Krise bei Kiezläden
Im Internet gibt es nun auch Berliner Spätis zu kaufen. Was amüsant klingt, ist für den Verein Späti e. V. ein Alarmsignal. Wegen eines Verbots und fehlender Unterstützung durch den Senat drohe vielen Läden das Aus. Von Hasan Gökkaya
Auf dem Verkaufsportal "Kleinanzeigen" (früher eBay Kleinanzeigen) kann man alles mögliche kaufen - und neuerdings auch Spätis: Jene Kiezläden, die ein Stück Berliner Geschichte geworden sind, die gefühlt an jeder Ecke der Stadt stehen, die Bier, Sekt, Kaugummis, Ketchup, Tiefkühlpizzen, Chips und andere Produkte auch noch am späten Abend verkaufen.
"Attraktive Spätkauf-Einheit mit 75 m² Fläche verfügt über Laufkundschaftsverkehr", heißt es in einer Anzeige. In einer anderen Annonce wirbt der Verkäufer für seinen Späti, der "im Herzen des Gräfekiezes" liege. Der Preis für die Übernahme inklusive neuem Kassensystem, Kühlschränken, Regalen und Tresen: 45.000 Euro. Der neue Besitzer muss dann noch monatlich 1.800 Euro Miete abdrücken.
Wieder eine Anzeige weiter steht ein geräumiger Spätkauf zum Verkauf. Dieser verfüge über eine "sehr loyale Stammkundschaft". Der Preis für die Übernahme: "VB", was wohl für Verhandlungssache stehen soll. Die Miete? 1.500 Euro monatlich, fix.
Spätis, samt Inventar, zu kaufen im Internet, ab sofort. Alper Baba erkennt darin ein schlechtes Zeichen: "Viele sind am Ende", fasst er die Lage zusammen.
Baba kennt sich aus, er ist nicht nur Spätibetreiber, sondern auch Vorsitzender des Vereins Späti e.V., der sich für die Interessen der Berliner Spätis einsetzt und nach eigenen Angaben 200 Mitglieder zählt. "Seit der Pandemie rufen häufig Spätibesitzer bei mir an, um mir Bescheid zu geben, dass sie bald aufhören."
Der Grund dafür seien zum einen die gestiegenen Kosten; Energie, Inflation, Miete. Und ein bisschen auch die Lieferdienste. Zum anderen aber, so der Vorwurf: Die fehlende Unterstützung des Senats. "Solange Spätis an Sonn- und Feiertagen, also den umsatzstärksten Tagen, nicht öffnen dürfen, haben wir keine Chance", sagt Baba.
Worauf Baba hinaus will, ist das Berliner Ladenöffnungsgesetz. Spätis dürfen demnach in Berlin nur von Montag bis Samstag öffnen. Sonntags können nur spezielle Verkaufsstellen geöffnet haben, dazu gehören Tankstellen, Apotheken und Backgeschäfte, aber nicht Spätis. "Späti e.V." fordert deshalb seit Jahren, Spätverkaufsstellen mit Tankstellen gleichzustellen.
Der Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB), wo auch der Verein Mitglied ist, unterstützt den Vorschlag. "Wir sind dafür, dass der Einzelhandel generell an Sonntagen öffnen darf, wenn dies gewünscht wird", sagt HBB-Geschäftsführer Phillip Haverkamp. Er zählt die Spätis ausdrücklich dazu und spricht von unfairen Bedingungen, da Tankstellen an Sonntagen offen haben und neben Kraftstoff durchaus Produkte anbieten, die sonst im Supermarkt zu finden sind.
Führt dies dazu, dass die Spätis in Berlin aussterben? Wie viele Spätis es in Berlin gibt, weiß niemand genau, weil Spätis keine offizielle Wirtschaftseinheit sind. Und auch, weil es bei Spätis eine schnellere Fluktuation gibt als bei Supermärkten oder Tankstellen. "Spätibetreiber können im Grunde ihren Mietvertrag kündigen und am selben Tag abends das Licht ausmachen", sagt Haverkamp.
In seiner Bewertung beruft er sich auf eine Schätzung des Vereins Späti e.V., wonach die Zahl der Spätis seit 2016 um 50 Prozent zurückgegangen ist. Der Vorsitzende Baba schätzt konkret, dass von den einst 2.000 Spätkaufs heute nur noch 800 übrig sind.
Den dargestellten Rückgang hält der HBB für realistisch, da es generell einen Rückgang im Einzelhandel gebe - betroffen seien vor allem kleinere und inhabergeführte Geschäfte, wie Spätis. Bundesweit geht der Handelsverband davon aus, dass bis Ende dieses Jahres 9.000 Geschäfte im Einzelhandel verloren [einzelhandel.de] gehen.
Auf einen Anruf hin bei zwei Spätibetreibern, die ihre Läden auf "Kleinanzeigen" anbieten, gibt es seitens der Anbieter wenig Interesse an einem Gespräch mit rbb|24. Vielleicht haben sie keine Lust, vielleicht wollen sie sich das Geschäft nicht schlecht reden und damit den Verkauf gefährden.
Wer in Berlin sonntags unterwegs ist, wird allerdings merken, dass längst nicht alle Spätis zu haben - trotz Verbot. Der Grund hierfür ist meistens ein Trick, auf den Spätibetreiber seit einigen Jahren zurückgreifen. Aufgrund einer Klage gegen das Bezirksamt Berlin-Mitte entschieden Gerichte, dass Gaststätten sonntags öffnen dürfen - und eben dabei so aussehen dürfen wie ein Späti. Heißt, die Spätis fungieren an Sonntagen als Gaststätten. Sie sind dann eine Art Mischbetrieb, bestehend aus einem Einzelhandel, der Butter verkauft, und einer Gaststätte, die Bier und Bockwurst anbietet. Dass beide Betriebe zufällig in derselben Räumlichkeit sind, sei nicht verboten, urteilten die Gerichte damals.
Damit die Ordnungsämter die Spätibesitzer an Sonntagen in Ruhe lassen, müssen die jedoch einige Voraussetzungen erfüllen. Da dies nicht immer möglich sei, könnten längst nicht alle Spätis davon profitieren, so der Verein Späti e.V. "Vor allem kleine Spätis haben haben nicht die Möglichkeit, den erforderlichen 'Gaststättencharakter' herzustellen. Meistens fehlt ihnen schlicht der Platz im und vor dem Späti, um genügend Stühle und Tische aufzustellen", sagt Baba. "Damit allen geholfen werden kann, hilft nur die Gleichstellung von Spätis mit Tankstellen", wiederholt er. Und wenn das nicht passiert? "Viele junge und alte Menschen, die jahrelang in Spätis gearbeitet haben, werden zum Jobcenter rennen. Wie sollen sie ohne Ausbildung, Abitur oder Studium heute Arbeit finden?", so Baba.
Dass die Forderung der Spätibetreiber umgesetzt wird, ist unrealistisch. Der Senat betonte in der Vergangenheit gegenüber rbb|24, dass mehr Spielraum im Ladenöffnungsgesetz nicht möglich sei, da dies gegen höherrangiges Recht verstoße.
Vielleicht ist sich Baba dessen inzwischen bewusst, und so hat er noch eine letzte Schelte an den Senat: "Ich habe dem Regierenden Oberbürgermeister Kai Wegner zwei Briefe geschrieben. Er hat mir geantwortet, dass er nichts tun könne. Als er unseren Verein besuchte, versprach er, sich für unsere Rechte einzusetzen. Das war natürlich vor der Abgeordnetenhauswahl."
Sendung: rbb 88.8, 02.12.2023, 17 Uhr
Beitrag von Hasan Gökkaya
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