Mangelnde Informationspolitik
Nach der Insolvenz von Konsum Berlin glaubten viele Genossenschaftsmitglieder ihr Geld verloren. Aber Konsum erwirtschaftet mittlerweile wieder Gewinne. Doch um davon zu profitieren, müssen Anteilseigner selbst aktiv werden. Von Kathrin Bräuer-Niekamp
In der DDR kannte jedes Kind den Konsum – auch wenn die Genossenschaft schon 1899 und damit lange vor Entstehung der DDR gegründet worden war. 4,5 Millionen Mitglieder kauften in der DDR in Konsum-Filialen Lebensmittel und Bedarfsartikel ein. Ein Genossenschaftsanteil kostete 50 Mark. Für jeden Einkauf erhielten die Mitglieder Rabattmarken in Höhe des Einkaufs. Am Jahresende konnten sie diese Wertmarken gegen Bargeld eintauschen und erhielten so ihre anteilige Umsatzvergütung.
Nach der Wende hatten viele Menschen zur Altersvorsorge für bis zu 25.000 DM Genossenschafts-Anteile am Konsum Berlin gekauft. Doch dann änderte die "Konsumgenossenschaft Berlin und Umgegend eG Genossenschaft" ihr Kerngeschäft. Die Vermietung von Handelsimmobilien war jetzt die Haupteinnahmequelle. Dabei verzockte sich das Unternehmen. Am Ende standen Schulden von 141 Millionen Euro, 2003 musste Konsum Insolvenz anmelden. Wütende Mitglieder und Anteilseigner gingen auf der Straße. Als Miteigentümer hafteten sie mit ihren Geschäftsanteilen, viele verloren ihr gesamtes Erspartes. Ihre Einlagen von insgesamt 56 Millionen Euro mussten vollständig im Insolvenzverfahren mit den Verlusten verrechnet werden.
Zu dieser Zeit kündigten viele ihre Mitgliedschaft und die Anteile fielen automatisch zurück an die Genossenschaft. Als das Insolvenzverfahren 2007 aufgehoben wurde, nahm Konsum Berlin die Immobiliengeschäfte wieder auf. Ende 2007 hatte die Genossenschaft noch rund 100.000 Mitglieder – mittlerweile sind es etwa 46.000.
Seit 2012 erwirtschaftet die Genossenschaft allerdings wieder Gewinne in Höhe von fast drei Millionen Euro. Die Einlagen, die über Jahre zur Bewältigung der Insolvenz genutzt wurden, werden aufgefüllt. Die Gewinne stehen den Genossen, also den Eigentümern, zu.
Viele Mitglieder glauben aber, dass ihre Anteile durch die Insolvenz nach wie vor wertlos sind. Und die Konsum-Genossenschaft agiert wenig transparent: Nur auf explizite Nachfrage oder über eine erst seit letztem Jahr existierenden Intranet-Zugang bekommen die Genossenschaftler überhaupt Auskunft über ihre Guthaben.
Auch die Berliner Brüder Hans-Joachim und Peter-Erwin Heurich hatten Konsum-Anteile gekauft. Peter-Erwin Heurichs Einlage von 11.500 Euro floss in die Insolvenz-Masse. Er ging davon aus, dass seine Anteile nichts mehr wert seien. Aus den Medien erfuhr er, dass Konsum Berlin wieder im Immobiliengeschäft tätig ist. Heurig setzte sich daraufhin mit der Genossenschaft in Verbindung. Er erlebte eine freudige Überraschung, als er erfuhr, dass die Anteile doch wieder etwas wert sind – aktuell etwa 1.900 Euro.
Dirk Streifler, Anwalt für Wirtschaftsrecht in Berlin, sieht die Informationspolitik der Konsum Berlin nach der Wende kritisch. Viele Menschen hätten bei ihrem Eintritt in die Genossenschaft gar nicht verstanden, dass man mit dem Kauf der Anteile gleichzeitig zum Miteigentümer und Gesellschafter eines Unternehmens wurde – es also "nicht nur um Wertmarken und Weihnachtsbraten" ging. Das sei in späteren Jahren nicht gut kommuniziert worden.
Auf eine Anfrage des rbb-Verbrauchermagazins Super.Markt erklärt der Konsum Berlin dieses Vorgehen: "Unsere Mitglieder erhalten eine detaillierte Saldenübersicht (...) auf telefonische oder schriftliche Anfrage. Eine jährlich automatische Aussendung der Saldenmitteilung (...) können wir uns schlichtweg nicht leisten, da dies (...) das Jahresergebnis etwa 10 Prozent schmälern würde.“ Heißt: Wer nicht fragt, erfährt nichts von den nun wieder vorhandenen Einlagen.
Als Heurich und sein Bruder herausfinden wollten, was mit den Genossenschaftsanteilen ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter passiert ist, erlebten sie eine zweite Überraschung. Dieses Mal allerdings keine freudige. Obwohl sie den Tod der Mutter ordnungsgemäß innerhalb einer Frist von zwei Jahren gemeldet hatten, unterlief ihnen in der Folge ein Formfehler: Ein Schreiben, dessen Bedeutung ihnen damals nicht bewusst war, schickten sie nicht zurück. Die Heurichs verloren daraufhin die Anteile ihrer Mutter in Höhe von 12.500 Euro.
"Ich bin aus allen Wolken gefallen, dass die mir mitteilen, dass ich keinen Anspruch mehr habe", sagt Peter-Erwin Heurich. Die Mitgliedschaft der Mutter war gelöscht worden, weil Heurich sie nicht rechtzeitig umgemeldet hatte. "Da bin ich doch als normaler Sterblicher völlig überfordert", sagt Heurich.
Auf Anfrage des rbb möchten sich keine Mitarbeitenden des Konsum Berlin zum Fall der Brüder äußern - aus Datenschutzgründen. Schriftlich wird auf die Satzung verwiesen, die besagt, "dass die Erben die Mitgliedschaft innerhalb von zwei Jahren, beginnend mit dem Erbfall, einem Miterben allein überlassen müssen, andernfalls endet die Mitgliedschaft zum Ende des Geschäftsjahres".
Wirtschaftsanwalt Streifler sieht auch darin eine schwierige Gemengelage: Denn vielen sei nicht bewusst, dass man als Miteigentümer auch Pflichten habe, etwa Mitteilungspflichten. "Dann kann man ganz schnell diese Genossenschaftsanteile verlieren", sagt Streifler. Laut Satzung können Anteile und somit auch die Einlagen an den Konsum Berlin zurückfallen.
Stirbt ein Genossenschaftsmitglied, muss innerhalb von zwei Jahren der Tod gemeldet werden. Innerhalb dieser Frist muss der Erbschein vorliegen, ein Erbe bestimmt werden, ein Antrag gestellt werden – und die Mitgliedschaft darf nicht beendet werden.
Auch wenn es kompliziert werden kann: Die Konsum-Anteile zu halten, ist zu empfehlen. Ebenso empfehlenswert ist es allerdings, sich über die Pflichten als Anteilseigner zu informieren.
Sendung: Super.Markt, 18.09.2023, 20:15 Uhr
Beitrag von Kathrin Bräuer-Niekamp
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