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Audio: rbb24 Inforadio | 02.05.2024 | Buchmüller, Patrik | Quelle: dpa/Held

Berlin übernimmt Kraftwerke und Leitungen von Vattenfall

(K)ein Plan für grüne Fernwärme

Die Fernwärme ist wieder eine Berlinerin. Den milliardenschweren Rückkauf von Netz und Kraftwerken befürworten auch Opposition und Umweltschützer. Sie warnen aber, dass Berlin beim Umbau des Wärmesystems buchstäblich den Holzweg einschlägt. Von Jan Menzel

Die Einladungen für den Festakt sind schon raus. Der Regierende Bürgermeister, die Wirtschaftssenatorin und der Finanzsenator sind angekündigt. Am Ufer der Spree wird eine Eventbühne aufgebaut, es wird Ansprachen geben und jede Menge Schulterklopfen. Der Eigentümerwechsel bei der Fernwärme soll mit einer Feierstunde im Heizkraftwerk Mitte begangen werden. "Wir holen die Wärme nach Hause. Das ist eine der wichtigsten energiepolitischen Weichenstellungen dieses Jahrzehnts", sagt Franziska Giffey. Die SPD-Politikerin hatte den Deal schon als Regierende Bürgermeisterin eingefädelt. Nun kann sie Vollzug melden.

Rückkauf allein nicht ausreichend

Nicht dabei, zumindest nicht auf dem Kraftwerksgelände, werden zahlreiche Aktivisten von Greenpeace, Nabu und BUND sein, obwohl auch sie die Rekommunalisierung immer gefordert haben. Dafür haben sie sich vor einigen Tagen mit einer Sirene, Plakaten und Transparenten vor dem Roten Rathaus aufgebaut. Mit dem Rückkauf der Fernwärme sei es noch nicht getan, ruft Eric Häublein vom Naturschutzbund Nabu vor zwei Dutzend Mitstreitern in sein Megaphon: "Die Arbeit geht jetzt erst los! Das Land Berlin hat es in den letzten Jahren verschlafen, den Ausstieg aus den fossilen Energien anständig zu steuern."

Berliner Senat und schwedischer Energiekonzern

Berlin kauft Fernwärmenetz von Vattenfall

Das Land Berlin übernimmt das Fernwärmenetz der Hauptstadt vom schwedischen Energieversorger Vattenfall. Man habe sich auf einen Kauf des Netzes durch den Berliner Senat geeinigt, teilten beide Seiten am Dienstag mit.

Am meisten stört die Umweltschützer, dass bislang nur ein so genannter Dekarbonisierungsfahrplan vom ehemaligen Fernwärme-Eigentümer Vattenfall vorliegt. Das Unternehmen skizziert darin, wie Berlins Fernwärme-Sektor klimaneutral werden könnte. Zwar haben die Schweden schon einiges vorzuweisen. So ist der Ausstieg aus der Braunkohle in den Berliner Kraftwerken längst vollzogen. Am Standort Reuter West steht nach Unternehmensangaben Europas größte Power-To-Heat Anlage. Dazu kommt noch Deutschlands größter Wärmespeicher, quasi eine Thermoskanne im XXL-Format, der in Kürze in Betrieb gehen soll.

Heizkraftwerke werden noch mit Steinkohle und Gas befeuert

Doch zur klimapolitischen Wahrheit im Jahr 2024 gehört auch: Noch werden die Heizkraftwerke fast vollständig mit Steinkohle und Gas befeuert. Bis 2040 sollen diese fossilen Energieträger nach den Vattenfall-Plänen Stück für Stück durch einen Mix aus alternativen Energieträgern ersetzt werden. Dazu zählen unter anderem Geothermie und Wärmepumpen. "Wir setzen einerseits auf die Elektrisierung des Wärmesektors, aber wir brauchen natürlich auch in Zeiten von dunklen Wintertagen speicher- und lagerfähige erneuerbare Brennstoffe", erläutert Vattenfall-Sprecher Christian Jekat.

Mit diesen speicher- und lagerfähigen erneuerbaren Brennstoffen sind Wasserstoff und Biomasse gemeint. Laut Dekarbonisierungsfahrplan geht Vattenfall von einem Anteil der Biomasse von bis zu 15 Prozent im Jahr 2045 aus. Wasserstoff könnte demnach für 20 bis 40 Prozent der Wärmeerzeugung genutzt werden. Allerdings sind es genau diese beiden Energieträger, die bei Klimaschützern und Experten die Alarmglocken schrillen lassen.

Für Wärme in Berlin

Pappelernte für Hackschnitzel in Stahnsdorf

Franziska Holz vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in einer Studie untersucht, wie der Umstieg auf Erneuerbare in Berlin gelingen könnte, ohne dass die Versorgungssicherheit gefährdet wird. Ihre Modellrechnungen zeigen, dass sich der Wärmebedarf weitgehend mit einem Mix aus Geothermie, Flusswärmepumpen und Anlagen, die Abwärme etwa von Rechenzentren nutzen, decken ließe.

Wasserstoff-Strategie wird kritisch gesehen

In den Wasserstoff mag die Professorin indes keine allzu großen Hoffnungen stecken. Dieser Wasserstoff werde ja nicht in Berlin produziert, so dass die Stadt von Lieferungen abhängig sein würde. "Das wird unter Umständen sehr teuer und wird vielleicht auch nicht in hohen Kapazitäten zur Verfügung stehen", warnt die Professorin. Deswegen gehe sie davon aus, dass Wasserstoff nur in der Spitzenlast gebraucht werde, etwa an sehr kalten Wintertagen, wenn viel geheizt werde. Im Jahresmittel wäre das eine relativ kleine Menge, sagt Holz. Das ist so ziemlich das Gegenteil der Vattenfall-Pläne.

Auch die oppositionellen Grünen sehen in der Wasserstoff-Strategie eine "Riesengefahr für die Bürger". Denn sie müssten am Ende als Wärmekunden die Rechnung für den absehbar teuren Wasserstoff bezahlen, so Fraktionschef Werner Graf. Nicht minder kritisch bewerten er und sein Fraktionskollege, der energiepolitische Sprecher Stefan Taschner, dass Biomasse künftig eine so große Rolle spielen soll. Auch wenn sich "bio" erst einmal gut anhöre, sei dieses Material nur klimafreundlich, wenn es in der Zeit, in der es verbrannt werde, auch wieder nachwachse, gibt Taschner zu bedenken.

Vattenfall verweist hier auf das breit gefächerte Spektrum der Biomasse und darauf, dass sich das Unternehmen verpflichtet habe, Nachhaltigkeitskriterien einzuhalten. Schon jetzt werden auf sogenannten Kurzumtriebsplantagen in Brandenburg schnell wachsende Sträucher geerntet. Diesen Holzanbau wolle man zukünftig ausbauen, kündigt Unternehmenssprecher Jekat an. In der Biomasse-Planung spielten außerdem Altholz, Schnittreste aus Parks, aber auch Waldrestholz eine Rolle. "Was aber nicht bedeutet, dass wir da große Baumstämme verfeuern. Waldrestholz bedeutet, das sind Äste oder Material aus Baumkronen, was nicht mehr anders genutzt werden kann", betont Jekat.

Geothermie für viele Haushalte

Potsdamer Erdwärmebohrung mit unerwartet hoher Leistung

Enorme Menge Biomasse wird benötigt

Allerdings soll künftig auch in zwei Großkraftwerken an den Standorten Reuter West und Klingenberg Biomasse verfeuert werden. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Linken-Abgeordneten Ferat Kocak beziffert der Senat den zukünftigen Bedarf auf rund 450.000 Tonnen im Jahr. Das ist viermal mehr als heute in dem deutlich kleineren Heizkraftwerk im Märkischen Viertel und im Kraftwerk Moabit verbrannt wird. Nicht nur Umweltaktivisten bezweifeln, dass sich so große Mengen selbst im weiteren Umfeld Berlins auf ökologisch vertretbare Art und Weise zu beschaffen lassen.

Zumal schon heute Sägereste und abgeschnittenes Strauchwerk aus Parks nur einen kleinen Anteil der Biomasse ausmachen. Fast zwei Drittel kommen als "Holzhackschnitzel" direkt aus dem Wald. Auch das geht aus der Antwort an den Abgeordneten Kocak hervor. Eric Häublein vom Nabu fürchtet, dass angesichts des Energiehungers noch mehr Waldholz gebraucht wird. "Eine Fläche von der Größe des Tiergartens würde in Reuter West innerhalb von fünf Wochen verheizt werden", rechnet er vor.

Potsdam setzt auf Tiefengeothermie

Einen anderen Weg hat derweil Berlins kleiner Nachbar Potsdam eingeschlagen. Die Landeshauptstadt lotet aus, wie sich Klimaneutralität auch ohne riesige Mengen Biomasse und Wasserstoff erreichen lässt. Die Stadtwerke haben schon frühzeitig auf Tiefengeothermie gesetzt und erste Bohrungen durchgeführt. "Wir waren überrascht über die Ergebnisse", freut sich Eckard Veil, Geschäftsführer bei Energie und Wasser Potsdam. Das Potential sei wesentlich größer als ursprünglich vermutet.

"Wenn alles gut läuft und die Bohrungen alle erfolgreich sind, so wie es sich momentan darstellt, könnte man bis zu 60 Prozent der Fernwärme über tiefe Geothermie tatsächlich auch bestreiten", ist Veil optimistisch. Berlin muss nun auch "in die Puschen kommen", fordert der Grünen-Abgeordneten Stefan Taschner. Die Übernahme der Fernwärme sei da ein erster Schritt. "Wir können jetzt selbst gestalten und die Pläne von Vattenfall noch mal gründlich hinterfragen und auch über den Haufen werfen."

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.05.2024, 16:20 Uhr

 

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Beitrag von Jan Menzel

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