rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Quelle: dpa/Sebastian Gollnow

Interview zu Bauernprotesten

"Es wäre problematisch, wenn die Regierung jetzt noch weiter zurückrudern würde"

Der Agrarökonom Achim Spiller wirft der Agrarlobby eine Blockadehaltung vor. Im Interview spricht er über eine Neuausrichtung der Landwirtschaft für mehr Nachhaltigkeit statt weiterer Zugeständnisse bei Subventionen.

rbb|24: Herr Spiller, wie blicken Sie auf die Proteste der Landwirte?

Achim Spiller: Sie haben viel Unzufriedenheit auf mehreren Gebieten gezeigt. Es ist deutlich geworden, dass es nicht nur um Agrardiesel geht. Jetzt ist die Frage, wie man das nach vorn bringt, um Zukunftsfähigkeit für die Landwirtschaft zu erreichen. Es ist eher nicht absehbar, dass die Regierung beim Diesel nachgeben wird. Umso wichtiger wäre es jetzt, Weichen für eine zukunftsfähige Agrarpolitik zu stellen.

Bündnis "Wir haben es satt"

Mehrere tausend Menschen demonstrieren in Berlin für ökologische Landwirtschaft

Seit Jahren demonstriert das Bündnis "Wir haben es satt" immer zur Grünen Woche für eine ökologische Landwirtschaft. In diesem Jahr allerdings prägen andere Bauernproteste die Agrarmesse.

Anlass der Proteste waren die Kürzungen beim Agrardiesel und das Ende der Kfz-Steuerbefreiung. Stehen die Proteste im Verhältnis zu den Kürzungen?

Die Regierung hat bereits einen Teil der Kürzungen zurückgenommen. Wenn der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, die Beibehaltung der Agrardieselsubvention zur Bedingung für Gespräche über andere Themen macht, halte ich das für strategisch nicht besonders geschickt. Das kann zu Verhärtungen führen. Ich will nicht hoffen, dass wir ein Gelbwesten-Phänomen wie in Frankreich bekommen.

Lobbygruppen wie der Bauernverband haben sehr viel Einfluss auf die Agrarpolitik in Brüssel oder Berlin. Wurde da in der Vergangenheit vor allem Politik für die großen Betriebe gemacht?

Zumindest wurde keine Politik speziell für die Betriebe gemacht, die Subventionen nötiger hätten. Große Betriebe verdienen mehr, weil sie niedrigere Kosten haben. Beim Agrardiesel zum Beispiel gab es früher eine Deckelung. Für große Betriebe fiel die Steuerbefreiung ab einer gewissen Höhe weg. Das wurde abgeschafft und ist ein Beispiel dafür, dass Subventionen sehr flächendeckend ausgeschüttet wurden und nicht zielgerichtet kleine Betriebe damit gefördert wurden.

Zur Person

Sehen Sie auch eine Verantwortung bei den Agrarverbänden für die Situation, dass Subventionen einen wichtigen Teil der Einnahmen von Landwirten ausmachen?

In den Verbänden gab es in der Vergangenheit immer wieder größere Phasen von Blockadepolitik. Nehmen wir das Düngen. In Deutschland wurde zu viel gedüngt, was eindeutig nicht EU-rechtskonform war und ein Umweltproblem. Trotzdem sind vernünftige Gesetzesvorschläge immer wieder an Blockaden der landwirtschaftlichen Verbände gescheitert. Als die EU Strafzahlungen gegen Deutschland verhängt hat, hat die Vorgängerregierung hastig ein Gesetz gemacht, das nicht gut durchdacht war. Da regen sich die Landwirte zu Recht über zu viel Bürokratie auf. Aber die Ursache dafür ist auch ihre eigene Lobbyarbeit gegen Umweltschutzziele.

Sind die geplanten Kürzungen denn wirklich ein Wettbewerbsnachteil oder schmälern sie eher den Profit?

Der Ackerbau in Deutschland ist dank unseres Klimas sehr wettbewerbsfähig. Da geht es eher um Profiteinbußen. Anders sieht es bei der Tierhaltung aus. Die steht europaweit in einem harten Wettbewerb. Mit Blick auf das Tierwohl bräuchte es eine europäische Lösung, damit die Tierhaltung nicht dorthin abwandert, wo die Standards niedriger sind.

Es gibt sehr unterschiedliche Darstellungen davon, was in der Landwirtschaft verdient wird. Woran liegt das?

Der Staat erhebt nur das, was der landwirtschaftliche Betrieb im engeren Sinn erwirtschaftet. Einkommen etwa von Ehefrauen oder -männern werden nicht erfasst. Oder zum Beispiel Einkünfte aus Biogasanlagen, Windrädern oder Solaranlagen, die teilweise sehr hoch sind. Das macht es schwer zu erkennen, wer Subventionen braucht und wer eigentlich hervorragend verdient.

Ist der Einfluss der Agrarlobby zu groß?

Das kann man so einfach nicht sagen. Allerdings sind die landwirtschaftlichen Interessensverbände in der Tat sehr gut organisiert. Und sie haben zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten eine Agrarpolitik, die auf mehr Nachhaltigkeit zielt, immer wieder verhindert. Das hat zu einem Flickenteppich an politischen Maßnahmen geführt, der nicht zukunftsorientiert ist. Wenn die Proteste etwas Gutes bewirken könnten, dann vielleicht einen Konsens über die Umsetzung der Vorschläge aus der Zukunftskommission Landwirtschaft, Schritt für Schritt in den nächsten 15 Jahren. Sie sind im Konsens entstanden zwischen Landwirtschaft, Umweltverbänden und Wissenschaft.

Sie sind selbst Teil der 2020 einberufenen Kommission. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Warum werden sie nicht umgesetzt?

Die letzte Regierung hat die Vorschläge erstmal auf EU-Recht und auf Finanzierbarkeit geprüft. Dann war die Legislaturperiode um. Die neue Regierung hat sie leider nicht in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. Die zentrale Empfehlung war, dass wir eine nachhaltige Landwirtschaft haben wollen und dass wir als Bürgerinnen und Bürger ein bisschen mehr Geld dafür ausgeben müssen. Das ist dann auch an Finanzminister Christian Lindner gescheitert.

Im Moment sieht es nicht so aus, als würde sich die Bundesregierung oder die Regierungsfraktionen so von den Protesten beeindrucken lassen. Ist das eine Zeitenwende, dass die Politik nicht vor den Agrarverbänden einknickt?

Die Politik hat ja ein ganzes Stück nachgegeben. Sie hat die Hälfte der Kürzungen zurückgenommen und die andere Hälfte zeitlich gestreckt. Es wäre problematisch, wenn die Regierung jetzt noch weiter zurückrudern würde. Was würde das für ein Signal senden an andere Lobbygruppen? Wichtiger wäre es, jetzt die Weichen für eine bessere, unbürokratischere Agrarpolitik zu stellen. Davon hätte auch die Landwirtschaft mehr als von einem günstigeren Agrardiesel.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Hanno Christ.

Sendung: rbb24 Abendschau, 22.01.2024, 19:30 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen