Deutlich mehr Besucher in Berlin und Brandenburg
2023 wurden in der Region mehr als zehn Millionen Kinotickets verkauft - deutlich mehr als im Jahr davor, aber viel weniger als vor der Pandemie. Weder Viren noch Streiks bremsen nun die Branche aus. Für das Kino könnte ein Jahr der Wahrheit angebrochen sein. Von Oliver Noffke
Im vergangenen Jahr wurden in Berlin mehr als 8,2 Millionen Kinotickets verkauft, in Brandenburg waren es knapp 2,2 Millionen. Das sind in beiden Fällen deutlich mehr als noch 2022. Für die Berliner Kinos bedeutet das einen Zuwachs von 26,8 Prozent, bundesweit war dies der stärkste. Brandenburg verzeichnete hingegen gemeinsam mit Sachsen-Anhalt den schwächsten Anstieg (+15,7 Prozent). Dies geht aus Zahlen der Filmförderungsanstalt (FFA) hervor, die am Mittwoch veröffentlicht wurden.
"Während der Pandemie waren die Stimmen laut, die sagten, das Kino ist tot. Alle werden nur noch zu Hause sitzen wollen, um Filme zu schauen", so Christine Berg, Vorsitzende des HDF Kino, dem Branchenverband der deutschen Kinobetreiber. "Ich glaube, die Kinos haben vergangenes Jahr gezeigt, dass das nicht so ist." Insgesamt sei die Stimmung unter den Betreibern "verhalten heiter", sagt sie rbb|24 auf Anfrage. "Wir müssen aber sehen, wo wir hergekommen sind."
Denn im Vergleich zu 2019 - dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie - hinken die Besucherzahlen noch deutlich hinterher (Berlin -10,8 Prozent, Brandenburg -18,9 Prozent). In Brandenburg erholen sich die Filmtheater also weitaus langsamer von den Folgen der Pandemie als die Berliner, das Publikum kommt zaghafter zurück.
Wahrscheinlich hätten sich die Säle stärker füllen können. Doch die Streiks in Hollywood haben sich auch auf die Kinos der Region ausgewirkt. Im Mai hatte die Gewerkschaft der Drehbuchschreiber:innen zum mehrmonatigen Arbeitskampf aufgerufen, zwei Monate später folgten die Schauspielerinnen und Schauspieler.
In den USA sind Filmschaffende - anders als in vielen in anderen Branchen dort üblich - recht lückenlos organisiert. Den Streikenden gelang es deshalb, die großen Film- und Fernsehstudios monatelang auszubremsen. Erst im November waren die Tarifstreitigkeiten endgültig beigelegt.
In der Zwischenzeit wurden viele geplante Produktionen verschoben oder abgesagt – was auch in Babelsberg Lücken in die Drehpläne riss. Zudem wurden die Starttermine vieler Filme, die bereits abgedreht waren und als potentielle Zuschauerhits gehandelt wurden, ins neue Jahr verlegt.
"Im wesentlichen sind die großen Tentpole-Filme aus den USA weggeblieben", sagt Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin beim Medienboard Berlin-Brandenburg. Tentpole, damit sind Filme gemeint, die wie Zeltstangen ganze Hollywood-Studios in der Luft halten können. Blockbuster also wie der zweite Teil der "Dune"-Neuverfilmung oder ein neuer "Ghostbusters"-Film. Beide sollten eigentlich Ende vergangenes Jahr erscheinen, werden aber erst demnächst zu sehen sein.
Beide sind nicht nur Filme, sondern gleichzeitig eigene Marken. Zudem stehen sie sinnbildlich dafür, was heute oftmals einen Tentpole-Film ausmacht: eine Fortsetzung oder Neuauflage eines möglichst kultigen Films sollte es schon sein.
Besonders zu Jahresende sei der Kinokalender derart leergefegt gewesen, dass es den Kinos die Bilanzen verhagelt hat, so Branchenvertreterin Berg. "Zur Wahrheit gehört auch: Das Weihnachtsgeschäft lief nicht wie gewohnt." Normalerweise seien November und Dezember die besten Monate für Kinobetreiber. "Aber im vergangenen Jahr fehlten vor Weihnachten einfach die großen Filme. Und die, die kamen, haben nicht so performt, wie wir uns das gewünscht hatten."
Die schwachen Ergebnisse am Jahresende seien immerhin durch einige Überraschungserfolge im Frühjahr und Sommer abgefedert worden, sagt sie. "Im April hatten wir 'Super Mario', im Sommer hatte niemand damit gerechnet, dass 'Barbie' und 'Oppenheimer' sich zum 'Barbenheimer'-Phänomen entwickeln werden", sagt sie. "Für uns war das verkehrte Welt."
Der deutsche Film konnte von der Hollywood-Lücke hingegen nicht profitieren. Das spiegelt sich auch in den Zahlen der FFA wider. 24,3 Prozent aller bundesweit verkauften Kinotickets gingen vergangenes Jahr demnach an deutsche Filme. 2022 waren es 27 Prozent, 2019 nur 21,5 Prozent. "Es gibt nicht sehr viele Blockbuster-Filme aus Deutschland", erklärt Medienboard-Geschäftsführerin Niehuus. Die Star-Power großer US-Schauspieler ziehe oft schlicht ein breiteres Publikum an als heimische Darsteller. "Das sind zwei Paar Schuhe."
Generell schwankt der Anteil deutscher Filme an den Ticketverkäufen von Jahr zu Jahr relativ stark. Was auch daran liegt, dass in diese Wert Co-Produktionen mit anderen Ländern enthalten sind. In diesem Jahr gehören dazu die teilweise in Babelsberg produzierten Hollywood-Filme "John Wick: Kapitel 4" und der jüngste Teil der "Hunger Games"-Reihe. Der erste gilt mit mehr als 1,7 Millionen verkauften Kinotickets im ganzen Land als erfolgreichster deutscher Film des Jahres.
"Das Kinojahr 2023 hat gezeigt, dass es noch immer ein sehr aktives und interessiertes Kinopublikum gibt", sagt Niehuus. "Bisher musste noch kein Kino in Berlin oder Brandenburg aufgrund der Pandemie endgültig schließen. Das ist eine echt gute Botschaft." Tatsächlich gibt es in der Region heute sogar mehr Spielstätten und mehr Leinwände als noch 2019.
Nun könnte für die Kinobetreiber ein Jahr der Wahrheit angebrochen sein. Die Pandemie-Einschränkungen sind lange aufgehoben, die Streiks in Hollywood sind vorbei. "Was 2023 noch als Gründe für Besucherverluste diente, mag diese 2024 womöglich nicht mehr erklären", sagt Medienboard-Geschäftsführerin Niehuus. So sollten die vielen Verschiebungen weniger ins Gewicht fallen.
Zwar steht bereits fest, dass einige Fortsetzungen und/oder Neuauflagen von "Mission Impossible" (Teil 8), "Blade" (Remake) und ein neuer "Dirty Dancing"-Film mit Jennifer Grey als Francis "Baby" Houseman erst 2025 in die Kinos kommen werden. Diese Verschiebungen werden den Kino-Unternehmen weniger Sorgen bereiten. Auf ihren Plätzen sollen nun Filme starten, die vergangenes Jahr geplant wurden.
Lücken im Programm sind nicht zu erwarten. Aktuell rücken wieder andere Probleme in den Vordergrund, sagt Christine Berg vom HDF Kino. Personalmangel etwa.
Wie sich langfristige Trends bei Filmverwertung und Sehgewohnheiten auf die Verkäufe von Kinotickets auswirken, könnte sich nun deutlich abzeichnen. Berg geht davon aus, dass die Branche damit umgehen werden kann. Etwa, dass seit Pandemiebeginn selbst aufwendigste Filme oft schon wenige Wochen nach dem Kinostart gestreamt werden können.
Die Pandemie habe aber auch einige positive Veränderungen bewirkt. Mittlerweile würden bis zu 70 Prozent der Tickets online verkauft, was die Betriebe besser planen lasse. Während der Lockdowns haben zudem viele Häuser ihre Säle renoviert. Andere sind experimentierfreudiger geworden, zeigen mehr Filme in Originalsprache oder Special-Interest-Vorführungen - Filme, die häufig gestreamt werden, aber bislang selten auf großen Leinwänden zu sehen waren. "Kino gibt es seit 127 Jahren, Kino musste sich immer wieder anpassen", sagt sie. "Tatsächlich befinden wir uns jetzt wieder in einer Phase, in der neue Anpassung stattfindet."
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.02.2024, 11:30 Uhr
Beitrag von Oliver Noffke
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