Zwischen Möbelhäusern und Pyramide
Zwischen Möbelhaus, Baumarkt und Großhandel soll an der Rhinstraße in Lichtenberg ein Flagschiff der Berliner IT-Infrastruktur entstehen. In das geplante Rechenzentrum "Blue Star" soll eine Milliarde Euro investiert werden. Von Lisa Schwesig
Zwischen Ikea, Selgros und dem Globus Baumarkt soll an der Rhinstraße nahe der "Lichtenberger Pyramide" das größte Rechenzentrum Berlins entstehen. Bauen will dies ein Brandenburger Unternehmen mit Sitz in Schönefeld (Dahme-Spreewald) im Auftrag des niederländischen Investors Van Caem.
Auf der Größe eines Fußballfeldes sollen laut der Prea Group, die das Vorhaben realisieren will, vier Gebäudekomplexe entstehen, die Platz für acht unabhängige Rechenzentren bieten. Eine Baugenehmigung für das Projekt "Blue Star" hat der Bezirk bereits im August dieses Jahres erteilt.
"Der Startschuss erfolgt im zweiten Quartal 2024 mit der Herrichtung und Erschließung des Grundstückes", sagt Prea-Sprecher Christoph Kückner auf rbb|24-Anfrage. Vollständig in Betrieb gehen soll das Datacenter bis 2026.
Rund eine Milliarde Euro soll nach Unternehmensangaben investiert werden. Für den Betrieb sowie die Sicherung der Anlage werden laut Prea-Sprecher Kückner rund 60 Arbeitskräfte vor Ort benötigt, sowie "viele weitere", die sich von außerhalb in die Systeme einwählen können. Sekundäreffekte für den Arbeitsmarkt würden sich aber erst dann ergeben, wenn Lieferanten oder Dienstleistende von dem Datacenter angesteuert werden sowie die Rechenleistung nutzbar gemacht wird, so Kückner.
Der Bezirk spricht von rund 80 neuen Arbeitsplätzen. Der derzeit freigestellte Lichtenberger Baustadtrat, Kevin Hönicke (SPD), teilte auf Anfrage von rbb|24 mit, dass laut Betriebsbeschreibung tagsüber 61 und nachts 21 Mitarbeitende vorgesehen seien.
Das Rechenzentrum auf 30.000 Quadratmetern soll eine Leistungskapazität von 100 Megawatt haben. Die Speicherkapazität entspricht den Angaben der künftigen Betreiber zufolge beispielsweise zwölf Millionen Filmen eines Streaming-Anbieters. Ein entsprechender Netzanschlussvertrag wurde laut Prea bereits im Sommer mit dem kommunalen Energieversorger Stromnetz Berlin geschlossen.
Wer genau die Rechenleistungen von "Blue Star" künftig in Anspruch nehmen will, verrät Prea-Sprecher Kückner nicht. Es gebe aber bereits Gespräche mit "potenziellen Mietinteressenten" sowie eine "hohe Nachfrage". Das Rechenzentrum sei daher als Co-Location konzipiert, sodass verschiedene Mieter einzelne Bereiche, ganze Etagen oder das gesamte Rechenzentrum buchen können.
Ursprünglich sollte auf dem Gelände ein Wohnquartier mit Gewerbemöglichkeiten entstehen. Doch wegen mangelnder infrastruktureller Gegebenheiten lehnten Bezirk und Senat das ab. Hönicke erklärte gegenüber rbb|24, dass der Bezirk eine gewerbliche Entwicklung des Gebietes verfolge. In der näheren Umgebung des geplanten Rechenzentrums befinden sich unter anderem ein Baumarkt, mehrere Möbelhäuser sowie ein Großhandel. Einen konkreten Bebauungsplan für das Grundstück gab es Hönicke zufolge nicht. Die Baugenehmigung sei Prea zufolge auf Grundlage des Baugesetzbuches (§34 BauGB) erteilt worden.
Auch die Senatsverwaltung für Wirtschaft unterstütze Projekte wie "Blue Star": "Die Ansiedlung und Entwicklung von Rechenzentren ist ein wichtiger Bestandteil der wirtschafts- und innovationspolitischen Agenda der Stadt - auch im Hinblick auf den internationalen Wettbewerb um Unternehmen und Arbeitsplätze", erklärt Pressesprecher Matthias Kuder auf rbb|24-Anfrage. Er verweist auf die sogenannte "Gigabit-Strategie", derzufolge die benötigten Flächen für Rechenzentren in der Stadt bereitgestellt werden müssen. So wolle man die "wachsende Wirtschafts-, Forschungs-, und Innovationslandschaft in der Hauptstadt" fördern. Bis 2028 will Berlin den Bau von Glasfaserleitungen abschließen.
Neben der Bereitstellung von Rechnerkapazitäten soll die von den Hochleistungscomputern erzeugte Wärme als Heizenergie nutzbar gemacht werden. Damit wolle der Betreiber besonders energieeffizient arbeiten, heißt es.
Prea-Sprecher Kückner erklärt, dass benachbarte Unternehmen und Wohnungsbaugesellschaften zunächst zurückhaltend auf den Vorschlag der Betreiber reagiert hätten, die Abwärme des Datacenters zu nutzen. Die durch den Krieg in der Ukraine verursachte Energiekrise hätte allerdings zum Umdenken geführt, sodass es bereits Gespräche mit benachbarten Gewerbetreibenden zur Wärmenutzung gebe.
Der Bezirk hatte in der Baugehmigung bereits zur Bedingung gemacht, dass "vor der Aufnahme der Nutzung nachzuweisen ist, dass die Abwärmeenergie zur Wärmeversorgung eingespeist wird".
Da auch im Sommer dieselbe Abwärme durch die Rechenleistung entsteht, aber keine Heizwärme benötigt wird, sollen Hochtemperatur-Wärmepumpen damit Warmwasser erzeugen können. "Die Temperatur ist ausreichend hoch, um diese nicht nur ins Nahwärmenetz, sondern auch ins Fernwärmenetz einzuspeisen", sagt Prea-Sprecher Kückner und denkt dabei etwa an die Versorgung von Krankenhäusern, die über das gesamte Jahr hinweg viel Warmwasser benötigen.
Ein eigenes Umspannwerk auf dem Rechenzentrumsgelände soll die für den Betrieb benötigten Energieanforderungen sicherstellen. Dieses soll zum Ende der Bauphase 2026 vom Stromnetz Berlin in Betrieb genommen werden. Der Strom für das Datacenter soll komplett aus erneuerbaren Energien geleistet werden.
Mögliche Verkehrsbeeinträchtigungen an der vielbefahrenen Lichtenberger Kreuzung Landsberger Allee Ecke Rhinstraße, die durch die Bauarbeiten entstehen könnten, negiert Prea-Sprecher Kückner: "Wir nutzen das bereits bestehende Leitungsnetz entlang des Geländes und erweitern es um eine eigene Versorgungsleitung für benachbarte Flächen, die direkt von der CO2-neutralen Abwärme profitieren sollen."
Da sich das Gelände am Ende einer Sackgasse befinde, gebe es lediglich eine "schwache Belastung von Verkehrsknotenpunkten", so Kückner weiter. "Der Campus verfügt über eine moderne digitale Infrastruktur, die den physischen Verkehr minimiert."
Eine Studie des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) aus dem vergangenen Jahr [bitkom.org] geht derzeit von 50.000 bereits bestehenden Rechenzentren, Serverräumen und einzelnen Serverschränken in Deutschland aus. Die meisten und größten davon stehen in der Region Frankfurt am Main. Bitkom vertritt als Branchenverband rund 2.200 Unternehmen der digitalen Wirtschaft in Deutschland.
Der Studie zufolge seien die Rechenleistungsansprüche seit Beginn der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden digitalen Vernetzung von Unternehmen im Homeoffice deutlich gestiegen. Laut Prognose werden sich die Rechenzentrumskapazitäten von 2020 zu 2025 verdoppeln. Demzufolge gehen Experten davon aus, dass Berlin neben Frankfurt am Main am meisten als Rechenzentrumsstandort in Deutschland an Bedeutung zulegen wird.
Beitrag von Lisa Schwesig
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