Drohende Privatinsolvenzen
Der Frust sitzt tief bei ehemaligen Betreibern von Corona-Teststellen: Einige Millionen Euro sollen noch nicht ausgezahlt worden sein, unter anderem an "Coronabike". Die KV Berlin verweist auf langwierige Prüfungen. Derweil formiert sich der Protest. Von Frank Preiss
"Die Corona-Pandemie soll politisch aufgearbeitet werden, das finde ich gut. Allerdings ist die Pandemie an sich ja noch gar nicht richtig abgeschlossen", ärgert sich Florian Kosak. Der Geschäftsführer des Berliner Büroflächenvermieters "Unicorn Workspaces" hat seinerzeit flexibel auf die Herausforderungen der Corona-Zeit reagiert. Büros waren angesichts des verordneten Home-Office kaum vermittelbar. Um seine Beschäftigten nicht auf die Straße setzen zu müssen, betrieb Kosak in den leerstehenden Räumen Corona-Testzentren - in Potsdam sowie in Berlin-Neukölln und Kreuzberg.
"Wir haben insgesamt 700.000 Bürgertestungen gemacht. Uns wurde seinerzeit von den Behörden und auch von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt. Und trotzdem warten wir noch auf eine beträchtliche Summe", erklärt der aufgebrachte Geschäftsführer im Gespräch mit rbb|24.
Sein Ärger richtet sich gegen die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin. Die bekam so wie alle anderen KVs in Deutschland Geld vom Bund, damit - in der Hochphase der Pandemie - möglichst schnell und möglichst viele Teststellen für Bürger eingerichtet werden konnten. Zu Beginn der Pandemie wurden Gelder, damit alles zügig ablief, ohne gründliche Prüfungen an die Antragsteller verteilt. Ordentlich abgerechnet werden sollte später.
In der Folge wurde allerdings klar, dass es auch zu Betrügereien kam, so auch in Berlin. Unter anderem gaben Teststellen gegenüber der KV eine höhere Zahl von durchgeführten Tests an. Die KV reagierte mit aufwändigen Prüfungen.
Kosak und seine Mitstreiter betrachten sich als Opfer all dieser Ereignisse. Kosak wartet nach wie vor auf 500.000 Euro, die ihm die KV zu wenig ausgezahlt haben soll. Das geht aus Unterlagen hervor, die dem rbb vorliegen. Einen Widerspruch gegen den Erstbescheid hatte die KV abgelehnt. Letztlich hat Unicorn vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Das Verfahren wird sich wohl über mehrere Jahre erstrecken. "So lange laufen die Zinsen für Kredite, die wir aufnehmen mussten, weiter. Ob wir Verzugszinsen von der KV erstattet bekommen, darf bezweifelt werden", ärgert sich Kosak.
Noch härter trifft es "Coronabike", einen der seinerzeit größten Teststellen-Anbieter in Berlin. Die bis zu 200 Mitarbeiter waren während der Corona-Krise vor zahlreichen Supermärkten und Einkaufszentren präsent. In den letzten Monaten der Pandemie wurden vor allem vor Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Tests durchgeführt - denn dort galt noch die Testpflicht.
Coronabike wartet auf 4,1 Millionen Euro, wie aus Dokumenten hervorgeht, die ebenfalls dem rbb vorliegen. "Die Forderungen betreffen Abrechnungen ab Beginn unserer Tätigkeit, also ab April 2021. Es wurden immer wieder nicht nachvollziehbare Kürzungen vorgenommen und nur Abschläge ausgezahlt. Ab Mai und Juni 2022 wurden dann die Auszahlungen vollständig eingestellt", beklagt Maximilian Fritzsch, Geschäftsführer von Coronabike, im Gespräch mit rbb|24. Auch auf mehrere Nachfragen habe die KV Berlin nicht reagiert. "Dabei sind wir auf eine kurzfristige Auszahlung unserer Forderung angewiesen", so Fritzsch.
"Die KV hat vor zwei Jahren die Zahlungen an die Testellenbetreiber quasi eingestellt. Die Abrechnungsmonate Juni 2022 bis März 2023 sind bei fast allen Testbetreibern noch 100-prozentig offen zur Auszahlung", bestätigt auch Kosak.
Gleichzeitig bemängeln Kosak und Fritzsch stellvertretend für viele andere ehemalige Teststellenbetreiber, die KV-Bescheide seien oberflächlich und zudem nicht sachgerecht abgerechnet worden. Bei "Coronabike" seien beispielsweise die Forderungen um fast 40 Prozent gesenkt worden. "Im Widerspruchsverfahren konnte Coronabike nachweislich die Kürzung auf 2 Prozent reduzieren. Doch geschehen ist seitdem nichts", kritisiert Kosak, der sich als Investor an Coronabike beteiligt hatte.
Und auch bei seiner eigenen Firma wurde demnach falsch abgerechnet, schildert er: "Das Inkasso-Unternehmen Förstner aus Kiel wurde mit der Abrechnung beauftragt. Unsere Daten wurden dort in Excel-Listen kopiert, und bei einer Postleitzahl fehlte eine Null. Deshalb wurde bei uns rausgekürzt. Wir konnten in vielen Fällen eine mangelhafte Datenverarbeitung nachweisen", so Kosak.
Die KV Berlin will auf Nachfrage weder zu dem Fall Unicorn noch zu dem Fall Coronabike etwas mitteilen: "Wir bitten um Verständnis, dass sich die KV Berlin nicht zu laufenden Verfahren und einzelnen Teststellenbetreibern äußern wird", heißt es in der Antwortmail der KV-Sprecherin.
Die Kassenärztliche Vereinigung verweist vielmehr auf intensive Prüfungen, die bei manchen Teststellen nötig gewesen seien und auch noch liefen: "Rund 3.900 Teststellen haben sich im Rahmen der Abrechnung von Corona-Tests bei der KV Berlin registriert. 75 Prozent der Teststellen wurden bereits vollständig ausgezahlt. Ca. 25 Prozent der Teststellen mussten allerdings vertieft geprüft werden, weil sie im Rahmen der vorgeschriebenen Plausibilitätsprüfung auffällig waren oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen den Auszahlungen entgegenstehen", teilt die KV-Sprecherin rbb|24 mit.
Um welche Größenordnung es sich bei den noch ausstehenden Forderungen handelt, will sie nicht mitteilen, sondern erklärt stattdessen: "Die von allen Teststellen beantragte Gesamtsumme ist ohne Relevanz. Das liegt daran, dass jede auffällige Teststelle individuell von der KV Berlin überprüft wird und dabei festgestellt wurde, dass die beantragten Summen teils deutlich über den den Teststellen zustehenden Beträgen liegen."
Dass die Bearbeitung von Anträgen und Widersprüchen mitunter lange dauern kann, räumt die KV durchaus ein und begründet dies wiederum mit "vertieften Prüfungen". Für sie müssten "umfangreiche Dokumente bei den betreffenden Teststellenbetreibern angefordert werden, so dass die Bearbeitungszeit auch maßgeblich von der Mitwirkung der Betroffenen abhängt."
Für Kosak und seine Mitstreiter könne diese Erklärung derweil nicht gelten, wie er selbst betont. Sein Unternehmen und auch Coronabike hätten durchweg "weiße Westen" und immer konstruktiv mitgewirkt, betont er. Und "relevant" seien die Summen, um die es geht, sehr wohl. Kosak geht nach Rücksprache mit anderen Betroffenen davon aus, dass insgesamt mindestens 60 Millionen Euro noch nicht an ehemalige Testbetreiber ausgezahlt wurden, obwohl ihnen eben diese zustünden. Überprüfen ließ sich diese Zahl nicht.
Rechtlich haben betroffene Unternehmen nur die Möglichkeit, gegen die KV beim Verwaltungsgericht Klage einzureichen, so wie es auch Kosak getan hat. Doch danach beginnt eine lange Wartezeit, die Betroffene in wirtschaftliche Existenznot treiben kann. Denn gleichzeitig müssen ehemalige Betreiber zahlreiche Gläubiger bedienen: Banken, Lieferanten für Testkits, Vermieter, Personal, Forderungen des Finanzamtes. "Vielen meiner Mitstreiter droht durch diese langwierigen Prozesse die Privatinsolvenz", betont Kosak. Und ein weiterer Aspekt werde durch das Gebaren der KV sträflich übersehen: "Wenn mal wieder eine solche Pandemie kommt, fehlt die nötige Resilienz. Denn wer wird sich dann noch für Teststellen zur Verfügung stellen? Viele private Unternehmen werden angesichts dieser Entwicklungen zögerlich sein, nochmal mit der KV zusammenzuarbeiten."
Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, versammelten sich Kosak und Fritzsch gemeinsam mit weiteren ehemaligen Teststellenbetreibern am Montag vor dem Gebäude der KV in der Masurenallee in Berlin-Charlottenburg. "Insgesamt waren wir 25 Protestierende. Von der KV wollte niemand mit uns ins Gespräch kommen", bilanziert Kosak.
Er fordert auch die Gesundheitsverwaltung des Senats zum Handeln auf. Damit sein Unternehmen irgendwie aus der Misere herauskommen kann.
Beitrag von Frank Preiss
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