Video: rbb24 Abendschau | 17.08.2023 | Material: J. Göbel & S. Kleine | Quelle: dpa/Carsten Koall
Das Uber-System
Fahrer sind Opfer organisierter Schwarzarbeit
Das Geschäft mit Uber-Fahrten rechnet sich nicht. Zumindest nicht für die Fahrer. Die Folgen sind Schwarzarbeit, Bezahlung unter Mindestlohn und Sozialleistungsbetrug. Eine Recherche von Kontraste und rbb24 Recherche. Von Jana Göbel und Susett Kleine
Das Geschäfts-Modell von Mietwagenfirmen, die Fahrdienstleitungen mit Hilfe von Uber und anderen Plattformen anbieten, sei oftmals "organisierte Schwarzarbeit" – der das sagt, ist nicht irgendwer: Axel Osmenda ist Fachgebietsleiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Hauptzollamt Berlin. Seine Teams sind regelmäßig auf den Berliner Straßen unterwegs, um Mietwagen, die mit dem Etikett von Uber und Bolt fahren, zu kontrollieren. Im Nachgang vergleichen und überprüfen sie dann auch die Geschäftsunterlagen der betreffenden Mietwagen-Unternehmen.
"Ich würde schon sagen", so Osmendas Sichtweise, "dass man versucht, in großem Umfang Arbeitnehmer zu beschäftigen und meldet die dann nicht zur Sozialversicherung an - teilweise organisiert, indem man bestimmte Firmen gründet, nur zu dem Zweck." Seine Behörde würde immer wieder auf dieselben Firmen und Personen stoßen. Wenn die Finanzkontrolleure des Zolls Indizien für Gesetzesverstöße sehen, schalten sie auch die Staatsanwaltschaft ein.
Uber ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das Fahrten per App vermittelt. Doch in Deutschland gibt es eine Besonderheit. Ein Generalunternehmer, die SafeDriver Group mit Sitz in Berlin, verteilt die Fahrten, die in der Uber-App eingehen, an hunderte Mietwagenfirmen. All diese Firmen brauchen eine Lizenz, um Fahraufträge anzunehmen. Sie besitzen die Autos, Fahrerinnen und Fahrer sind bei ihnen angestellt. Die Firmen zahlen eine Provision von bis zu 25 Prozent für die Vermittlung der Fahrten direkt an Uber, so das Unternehmen. Was der Generalunternehmer für seine Tätigkeit erhält, ist nicht geklärt.
Kündigung bei Krankheit oder Urlaub
Einer der Betroffenen ist Ahmed. Er möchte nicht mit seinem richtigen Namen zitiert werden, deswegen wurde der Name geändert. Der Fahrer ist wütend: Viele Jahre hat er zu viel gearbeitet und zu wenig verdient. Sechs Tage pro Woche bis zu 10 Stunden am Tag sei er unterwegs. Trotzdem erhalte er nicht einmal den Mindestlohn.
Wenn er krank sei, bekomme er kein Geld: "Mein Chef kündigt mir dann. Dann bin ich raus. Das gleiche gilt, wenn ich Urlaub mache." Er müsse außerdem einen Anteil seines Lohns zurückzahlen, wenn er nicht genug Einnahmen durch die Fahrten erziele, berichtet er. Sein Chef verlange darüber hinaus jeden Monat 300 Euro in bar von ihm. Die Summe werde angeblich für seine Sozialabgaben fällig, habe sein Chef ihm erzählt.
Yasin (Name geändert), ein anderer Fahrer, erzählt ähnliches. Die Einnahmen wären so gering, sie würden nicht reichen, um davon leben zu können.
Seit Jahren steigt die Anzahl der Fahrzeuge von Mietwagenfirmen, die sich Fahrten von Uber oder Bolt vermitteln lassen, vor allem in großen Städten. Aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage geht hervor, dass mittlerweile 4.437 Mietwagen auf Berlins Straßen unterwegs sind. Der größte Teil davon kann über Apps wie Uber, Bolt oder FreeNow gebucht werden.
Konkurrenzkampf zu Lasten der Fahrer
Die Konkurrenz wird immer größer und durch den Konkurrenzdruck fallen die Preise. Für Kundinnen und Kunden sind das attraktive Bedingungen, doch langfristig können solche Unternehmen, deren Fahrten von Uber, Bolt und anderen vermittelt werden, wirtschaftlich wohl nicht überleben, sofern sie Löhne, Steuern und Sozialabgaben korrekt zahlen.
Kontraste und rbb24 Recherche liegt ein Konzeptpapier für ein Gutachten vor. Die Auswertung von mehreren zehntausend Uber-Touren in Nordrhein-Westfalen legt dar, dass das Geschäft mit solchen Apps nicht dauerhaft wirtschaftlich betrieben werden könne.
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Uber und Bolt widersprechen der These
Vertreter von Uber-Deutschland widersprechen und legen eine Beispielrechnung vor: Danach läuft das Geschäft rund, wenn 42,50 Euro je Stunde und 340 Euro am Tag eingenommen werden.
Auch von Seiten des konkurrierenden App-Fahrtenanbieters Bolt wird die These, das Geschäft sei nicht kostendeckend zu betreiben, zurückgewiesen. Bei Bolt geht man von durchschnittlichen Tageseinnahmen von 330 Euro aus. Beide Unternehmen kalkulieren dabei mit einer regelmäßigen Auslastung der Fahrzeuge von 50 % und mehr, die Auslastung sei oft doppelt so hoch wie die konkurrierender Taxi-Unternehmen, argumentiert man bei Uber.
Zu den berichteten Missständen erklärt ein Uber-Sprecher: "Die genannten Fälle sind uns nicht bekannt. (...) Für Uber hat gesetzeskonformes Handeln oberste Priorität." Die Partner seien auch vertraglich dazu verpflichtet worden, alle arbeitsrechtlichen Vorgaben einzuhalten.
"Wenn sie sich nicht an die Regeln halten", heißt es dazu weiter, "und wir davon Kenntnis erlangen, ziehen wir entsprechende Konsequenzen, bis hin zu einer Sperrung auf unserer Plattform."
Unterschiedliche Informationen zu Auslastungszahlen
Auch Thomas Mohnke, der als Generalunternehmer Deutschland für Uber fungiert (s. Infobox oben), berichtet von einem funktionierenden Geschäft. Er erklärt, man könne bei der Schichtplanung flexibel auf Angebot und Nachfrage eingehen und wisse, an welchen Tagen besonders viele Fahrgäste unterwegs sein werden. Dementsprechend könnten die Mietwagenfirmen an diesen Tagen mehr Autos und Fahrer einsetzen. Deswegen seien die Fahrzeuge seiner eigenen Flotte zu 80-90 Prozent der Zeit ausgelastet.
Allerdings fallen auch die ertragslosen Anfahr- und Wartezeiten in seine Auslastungsbilanz. Mohnke betont, dieses Geschäftsmodell erziele durchaus Gewinne, auch wenn sie nicht riesig seien: "Wenn Sie eine Umsatzrendite erreichen, die im Bereich von 3, 4, 5 Prozent liegen, dann ist das in unserer Branche durchaus üblich."
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Ahmed, dessen Fahrten vor allem von der Uber-App vermittelt werden, aber auch von Bolt, hat für die Recherche die Daten eines Arbeitsmonats zur Verfügung gestellt. Hier ergibt sich ein ganz anderes Bild: Insgesamt 5127 Euro haben die Fahrgäste in diesem Beispielmonat für die Fahrten mit ihm gezahlt. Davon ziehen die App-Vermittler jeweils 25 Prozent für ihre Servicepauschale ab. Auch 19 Prozent Umsatzsteuer fallen an.
Übrig bleiben 3026 Euro für den Mietwagenunternehmer, der durchschnittlich 116 Euro für jeden der 26 Arbeitstage von Ahmed eingenommen hat. Doch dieser Betrag reicht nicht, um ihm den Mindestlohn und die Lohnnebenkosten von insgesamt 120 Euro zu bezahlen. Eine Verlustrechnung - dabei sind die Kosten des Mietwagenunternehmers für das Auto, die Versicherung und den Betriebssitz noch nicht eingerechnet.
Hohe Abgaben bei niedrigen Erträgen
Im Gegensatz zu den Taxen können Plattform-Anbieter wie Uber und Bolt ihre Fahrpreise selbst festlegen und damit die Taxitarife unterbieten. Doch von den niedrigen Erträgen müssen Mietwagenunternehmer hohe Abgaben zahlen (s.o.). Gewinne gebe es für die Mietwagenfirmen nur, wenn an Lohn und Sozialabgaben unzulässig gespart würde, sagt Herwig Kollar, Präsident des Bundesverbandes Taxi und Mietwagen e.V.: "Also zu den Konditionen ist das Geschäft nicht wirtschaftlich zu betreiben", erklärt er. Ahmeds Angaben zu seinen durchschnittlichen Einnahmen hält er für realistisch.
Doch wer ist zuständig, wenn es um die Bekämpfung solcher Missstände geht? Sowohl der Generalunternehmer Thomas Mohnke, als auch die Sprecher von Uber Deutschland, sehen vor allem die Behörden in der Pflicht: "Deutschland hat ein gut funktionierendes Kontrollwesen der zuständigen Organe", schreibt das Unternehmen.
In Berlin jedoch wird das Geschäftsgebaren bisher nicht ausreichend kontrolliert. Aus den Antworten auf zahlreiche parlamentarische Anfragen des SPD-Abgeordneten Tino Schopf geht hervor, dass derzeit in der Gewerbeaufsicht im Rahmen der gewerblichen Personenbeförderung nur 16 von 19 Stellen besetzt sind.
Seit Anfang des Jahres sei ein neues Sachgebiet für "Kontrollen und Ermittlungen" eingerichtet worden. Von sieben Stellen ist dort bisher nur eine besetzt. Dieses Kontrollpersonal soll nun 9.960 Mietwagen, Taxen und Krankenwagen beaufsichtigen (Stand 1. August 2023).
"Taxenähnliche App-vermittelte Mietwagenverkehre bieten in der Regel Personenbeförderungen deutlich unterhalb des Taxentarifes an. Zudem beträgt der Umsatzsteuersatz für Personenbeförderungen im Mietwagenverkehr 19%. Im Taxenverkehr hingegen ist nur ein Umsatzsteuersatz von 7 % anzuwenden. Zudem sind von den deutlich unter Taxentarif erzielten Erlösen noch Vermittlungsgebühren an den App-Anbieter abzuführen. Mietwagen können nur auf vorherige Bestellung Personenbeförderungen durchführen und müssen nach Beendigung der Personenbeförderung umgehend den Rückweg zum Betriebssitz antreten. Taxen hingegen können sich im Stadtbild bereithalten und unterliegen nicht der Rückkehrpflicht.
Bei Ausübung der taxenähnlichen App-vermittelten Mietwagenverkehre liegen somit erhebliche Zweifel an einer zumindest kostendeckenden Betriebsführung vor, wenn alle abgabenrechtlichen (auch Mindestlohnvorschriften) und personenbeförderungsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden, so dass die finanzielle Leistungsfähigkeit in der Regel für die beantragte Anzahl von PKW und der beantragten Genehmigungsdauer nicht positiv beurteilt werden kann und es somit oftmals gar nicht zur erstmaligen Genehmigungserteilung kommt."
Vorbild Hamburg
Ganz anders läuft es in Hamburg. Hier sind insgesamt nur 15 Mietwagen (Berlin: 4437) konzessioniert, die unter der App-Vermittlung von Uber fahren. In der Regel werden die Genehmigungen in der Hansestadt verweigert. Unter anderem findet hier eine konsequente Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit statt.
Die Unternehmen sind in Hamburg unter anderem dazu verpflichtet, einen Businessplan vorzulegen, um eine Zulassung zu bekommen (s. Kasten). Dieser ist für die Hamburger Behörde für Verkehr und Mobilitätswende oft ein Ablehnungsgrund. Von dort heißt es auf rbb-Anfrage: "Bei Ausübung der taxenähnlichen App-vermittelten Mietwagenverkehre liegen erhebliche Zweifel an einer zumindest kostendeckenden Betriebsführung vor, wenn alle abgabenrechtlichen (auch Mindestlohnvorschriften) und personenbeförderungsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden."
Der ehemalige Uber-Lobbyist und Ex-Mitarbeiter des US-Unternehmens, Mark MacGann, sprach mit Kontraste und rbb24 Recherche über den Stellenwert der Fahrer im Unternehmen. MacGann wurde im vergangenen Jahr als Uber-Whistleblower bekannt, als er Medien Zugang zu über 120.000 internen Dokumenten des Unternehmens gab.
Sein Urteil über das Uber-System: "Die Fahrer haben nicht die gleichen Rechte und Privilegien wie die anderen Mitglieder der Nahrungskette. Uber wurde nicht auf den Schultern der Fahrer aufgebaut, sondern auf deren Rücken. Und heute sehen diese Fahrer keine faire Gegenleistung für ihre Arbeit, die sie leisten."