Geothermie
Berlin will klimaneutral werden. Dazu braucht es viele Puzzleteile. Für eines gucken die Experten hoffnungsvoll nach unten - in den Boden. Diesen als Wärmespeicher zu nutzen, das will ein Energieunternehmen aus Schöneweide ausprobieren. Von Leonie Schwarzer und Angela Ulrich
Stefanie Dedeyne steht mit Sicherheitsschuhen und weißem Schutzhelm auf einem Gitter am Ufer der Spree in Schöneweide. Unter ihr gurgelt grün-bräunliches Spreewasser in einem schmalen Schacht. "Wir befinden uns an der Stelle, wo wir das Wasser aus der Spree ansaugen, für unsere Wärmepumpen", sagt Dedeyne, und deutet auf Siebe und Bottiche mit Grünzeug. Es riecht leicht muffig. Das Spreewasser enthält Stöcke und Algen, deswegen muss es gereinigt werden, bevor es in die Pumpen gelangt.
Stefanie Dedeyne ist Projektleiterin für Innovative Systeme beim Fernwärmeanbieter BTB. Der gewinnt seit kurzem direkt neben dem traditionellen Kohlekraftwerk an seinem Standort in Berlin-Schöneweide auch nachhaltige Energie - mithilfe von Flusswasser. Große Wärmepumpen entziehen im Sommer dem Spreewasser Wärme und speisen diese in das Berliner Fernwärmenetz ein - in einem Flussheizwerk, dem ersten in Berlin.
Doch genau wie bei anderen erneuerbaren Energien gibt es dabei ein Problem - im Sommer steht zu viel Energie zur Verfügung, im Winter zu wenig, sagt Dedeyne: "Unsere Flusswasser-Wärmepumpe ist ein erneuerbarer Erzeuger, genau wie unser Holzheizkraftwerk. Und diese erneuerbare Energie ist im Sommer im Überschuss da." Die Idee sei nun, diese Energie im Sommer zu speichern, um sie im Winter anstelle von Erdgas zur Erzeugung von Wärme zu nutzen.
Helfen soll ein sogenannten Aquifer-Speicher - ein geothermischer Tiefenspeicher. Der funktioniert so: Zuerst wird im Sommer kühles Wasser aus dem Boden hochgepumpt. Über der Erde wird dieses Wasser dann erhitzt, mithilfe von erneuerbaren Energien, und wieder runtergepumpt in den Boden. In mehreren hundert Metern Tiefe wird es warmgehalten, ähnlich wie in einer Thermoskanne, bis es dann im Winter gebraucht und wieder hochgepumpt wird. Doch für diese geothermischen Speicher im Boden - Aquifer-Speicher - eignen sich nur bestimmte Gesteinsarten.
Um die zu finden, haben in Adlershof Wissenschaftler des Geoforschungszentrums in Potsdam den Boden untersucht. Beteiligt daran war auch Sven Fuchs mit einem Team. Der Hydrogeologe deutet auf zwei quadratische Holzdeckel mit schwerem Metallrand auf dem Boden: "Wir sehen hier den Abschluss einer Probebohrung. Darunter befindet sich der Bohrkopf, und die Bohrung darunter ist etwa 450 Meter tief." In dieser Tiefe haben Fuchs und sein Team Sandstein entdeckt, der sich gut zur Speicherung von Wasser eignet. Um erneuerbare Energie für die Wärmewende zu nutzen, sind solche Speicher unverzichtbar, sagt Fuchs: "Sie sind essenziell, um überhaupt die Wärmewende umsetzen zu können. Damit das System stabil funktionieren kann."
Allerdings dauert es noch einige Jahre, bis der Wärmespeicher im Boden in Adlershof fertig sein soll. Er wäre der erste große industriell genutzte Aquifer-Speicher. Bisher gibt es in Berlin nur einen kleinen, lokalen Geothermie-Speicher unter dem Bundestag.
Außerdem würde der Adlershofer Speicher auch nur ausreichen, um rund 3.000 Haushalte über den Winter mit Wärme zu versorgen. Für mehr muss der Berliner Boden besser erforscht werden, wünscht sich BTB-Geschäftsführer David Weiblein: "Dafür ist es wichtig, dass wir mehrere Erkundungsbohrungen über Berlin verteilt durchführen lassen und da ist natürlich das Risiko, dass man nicht fündig wird, sehr hoch - weshalb es dafür mit Unterstützung von Landesmitteln oder mit Unterstützung des Landes Berlin besser voranginge."
Damit trifft Weiblein auf offene Ohren bei CDU und Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Christian Gräff will "von der Geschwindigkeit noch eine Schippe drauflegen", sagt der energiepolitische Sprecher der CDU: "Da müssen wir mehr Dampf machen und innovative Unternehmen unterstützen." Auch Werner Graf, Fraktionschef der Grünen, hält Geothermie für eine wichtige Technologie, wenn die Wärmewende funktionieren soll: "In Zukunft wird es nicht mehr nur eine Energiequelle geben, wie bei fossilen, sondern wir werden viele haben. Geothermie und Wärmespeicherung im Boden sind ein essentieller und großer Teil davon."
Weniger Bürokratie und schnellere Genehmigungen, gerade bei Bohrungen - darauf hofft Stephanie Dedeyne, Projektleiterin bei BTB. Denn es dauert noch mindestens vier Jahre, bis 2027, bis der erste wirklich große Fernwärme-Speicher in Berlin an den Start gehen soll: "Das wird ein sehr freudiger Moment", sagt Dedeyne und lächelt, "mit wahrscheinlich einem steinigen Weg bis dahin."
Sendung: rbb24 Abendschau, 06.09.23, 19:30 Uhr
Beitrag von Leonie Schwarzer und Angela Ulrich
Artikel im mobilen Angebot lesen