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Unterstützungsleistungen
Wer im Alter nicht mehr selbständig leben kann, braucht Hilfe. Die kann zum Beispiel von ambulanten Pflegediensten geleistet werden - wenn ein Pflegegrad vorliegt. Doch die Pflegekassen lehnen Anträge häufig ab, auch Widersprüche werden abgeschmettert.
Drei Herz-Operationen, dazu Rheuma, Arthrose, Asthma - und tagtäglich diverse Tabletten. Vieles schafft Karin W. aus Berlin-Marzahn nur noch mit Schmerzen oder - wie Duschen – manchmal gar nicht. Weil es ohne Hilfe kaum noch geht, beantragte die 75-jährige im vergangenen Jahr einen Pflegegrad, ihr Arzt hatte das empfohlen. Aber W. bekommt trotz ihres Zustands keinen Pflegegrad.
Dabei hat jeder Anspruch auf einen Pflegegrad, dessen Selbständigkeit schon gering beeinträchtigt ist, dann gibt es den Pflegegrad 1. Hoch geht es dann bis Pflegegrad 5, der für schwerste Beeinträchtigungen "mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung" steht. Das gilt etwa, wenn eine Demenz vorliegt. Für die Einstufung werden verschiedene Bereiche, die unterschiedlich gewertet werden, berücksichtigt: "Mobilität", "kognitive und kommunikative Fähigkeiten", "Selbstversorgung", "Bewältigung und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen" sowie "Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte".
Die Einstufung der Antragsstellenden wird nach Beauftragung durch die Pflegekasse von Expertinnen und Experten des Medizinischen Dienstes vorgenommen, in manchen Fällen auch von anderen unabhängigen Gutachterinnen oder Gutachtern. Sie besuchen Betroffene zuhause und schätzen die Situation ein.
Bei Karin W. wurde der Antrag auf einen Pflegegrad nach der Begutachtung von ihrer Pflegekasse, der Barmer, abgelehnt, der Widerspruch ebenfalls - ohne konkrete Angabe von Gründen und ohne eine erneute medizinische Begutachtung. Jetzt bleibt W. nur noch der Gang vors Sozialgericht.
Karin W. sei kein Einzelfall, sagt Rechtsanwalt Florian Specht, er beobachtet solche pauschalen Ablehnungen häufiger. Mit seinem Start-up "Pflegewächter" unterstützt er Versicherte im Pflegefall. "Die Kasse ist gesetzlich verpflichtet, Gründe im Einzelfall aufzuführen, warum der Widerspruch keinen Erfolg hatte." Tatsächlich hätten Pflegekassen per Gesetz auch die Pflicht, einen Fall noch einmal genau zu prüfen - in der Regel durch einen zusätzlichen Hausbesuch, nur im Ausnahmefall nach Aktenlage. Laut Barmer war genau das bei Karin W. der Fall - auf Anfrage des rbb-Verbrauchermagazins Super.Markt teilt die Kasse mit, der Fall sei dennoch korrekt geprüft worden.
Nach Angaben des Medizinischen Dienstes wurden allein im Jahr 2022 rund 2,5 Mio. Pflegegutachten erstellt. Im gleichen Zeitraum mussten 185.000 Widersprüche bearbeitet werden. Diese werden jedoch häufig einfach pauschal abgewiesen. Statt konkreter Gründe gibt es dann nur Floskeln und Textbausteine. "Das darf absolut nicht sein und das ist wirklich eine Pervertierung des Widerspruchverfahrens", so die Meinung des Rechtsanwalts.
Um Widersprüche abzuwehren, gehen Pflegekassen mitunter noch weiter und versuchen, Versicherten ihr Vorhaben auszureden. Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) etwa fragte bei einer 70-Jährigen aus Dallgow-Döberitz, die drei Schlaganfälle hatte und unter chronischen Schmerzen leidet, schriftlich nach, ob sie ihren bereits eingereichten Widerspruch nicht zurücknehmen wolle.
Auch solche Nachfragen seien kein Einzelfall. "Das wird tatsächlich institutionell von den Pflegekassen so betrieben", berichtet Florian Specht. "Hier geht es darum zu versuchen, den Versicherten freiwillig zum Verzicht seines Widerspruchs zu bringen."
Und es geht sogar noch dreister. Manche Pflegekassen rufen ihre Versicherten an, damit die den Widerspruch zurückziehen. Dem rbb liegen mehrere Aussagen von Betroffenen vor, die das bestätigen. Solche Anrufe sind allerdings nicht erlaubt. Das Bundesamt für Soziale Sicherung - die Aufsichtsbehörde der Kranken- und Pflegekassen - kritisiert das Vorgehen seit Jahren. Auch der Patientenbeauftrage der Bundesregierung spricht in dem Zusammenhang von Fehlinformationen und Täuschung.
Weder nach schriftlicher noch nach telefonischer Aufforderung sollte man seinen Widerspruch zurückziehen, so der dringende Rat der Experten. Denn wer seinen Widerspruch zurückzieht, kann gegen die Kasse in der Regel nicht mehr klagen und verliert möglicherweise viel Geld.
Und: Der Widerspruch gegen die Ablehnung eines Pflegegrades kann sich am Ende lohnen. Die Zahlen des Medizinischen Dienstes belegen: Rund 30 Prozent der Widersprüche sind - trotz unveränderter Sachlage - am Ende erfolgreich.
Wer einen Pflegegrad beantragen möchte kann vorher eine unabhängige Beratung in Anspruch nehmen, etwa durch die Pflegestützpunkte in Berlin [externer Link] und Brandenburg [externer Link], kommunale Beratungsstellen und Beratungsangebote der kirchlichen Anbieter und Wohlfahrtsverbände.
Diese Beratung ist kostenlos. Hier kann man sich gemeinsam mit einer Pflege-Expertin oder einem Pflege-Experten auf die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst vorbereiten. Denn immer wieder kommt es vor, dass Betroffene bei dem Termin mit der Gutachterin oder dem Gutachter ihre Situation beschönigen; zum Beispiel aus Scham. Deshalb kann es auch helfen, bei dem Termin mit dem Medizinischen Dienst eine Vertrauensperson dabei zu haben, um sich sicherer zu fühlen.
Bei etwaigen Problemen, etwa, wenn die Kasse bestimmte Fristen nicht einhält, oder wenn ein negativer Bescheid kommt, helfen die Verbraucherzentralen weiter.
Ein Widerspruch muss spätestens vier Wochen nach Eingang des Negativ-Bescheids von der betroffenen Person oder einer bevollmächtigten Person eingelegt werden. Das Schreiben muss keiner bestimmten Form folgen, es bedarf aber einer stichhaltigen Begründung, warum Widerspruch eingelegt wird. Für diese Begründung sollte das Gutachten genau überprüft werden - wo sind Sachverhalte, die eventuell nicht richtig erfasst worden sind? Liegt das Gutachten noch nicht vor, sollte man es umgehend bei der Pflegekasse anfordern. Auch medizinische oder pflegerische Unterlagen, aus denen ein erhöhter Pflegebedarf hervorgeht, sollten dem Widerspruch beigefügt werden.
Die Berliner Verbraucherzentrale bietet unter anderem eine Pflegerechtsberatung an. Auch Stellen wie die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V. (BIVA) oder eben Start-ups wie die Pflegewächter bieten Hilfe an. Wird auch der Widerspruch abgewiesen, kommt nur noch der Gang vors Sozialgericht in Frage.
Sendung: Super.Markt, 06.05.2024, 20:15 Uhr
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