Zukunft der Messe Berlin
Im vergangenen Jahr feierte die Messe Berlin ihr hundertjähriges Jubiläum - und das Ende der Pandemie. Nun ist der Kalender wieder voll, das Geschäft brummt. Doch die sorglosen Jahre sind vorbei, der Messe stehen große Herausforderungen bevor. Von S. Schöbel
Grau ist das neue Gold, zumindest wenn man in den Online-Kalender der Messe Berlin schaut. Dort sind Veranstaltungen grau markiert, und bis Ende des Jahres gibt es nur wenige Wochen ohne einen Eintrag. Die Corona-Flaute scheint endgültig überwunden, entsprechend positiv hätte die nun angesetzte Debatte im Wirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses ausfallen können. Doch die Stimmung war deutlich ernster: Denn unter den scheinbar positiven Zahlen verbergen sich eine Vielzahl von Herausforderungen für eines der wichtigsten Landesunternehmen.
Was Messe-Chef Mario Tobias freilich versucht, optimistischer darzustellen. "Dass Messen zurück sind und dass die Menschen sich wieder sehen wollen und müssen, steht für mich komplett außer Frage." 2023 habe die Messe Berlin bereits wieder rund 120 Veranstaltungen in ihrem Kalender gezählt. Der Umsatz lag bei 370 Millionen Euro, so Tobias, insgesamt kamen rund 1,7 Millionen Besucherinnen und Besucher. Dass der Trend nach der Pandemie zu deutlich weniger profitablen hybriden oder rein digitalen Veranstaltungen gehe, habe sich nicht bestätigt. "Wir sehen das schon im alten Jahr, im 2023, von den vielen kleineren Veranstaltungen, die Rekordwerte erzielt haben", so Tobias. Es wären mehr gewesen, so der Messe-Chef, wenn nicht zwischendurch mal die Bahn und mal das Flughafenpersonal gestreikt hätte.
Deutlich skeptischer ist hingegen Christian Andresen. Der Präsident des Hotel- und Gastronomieverbandes Berlin (Dehoga) hat andere Zahlen mit in den Wirtschaftsausschuss gebracht: Vor der Pandemie habe die Messe mehr als 1,5 Milliarden Euro pro Jahr an Wirtschaftsleistung in die Stadt gebracht, auch Dank der fast 300.000 Fachbesucher.
Nach der Pandemie aber seien die Besucherzahlen der Messen bislang merklich geringer ausgefallen, was vor allem die Hoteliers der Stadt merken würden. Bei Hotelzimmern aller Preissegmente sei die Belegung um rund 15 Prozent eingebrochen, die Einnahmen pro Übernachtung um gut 23 Prozent. Die Kosten wiederum seien um rund 30 Prozent gestiegen. "Das ist nicht auskömmlich", so Andresen.
Nun seien in den drei ersten Monaten des Jahres auch noch deutlich weniger Fluggäste am BER gezählt worden: pro Monat eine Million weniger, sagt Andresen. "Das sind 33.500 am Tag. Das ist eine enorme Zahl." Bahn-Reisende, britische Billigflieger und skandinavische Autoreisende könnten das nicht auffangen, rechnet Andresen vor. "Aus den USA und auch aus Asien fehlen weitreichend die Gäste."
Beim Grund für die Flughafenmisere ist man sich parteiübergreifend ziemlich einig: Berlins schlechte Anbindung an die internationalen Direktflugverbindungen. Schuld sei nicht nur das Bundesverkehrsministerium, das keine zusätzlichen Slots für Interessenten wie Emirates genehmigt, so der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Jörg Stroedter (SPD). Der Bund halte dabei schützend die Hand über die deutsche Premium-Airline, die Berlin jedoch weitgehend ignoriere, so Stroedter. "Das eigentliche Kernproblem ist gar nicht, dass Lufthansa hier nicht mehr präsent sein will, sondern dass sie boykottieren, dass andere präsent sein können."
Die Lufthansa bestehe auf ihre vier Großstandorten München, Frankfurt, Zürich und Wien und "interessiert sich einen Scheißdreck für Berlin", schimpft Stroedter.
Auch bei der Messe ärgert man sich schon lange über fehlende Direktflüge in die Welt - ein Wettbewerbsnachteil im ohnehin immer härter geführten Kampf um die finanziell potenten Messe- und Kongressbesucher, so Mario Tobias. Doch viel unmittelbarer als die Probleme des Flughafens BER sind für ihn die anstehenden Bauarbeiten am Dreieck Funkturm. Ab 2025 soll hier komplett umgebaut werden, bis weit in die 2030er Jahre hinein.
Gespräche mit der bundeseigenen Autobahngesellschaft waren bislang eher schwierig, deutet Tobias an: Nur mit Hilfe des Senats habe man der anderen Seite klar machen können, dass die vielen Lkw-Ladungen für Großveranstaltungen rund um den Funkturm weiter rollen müssen, trotz der Baustelle. "Stellen Sie sich vor, es gäbe keine ordnungsgemäße Anbindung", skizziert Tobias die Situation der zahlreichen Lkw. "Dann stauen die sich die Avus runter und wir haben ein absolutes Verkehrsproblem." Im Mai stehen weitere, schwierige Gespräche mit der Autobahngesellschaft an.
Dazu kommen dringend notwendige Sanierungen auf dem Messegelände selbst. "Das ist so ein bisschen so wie auf dem Eiffelturm", versucht die der Messe-Chef in Humor, "wenn du fertig gestrichen hast und oben angekommen bist, kannst du wieder anfangen." Vor allem Halle 9 steht ganz oben auf der Liste, und auch das Verwaltungsgebäude aus den 60er Jahren muss abgerissen und neu gebaut werden - alles in Zeiten steigender Preise und einem wieder voller werdenden Messekalender.
Ginge es nach der Messe, würde Halle 9 gleich zu einem komplett neuen Konferenzzentrum umgebaut werden, um Berlins fehlende Kapazitäten bei kleinen und mittleren Veranstaltungen mit 2.000 bis 5.000 Teilnehmern zu schließen.
Das ist eine Kapazität, die sich manche schon in einem sanierten ICC auf der anderen Straßenseite gewünscht haben. Doch bei der Messe hat man sich längst anders entschieden. Zwar sei das ikonische Gebäude "unfassbar spannend", so Mario Tobias. "Es ist aber nichts, was du heute als Kongress so gebucht bekommst." Beim anstehenden Konzeptverfahren, das Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) noch in diesem Jahr beginnen will, wird die Messe Berlin wohl nur noch als interessierter Nachbar des ICCs zuschauen. Selber wachsen will man lieber auf der anderen Seite des Messedamms.
Und man will international konkurrenzfähig bleiben: mit ihren eigenen Marken, etwa der Reisemesse ITB, ist die Messe Berlin längst auch in anderen Ländern aktiv. Mario Tobias will an dieser Strategie festhalten - auch wenn längst nicht alle Parteien im Abgeordnetenhaus, unter anderem die mitregierende SPD, davon überzeugt sind. Tobias aber verweist auf die Konkurrenz in Asien, vor allem China und die Golfstaaten: Die würden längst eigene Kongresse und Messen aufbauen, hoch subventioniert von den jeweiligen Regierungen. "Wenn wir uns als Messe Berlin mit unseren besten Messen im Ausland platzieren können, vermeide ich Wettbewerb, damit nicht andere uns irgendwann in Berlin attackieren", erklärt der Messe-Chef.
Artikel im mobilen Angebot lesen