Bilanz der Wirtschaftsförderung
Die Brandenburger Wirtschaft stand zuletzt oft in Negativ-Schlagzeilen: Das Fürstenwalder Goodyear-Reifenwerk steht vor dem Aus, Krise bei der Glasmanufaktur in Tschernitz. Dennoch haben Unternehmen 2023 rund 2,5 Milliarden Euro investiert. Von Michael Schon
Es ist ein Termin, den Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) sichtlich zu zelebrieren weiß. Die landeseigene Wirtschaftsfördergesellschaft WFBB legt Zahlen vor. Es sind gute Zahlen. Im Jahr der Landtagswahl könnte es für einen Wirtschaftsminister schlechter laufen: mehr als 5.700 neue Arbeitsplätze, 212 Investitions- und Innovationsprojekte, ein Rekord-Investitionsvolumen von 2,5 Milliarden Euro. Die Bilanz für 2023 kann sich sehen lassen, befindet der Minister. Brandenburg bleibt Investoren-Magnet.
Die Freude ist offenbar so groß, dass Steinbach sich beim Referieren der Zahlen kurz in der Größenordnung vergreift: 50 Millionen Euro pro Arbeitsplatz seien in den vergangenen vier Jahren im Schnitt in Brandenburg investiert worden. Hoppla, das waren gleich zwei Nullen zu viel.
Aber auch wenn es in Wirklichkeit 500.000 Euro waren, ist das für den Minister Anlass zum Jubel. Denn solch hohe Summen pro Arbeitsplatz lohnten sich nur im produzierenden Gewerbe mit seiner entsprechenden Wertschöpfung, so Steinbach. Das sorge dann auch für höhere Gewerbesteuern als beispielsweise im Dienstleistungsgewerbe.
Botschaft: Kommunen können sich in Brandenburg über neue Ansiedlungen besonders freuen. In Grünheide beispielsweise seien zuletzt sechs Millionen Euro Gewerbesteuer von Tesla geflossen.
So einfach ist es allerdings nicht mit der Freude über Gewerbeansiedlungen. Das kann auch Berufsoptimist Steinbach nicht verhehlen. Während der Satz "Brandenburg bleibt Investoren-Magnet" für viele vor kurzem noch eine rundweg gute Nachricht gewesen wäre, zeigt das Beispiel Tesla und die Ablehnung seiner Erweiterungspläne in Grünheide, wie skeptisch viele Brandenburger und Brandenburgerinnen mittlerweile sind.
Steinbach spricht dann von mangelnder Veränderungsbereitschaft, die "nicht hilfreich" sei. Er kritisiert aber auch, dass der Einstieg in die Energiewende über 20 Jahre lang verschleppt worden sei – und Veränderungen daher nun mit besonders großer Wucht auf die Menschen zukämen.
Bei Gewerbeansiedlungen will er sich künftig auf "eine Allianz der Willigen" stützen. Das bedeutet: Aus einem Katalog von 30 Gewerbegebieten habe sein Haus diejenigen herausgefiltert, bei denen die jeweiligen Kommunen tatsächlich Interesse an Gewerbeansiedlungen haben. Zunächst würden diese von der Landespolitik gezielt unterstützt, um Konflikte in anderen Kommunen zu vermeiden.
Dass die Ansiedlung neuer Unternehmen ein zunehmend herausforderforderndes Betätigungsfeld für einen Wirtschaftsminister ist, scheint Steinbach also bewusst zu sein. Es müsse gelingen, Menschen Ängste zu nehmen und sie beim Umbau des Wirtschaftsstandorts Brandenburg mitzunehmen, mahnt er. Anderenfalls sei Brandenburgs Wohlstand in Gefahr. Es müsse den Leuten klar sein: Ihr habt einen persönlichen Vorteil von den Veränderungen, nicht nur einen Nachteil.
Dieses Argument versucht der Chef der Brandenburger Wirtschaftsförderung, Steffen Kammradt, zu untermauern. Beispiel Bayern: Ingolstadt, wo die Zentrale von Audi auf einer Fläche in der gleichen Größe wie das Tesla-Werk in Grünheide liege, habe sich seit den 1950er Jahren stark entwickelt. Aus einem mäßig industrialisierten Städtchen sei eine Stadt mit 140.000 Einwohnern, zahlreichen Zulieferern und dem zweithöchsten Bruttoinlandsprodukt in Deutschland geworden.
Kammradt spricht von einer Wohlstandsspirale: Wer beim Autobauer gutes Geld verdiene, gebe auch mehr für einen Haarschnitt oder seine Brötchen aus.
Brandenburg hat da wohl noch einen Weg vor sich. Auch, weil Wirtschaftsminister Steinbach bis zum Ende des Jahrzehnts zunächst große Umbrüche prophezeit.
Die schlechte Nachricht: Er erwartet, dass in den nächsten sechs Jahren etwa 20 Prozent der Unternehmen ihr Geschäftsfeld verlieren, beispielsweise, weil ihre Produkte auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig sind.
Die gute Nachricht: Brandenburg könne diesen Effekt "überkompensieren" und werde nach einem wirtschaftlichen Umbau mindestens so gut dastehen wie vorher, verspricht Steinbach. "Oder ein bisschen besser." Nebeneffekt: Der Niedriglohnsektor, zu dem aktuell noch rund 30 Prozent der Jobs zählen, werde kleiner – weil die neuen Jobs besser bezahlt seien als diejenigen, die nach der Wiedervereinigung entstanden seien.
Beim Wirtschaftswachstum rechnet Steinbach schon in diesem Jahr mit erneut guten Zahlen. Nachdem sich Brandenburg Anfang des vergangenen Jahres bei sechs Prozent Wachstum mit dem Titel "dynamischstes Bundesland" schmückte, sei auch in diesem Jahr wieder mit einem Wachstum deutlich über dem Bundesdurchschnitt zu rechnen. Die Zahl liegt noch nicht vor, dennoch schwärmt der Minister: "Das war keine Eintagsfliege."
Am Ende bleibt also ein sichtlich zufriedener Wirtschaftsminister. Steinbach würde im Herbst Steinbach wählen. Daran dürfte nach dem Termin kein Zweifel bestehen.
Sendung: rbb24, 14.03.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Michael Schon
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