Interview | Ostbeauftragter
Viele neu geschaffene Stellen in Bundeseinrichtungen im Osten können nicht besetzt werden. Nach jahrzehntelangem Wegzug fordert der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider, deshalb eine Willkommenskultur im Osten.
Rbb|24: Herr Schneider, 31 neue Bundesinstitutionen wurden seit 2019 in Ostdeutschland angesiedelt oder dorthin verlegt. Ziel ist es, die Regionen voranzubringen. Würden Sie sagen, das wurde in den fünf Jahren erreicht?
Carsten Schneider: Das hat auf jeden Fall eine Dynamik in die Region gebracht. Wir brauchen gut bezahlte, tariflich organisierte Angestelltenverhältnisse, davon gibt es nicht so viele in Ostdeutschland. Ob das geklappt hat, hängt immer vom Ort ab und von der Art der Ausschreibungen: Sind das sehr gesuchte Stellen? Und ist die Region, die Stadt attraktiv? Viel hängt auch davon ab, wie die, die neu kommen, aufgenommen werden.
Kann man einen solchen Fortschritt denn überhaupt messen?
Carsten Schneider: Das ist noch zu früh. Wir sind noch dabei, überhaupt die Stellen zu besetzen. Da konkurriert man nicht nur mit dem privaten Arbeitsmarkt, sondern auch noch mit anderen Städten und Regionen.
Wir sind bei unseren Recherchen auf 3.000 besetzte Arbeitsplätze in ostdeutschen Bundeseinrichtungen gekommen. 4.500 sollten es eigentlich sein. Was läuft schief?
Carsten Schneider: Eigentlich läuft gar nichts schief. Man muss die Leute finden, und sie müssen auch dahin gehen wollen. Wir haben einen Arbeitskräftemangel.
War die Abwanderung aus Ostdeutschland zu stark?
Carsten Schneider: Da sind Millionen weggegangen, um Arbeit zu haben. Das prägt das Bewusstsein. Und jetzt ist das eine komplett andere Situation. Wenn ich einen Informatiker aus München loseisen will oder aus Köln oder vielleicht sogar aus Indien, dann muss er sich in der Stadt wohlfühlen. Das bedeutet, die Bevölkerung dort muss auch offen sein. Wenn die nationalistische Karte gespielt wird, geht da keiner hin, da bin ich ganz sicher. Die Leute gucken sehr genau, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt verändern. Bin ich dort willkommen? Und wenn die Signale dafür nicht positiv sind, dann wird die Stelle nicht besetzt.
Was hilft?
Carsten Schneider: Es hilft sicherlich, wenn man eine soziale Infrastruktur hat, also vielleicht ein Café oder ein Theater wie etwa in Cottbus. Gerade stellt der Bund sehr viele Mittel für den Strukturwandel bereit. Jetzt müssen nur noch die Menschen kommen. Der Bewusstseinswandel muss sich noch durchsetzen.
Kommen diese Ansiedlungsversuche nicht eigentlich viel zu spät - mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung?
Carsten Schneider: Es wäre klug gewesen, früher noch mehr solche Bundesbehörden anzusiedeln. Das ist jetzt eine Korrektur, die spät kommt. Aber ich hoffe nicht zu spät.
In einigen der neuen Institutionen in Ostdeutschland führt der Personalmangel dazu, dass die Aufgaben nicht gut erledigt werden können.Beim BffA, dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten in Brandenburg an der Havel, kam es zu langen Wartezeiten bei Visa-Angelegenheiten. Beim Bundesamt für Wirtschaft in Weißwasser gab es Verzögerungen bei Fördermittel-Bewilligungen. Hat man sich nicht genug Zeit für den Personalaufbau genommen?
Carsten Schneider: Es war eine sehr bewusste Entscheidung, das Amt für Auswärtige Angelegenheiten nach Brandenburg an der Havel zu setzen. Die Behörde ist im Aufbau. Ich glaube, dass dieser Personalmangel, den wir dort haben, behoben wird. Bei der BAFA in Weißwasser ist mir auch adressiert worden, dass es dort Akquise-Probleme gibt. Man muss eben Leute, die woanders ihren Lebensmittelpunkt haben, abwerben. Das ist schwer.
In und um Brandenburg an der Havel werden 400 Verwaltungsfachkräfte gesucht. Das BfAA soll auf 1.000 Mitarbeiter aufgestockt werden. Wo sollen die denn herkommen?
Carsten Schneider: Beim Auswärtigen Amt bin ich mir sicher, dass das gelingen wird, weil es ein sehr attraktiver Arbeitgeber ist. Wir treten jetzt ein in den Wettkampf der besten Köpfe. Es wird sicher eine Binnenwanderung in Deutschland geben. Und Leute in Brandenburg, die jetzt vielleicht im Mindestlohn arbeiten, können dort jetzt einen Job bekommen, der ihrer Qualifikation entspricht. Das hoffe ich zumindest.
Die Stadtverwaltungen Potsdam und Brandenburg suchen händeringend Verwaltungspersonal, aber die Bundesbehörden zahlen besser. Ist das nicht eher schädigend für die Region, wenn Personal abgeworben wird?
Carsten Schneider: Sowohl die Stadt Brandenburg als auch Potsdam haben mit Nachdruck im Bundestag darum gekämpft, dass die Bundesbehörde nach Brandenburg an der Havel kommt. Jetzt ist sie da. Das ist ein Wettbewerb, dem muss sich jeder stellen, auch die Behörden auf lokaler Ebene, die ebenfalls ihre Vorzüge haben.
Viele dieser Büroplätze sind leer in Brandenburg an der Havel. Die Leute pendeln dorthin oder bleiben gleich im Homeoffice. Ist es denn das Ziel, dass die Menschen dort tatsächlich irgendwann leben?
Carsten Schneider: Brandenburg ist eine wunderschöne und mittlerweile auch dynamische Stadt. Ich bin mir sicher, dass es attraktiver ist, in Brandenburg an der Havel zu wohnen, anstatt in Berlin zu horrenden Mietpreisen, mit überfüllten Schulen und dann noch zu pendeln. Ich wünsche mir sehr, dass es zum Zuzug kommt, damit Leute mit einer guten Bezahlung und mit einem sicheren Arbeitsplatz auch in Brandenburg leben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Carsten Schneider sprach Jana Göbel, rbb24 Recherche. Das Interview ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Gespräch in voller Länge können Sie mit Klick auf das Audio-Symbol im Headerfoto nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.12.2023, 07:05 Uhr
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