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Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 11.09.2023 | D. Donschen | Quelle: dpa/Zuma

Nicht in Arbeit oder Ausbildung

"Es ist ein Klischee, dass diese jungen Menschen faul sind"

Wie umgehen mit jungen Menschen, die weder zur Schule gehen, noch eine Ausbildung oder einen Job haben? Der Wissenschaftler Christian Brzinsky-Fay hat sich mit der Gruppe auseinandergesetzt. Er sagt: Druck sei meist kontraproduktiv.

rbb|24: Herr Brzinsky-Fay, das Acronym NEETs steht für "Not in education, employment or training", also junge Menschen, die weder in Beschäftigung, Ausbildung oder Weiterbildung sind. Wie ist dieser Begriff entstanden?

Christian Brzinsky-Fay: Der ursprüngliche Gedanke hinter dem Begriff war, dass man eine Alternative zur Jugendarbeitslosenquote findet. Denn in die Arbeitslosenquote gehen ja nur die Jugendlichen ein, die beim Jobcenter gemeldet sind. Die anderen werden gar nicht erfasst.

Zur Person

Christian Brzinsky-Fay ist Arbeitsmarktforscher an der Universität Hamburg. Er hat Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin studiert und forscht zum Übergang von Schule zum Beruf im internationalen Vergleich.

Und wer fällt da alles rein?

Das ist eine sehr heterogene Gruppe. Es sind junge Menschen, die nach der Schule einen Südamerika-Aufenthalt machen, die Schwarzarbeiten - oder eben nichts tun.

Was sind so die Hauptgründe, weshalb Leute in diese Situation geraten?

Häufig sind es Jugendliche, die keinen Schulabschluss haben beziehungsweise keine Ausbildung abgeschlossen haben. In Deutschland gehören aber auch vermehrt junge, alleinerziehende Mütter dazu. Leicht überrepräsentiert ist die Gruppe der Migrantinnen und Migranten.

Wie groß ist denn die Gruppe der NEETs? Wie viele Leute betrifft es in Deutschland?

Das hängt davon ab, wie man das zählt. Aber es betrifft ungefähr fünf bis 15 Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen 15 bis 29.

Wie kommen denn diese Menschen in diese Situation? Es wird ja nicht einfach so sein, dass die Leute faul sind und keinen Bock haben, irgendwas zu machen, oder?

Nein, das ist ein weit verbreitetes Klischee. So nach dem Motto: Wer Arbeit sucht, der findet auch welche. Aber ob man einen Zugang zur Erwerbstätigkeit bekommt, hängt davon ab, was davor passiert. Im Wesentlichen trifft es Leute, die nicht auf dem klassischen Bildungsweg voranschreiten, sondern aus dem Raster fallen. Etwa Jugendliche, die psychische Probleme haben oder Suchterkrankungen. Bei denen ist das mit der Jobvermittlung nicht so einfach. Selbst wenn die aktiv nach Arbeit suchen oder Angebote bekommen.

"NEETs" in Berlin und Brandenburg

Jung, orientierungslos, sucht: Job

Wenn Jugendliche nach der Schule nicht arbeiten, studieren oder ein Praktikum machen, heißt das nicht unbedingt, dass sie einfach nur chillen. Viele von ihnen kämpfen mit Orientierungslosigkeit und Zukunftsangst. Von Max Ulrich

Und was für Auswirkungen hat das auf die Leute, wenn sie so orientierungslos sind und nicht so richtig wissen, was aus ihnen werden soll?

Meistens tritt dann so ein Verstärkungseffekt ein. Wenn der erste Schritt in die Ausbildung oder in den Arbeitsmarkt nicht funktioniert, dann hat das Folgen für die Zukunft. Im schlimmsten Fall führt das dann nur Desillusionierung oder zur Inaktivität. Und da hilft es dann auch relativ wenig, wenn man den Leuten Druck macht.

Was passiert denn, wenn Druck aufgebaut wird?

Wenn ich Druck bekomme, dann entwickle ich Strategien, wie ich dem ausweichen kann. Eine Vermittlung in Arbeit oder in eine Ausbildungsstelle wird ja als erfolgreich angesehen, wenn sie passiert. Aber das führt auch dazu, dass die Leute dann Sachen machen, die sie gar nicht wollen. Also etwa eine Ausbildung beginnen und sie dann nach einem Jahr wieder abbrechen. Das ist oft nicht unbedingt hilfreich.

Wer ist denn dafür verantwortlich, diesen Leuten zu helfen?

Grundsätzlich ist die Bundesagentur für Arbeit für alles zuständig, was Ausbildung und Erwerbstätigkeit angeht. Aber wenn die Schwierigkeiten schon in der Schulzeit beginnen, dann haben wir das Problem, dass die Bundesagentur dafür eigentlich nicht verantwortlich ist. Schule ist ja Ländersache. Es gibt zwar zunehmend Maßnahmen für Schülerinnen und Schüler, die auch von der Bundesagentur unterstützt und finanziert werden. Aber da haben wir häufig Abstimmungsprobleme. Und natürlich auch Probleme bei der Finanzierung. Denn die Mittel der Bundesagentur für Arbeit werden aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert, die Schule wird aus den Länderhaushalten finanziert. An der Schnittstelle dazwischen passiert schon viel, wie die Jugendberufsagenturen. Aber trotzdem haben wir dort nach wie vor ein Zuständigkeitsproblem.

Berlin und Brandenburg

Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss geht zurück

Wie würde man denn diesen jungen Menschen in der Orientierungsphase am besten helfen?

In der Vergangenheit hat man versucht, den Jugendlichen Angebote für Jobs oder Weiterbildungsmaßnahmen zu machen. Aus meiner Sicht braucht es aber Verantwortliche für die Jugendlichen, die so ein bisschen das Rundum-Paket anbieten. Also es braucht einen Sozialarbeiter, der sozialpsychologisch hilft. Dann braucht es aber auch jemanden, der auf die Jugendlichen zugeht und für sie individuell nach passenden Bildungsmaßnahmen sucht. In der Vergangenheit ist das selten passiert. Aber die Maßnahmen gehen immer mehr in die Richtung. Man muss sich das Profil der Jugendlichen anschauen und sie individuell unterstützen.

Muss man als Gesellschaft vielleicht auch einen bestimmten Prozentsatz an NEETS akzeptieren?

Vieles hängt natürlich von der Arbeitsmarktlage ab. Also wenn die Arbeitsmarktsituation schlecht ist, dann ist es für diese Jugendlichen ganz besonders problematisch. Und wenn die Lage auf dem Arbeitsmarkt gut ist, dann ist es nicht ganz so schlimm für sie. Es wird zwar immer so sein, dass Leute aus dem System rausfallen. Aber auch denen müssen wir helfen. Denn es geht ja hier um Lebenswege und -perspektiven. Deswegen müssen wir da was tun. Und gleichzeitig akzeptieren, dass es nicht immer klappt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Max Ulrich für rbb|24.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 11.09.2023, 19.30 Uhr

Beitrag von Max Ulrich

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