Leider gibt es ein Problem beim Abspielen des Videos.
Gastronom wehrt sich
Ein Gastwirt wird von Unbekannten erpresst: Zahlt er ihnen per Bitcoin nicht die geforderte Summe, drohen sie ihm an, seine Google-Bewertung durch künstliche Intelligenz drastisch zu verschlechtern. Kein Einzelfall in Berlin.
Um die Bewertungen, sagt Holger Baaske, habe er es sich nie groß gekümmert. Er steht hinter dem Tresen seines Restaurants in der Karl-Marx-Allee, seit mehr als 20 Jahren betreibt er den "Alpenwirt" nahe der U-Bahn-Station Weberwiese in Friedrichshain.
Er erzählt, die Rezensionen auf Google seien immer gut gewesen, ständig über 4, auf einer Skala bis 5. Im Moment liegt der Schnitt der 918 angegebenen Bewertungen bei 4,3. Aber wenn es nach mutmaßlichen Erpressern geht, soll es dabei nicht bleiben - es sei denn, das Opfer zahlt.
Am Vormittag des 30. November erhielt Baaskes Restaurant eine E-Mail, sie liegt dem rbb vor. "Einer deiner Konkurrenten hat uns eine nette summe Geld gezahlt um deinen ruf zu zerstören, Weil das aber ein arschloch ist wollen wir dir die Chance geben das dies nicht passiert", schrieben der oder die anonymen Verfasser. Er soll ihnen 1.500 Euro zahlen, fordern die Erpresser von dem Gastronom.
"Solltest du dies nicht tun wird unsere Armee von Bots den ruf von Restaurant Alpenwirt komplett kaputt machen, da unsere Bots auf Künstlicher Intelligenz basieren umgehen Sie alle sicherheitsmechanismen und schreiben einzigartige Bewertung. Wir Werden Dafür sorgen das Deine Bewertung bei Google in den Keller geht", heißt es in der Mail.
Die Adresse der verwendeten E-Mail-Domain mit britischer URL-Endung liegt in Kassel, zeigt ein schneller Check, aber das muss nichts heißen, auch die zahllosen Schreibfehler können genauso gut Absicht sein – einen wirklichen Hinweis auf die Verfasser liefern sie nicht.
Fake-Mail-Adressen, die nur kurze Zeit funktionieren und danach gelöscht werden, lassen sich mühelos einrichten. Auch die Bezahlart macht es nicht leichter, alles zurückzuverfolgen: Baaske soll die Erpressungssumme in Bitcoins zahlen.
Er hält das erst einmal für einen Scherz, sagt er, weiß nicht, wie das geht. "Aber in der E-Mail war gleich eine Anleitung mit einem Link drin, wie man die 1.500 Euro bezahlt. Wir haben ihn nicht geklickt, weil wir nicht wussten, wo wir landen", so Baaske.
Noch am gleichen Tag erstattet er Anzeige, auch diese liegt dem rbb vor. Die Polizei informiert auf Anfrage, dass Holger Baaske offensichtlich nicht das einzige Ziel der mutmaßlichen Erpresser war: Seit dem 30. November erhielten drei weitere Restaurants in der Nähe des Alpenwirts ähnliche Drohungen, sagt die Polizeisprecherin Anja Dierschke. Auch aus anderen Bezirken seien Fälle bekannt. Genaueres sagt sie nicht - mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen.
Diese Betrugsmasche ist seit Jahren bekannt, nicht nur in Berlin. In diesem Fall zeigt eine kurze Recherche: Mails mit gleichlautendem Inhalt und der gleichen Forderung hat auch ein Gastronom aus Hamburg bekommen, noch dazu am gleichen Tag wie Holger Baaske [tageskarte.io]. Auch der Gastwirt in Eimsbüttel machte den Fall öffentlich und zahlte nicht – bislang ohne Konsequenzen. Aber auf seinen Facebook-Post hätten sich direkt zwei weitere Betroffene gemeldet, die die gleiche Mail bekommen hätten.
Auch die Berliner Polizei empfiehlt Betroffenen, "die eingehenden E-Mails zu ignorieren, auf keinen Fall eine Zahlung vorzunehmen, den Sachverhalt bei der Polizei anzuzeigen und bei tatsächlicher Umsetzung negativer Online-Bewertungen Google zur Löschung entsprechender Einträge aufzufordern", sagt Anja Dierschke. Neben dem Tatbestand der Erpressung kann eine falsche Bewertung vor Gericht als üble Nachrede oder Verleumdung gewertet werden.
Holger Baaske hat ebenfalls nicht gezahlt und bisher auch keine schlechten manipulierten Bewertungen bekommen, wie er sagt. Er hätte aus Angst vor solchen Angriffen und möglichen Nachahmungstätern schweigen können, aber er hat bewusst den Weg in die Öffentlichkeit gewählt. "Es sollte publik gemacht werden, dass solche Machenschaften auf dem Markt stattfinden und damit natürlich Objekte auch in den Ruin getrieben werden können. Denn solche Portale sind ja schon ein Gradmesser für 'geh ich hin oder nicht' geworden", sagt er.
Gerade in Großstädten mit viel Auswahl spielen solche Bewertungen inzwischen eine riesige Rolle. Ein Beispiel: Bei einer Umfrage durch das Tischbuchungssystem "Open Table" von 2019 gaben zwei Drittel der 2.000 Befragten an, Bewertungen anderer Gäste zu lesen, um sich für ein bestimmtes Restaurant zu entscheiden [food-service.de].
Eigentlich müsste der multinationale Konzern Google bei Bedrohungen durch Fake-Bewertungen von sich aus aktiv werden und den Fall prüfen, im Fall des "Alpenwirt" hat er es bisher nicht getan. Neben dem Feld "Rezensionen schreiben" auf der Google-Seite solcher Restaurants steht ganz offen: "Rezensionen werden nicht von Google überprüft. Google sucht aber gezielt nach gefälschten Inhalten, um sie zu entfernen." Wie genau das Unternehmen das tut, bleibt offen.
Holger Baaske hat sich erkundigt, was er außerdem gegen solche böswillig erfundenen Rezensionen tun kann. Inzwischen verdienen auch Anwälte gut daran, solche Einträge im Auftrag von Mandanten löschen zu lassen, zeigen Angebotsseiten mehrerer Kanzleien im Netz. Eine berechnet beispielsweise 48 Euro pro eingereichter Bewertung, plus Mehrwertsteuer. Baaske bekam ein Angebot von einer legalen Internetfirma aus Kaiserslautern. Demnach könnten schlechte Bewertungen gelöscht werden: 100 Stück für 1.300 Euro. Gerade mal 200 weniger, als die Erpresser von ihm wollten. Er entschied sich dagegen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 11.12.2023, 19:30 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen