss sich endlich radikal ändern. Allen Versuchen, das zu zementieren setze ich mich klar entgegen", sagte Woidke bei einer Veranstaltung zu Strukturentwicklung in der Lausitz Ende Mai.

Möglicherweise zeigen die Appelle von Woidke und anderen Regierungschefs in Ländern mit hohen Netzentgelten allmählich Wirkung. Zahlreiche Länder haben sich bei der Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Juni untergehakt und eine Protokollerklärung unterschrieben, in der sie eine faire bundesweite Verteilung der Kosten fordern, die durch den Netzausbau für die erneuerbaren Energien entstehen. Neben Brandenburg stehen auch Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen hinter der Forderung.

Bundesnetzagentur verspricht faire Entgelte

Die kommenden Monate werden zeigen, ob sie damit beim Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, Gehör fanden. In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte er, es liege "auf der Hand, dass wir den Erneuerbaren-Ausbau belohnen sollten". Auch er spricht sich für faire Netzentgelte aus.

Seine Behörde dürfte demnächst die nötigen Hebel für Änderungen bei den Netzentgelten bekommen. Der Bundestag berät derzeit über ein Gesetz, das die Festlegung der Netzentgelte vollständig der Bundesnetzagentur überträgt. Wie sie diese neue Verantwortung zu nutzen gedenkt, lässt die Behörde allerdings offen. Auf rbb24-Anfrage heißt es: "Sobald das Gesetz verabschiedet ist, werden wir einen Vorschlag zur Neuregelung machen. Wir hören den Argumenten im Moment sehr aufmerksam zu."

Brandenburg stellt sich hinter Gutachten aus Schleswig-Holstein

Brandenburg wirbt für die Argumente eines Gutachtens, das im Auftrag des schleswig-holsteinischen Energieministeriums erstellt und bereits Ende 2021 veröffentlicht wurde. Darin sprechen sich die Gutachter dafür aus, die durch den Ausbau der Erneuerbaren verursachten Kosten pauschal abzuschätzen und bundesweit "zu sozialisieren", also umzuverteilen. Selbstverständlich ist zu erwarten, dass auch Bayern und andere Bundesländer, die eine solche Umverteilung bislang ablehnen, ihre Sicht der Dinge gegenüber der Bundesnetzagentur deutlich machen werden.

Brandenburgs Wirtschaft jedenfalls hofft auf eine zügige Neuregelung der Netzentgelte. In der Handwerkskammer erwartet man, dass die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur zu einer transparenteren Gestaltung der Netzentgelte führt, die die Interessen von Verbrauchern, Energiemarkt und Unternehmen berücksichtigt. Der Cottbuser IHK-Geschäftsführer Wolfgang Krüger setzt auf eine bundesweite einheitliche Kostenverteilung bei den Netzentgelten, "auch um die Akzeptanz für neue Anlagen zu sichern und Investitionen in die Dekarbonisierung weiter voranzutreiben".

Sendung: Antenne Brandenburg, 23.08.2023, 11:40 Uhr

Beitrag von Michael Schon

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