Grundsteinlegung für "Siemensstadt Square"
Fast sechs Jahre ist es her, dass sich der Berliner Senat und Siemens auf die Entwicklung von "Siemensstadt Square" einigten. Nun steht im ambitioniertesten Quartier Berlins die Grundsteinlegung an - begleitet von Kritik. Von Sebastian Schöbel
Es gibt sie schon in zahlreichen Computergrafiken, als digitalen Zwilling und sogar als farbgewaltige Zeichnung auf bedrucktem Stoff: Die "Siemensstadt Square", wie der Konzern seinen neuen Stadtteil im Berliner Nordwesten inzwischen nennt, hat ein beispielloses PR-Feuerwerk erlebt, noch bevor der erste Bagger rollen konnte. Seit 2018 trommelt das deutsche Traditionsunternehmen für seine 600 Millionen Euro teure Investition in den Standort, an dem die Siemensgeschichte einst begann - partei- und regierungsübergreifend hofiert und für Berliner Verhältnisse äußerst geräuschlos.
Das Siemens-Team zeigt sich auf Nachfrage des rbb hoch zufrieden: Man sei voll im Zeitplan, heißt es, und sogar so gut unterwegs, dass andere Projekte neidisch nachfragten, was das Geheimnis der Spandauer sei. Wohl auch deswegen macht der politisch schwer unter Druck stehende Ampel-Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag die kleine Reise aus Mitte nach Spandau zur Grundsteinlegung: Endlich mal ein Vorhaben, bei dem sich alle einig zu sein scheinen.
Bislang aber ist diese "Siemensstadt Square" vor allem ein Versprechen: Sehen kann man bis auf ein paar Bauzäune nämlich noch nichts. Berlins modernstes Quartier mit Vorbildcharakter soll hier entstehen, mit fast 3.000 Wohnungen, gut jede dritte davon mietpreisgebunden. Dazu viel Bürofläche, Produktionsstandorte für moderne Industrie, und viel Raum für Startups, Kunst und soziale Infrastruktur. Kitas sind genauso geplant wie Wohnraum für Studierende und eine vierzügige Grundschule.
All das soll den höchsten Anforderungen an Nachhaltigkeit und Klimaschutz entsprechen, mit eigenem Regenwassermanagement nach Schwammstadt-Prinzip, Blühstreifen und Bruthilfen, ressourcenschonendem Bauen mit recyceltem Material und Holz, und einer smarten Energieversorgung. Weil all das noch nicht reicht, will Siemens das Quartier auch noch zum vollvernetzten Testgebiet für neue Mobilität machen, zum Beispiel mit autonom fahrenden Transportmitteln. Ambitionierter plant in Berlin wohl niemand.
Nun, fast sechs Jahre nach Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen Siemens und dem damaligen rot-grün-roten Senat, soll es endlich losgehen: Der östliche Stadteingang am Rohrdamm, gegenüber von der noch stillgelegten S-Bahn-Trasse, soll ab 2025 gebaut werden. Geplant sind ein 60-Meter-Bürohochhaus in Holzhybridbauweise, ein 20 Meter hohes Atrium-Gebäude mit viel öffentlicher Fläche, ein Info-Pavillon und ein neuer Stadtpark. Bis 2026 soll dieser Bereich fertiggestellt sein.
Über sehr viel mehr als diesen Eingang zum neuen Stadtquartier habe Siemens aber auch bislang nicht im Detail reden wollen, sagt Volker Hormann. Er ist Sprecher der Anwohnerinitiative "Planungswerkstatt Neue Siemensstadt". Die Gruppe begleitet das Großprojekt seit Beginn, hat sämtliche Runden des Beteiligungsverfahrens mitgemacht. "Wir fühlen uns nicht ernst genommen", bilanziert Hormann nun kurz vor der Grundsteinlegung den bisherigen Prozess: Zahlreiche Einwendungen und Kritikpunkte aus der Bevölkerung seien nicht aufgenommen worden.
So sei der zentrale Siemensboulevard, die Hauptstraße des ganzen Quartiers, eine Sackgasse, sagt Hormann, dabei wünschten sich die Anwohner eine durchgehende Verbindung zwischen Rohrdamm im Osten und Paulsternstraße im Westen des Geländes. Zudem sei das gesamte Viertel viel zu dicht bebaut, vor allem mit Büros, obwohl es von denen im Umfeld immer mehr geben werde, etwa auf dem alten Osram-Gelände oder der "Urban Tech Republic" auf dem ehemaligen Flughafen Tegel. "Und das in einer Zeit, in der der Leerstand bei Büroflächen wächst", kritisiert Hormann.
Siemens wirft er vor, aus finanziellen Gründen "ein Gewerbegebiet in ein gemischtes Bebauungsgebiet zu verwandeln, um rauszuholen, was geht". Wie der zusätzliche Verkehr durch Anwohner und Gewerbetreibende künftig organisiert werden soll, ohne ein Chaos zu verursachen, sei auch noch unklar.
Vor allem aber stört die Initiatoren der Planungswerkstatt, dass der Konzern ihnen nicht wirklich zuhöre. "Wir haben 40 Seiten mit Vorschlägen eingereicht, übernommen wurden ein paar mehr Bäume auf dem Gelände", sagt Hormann. Die Bürgerbeteiligung verstehe der Konzern nur als Möglichkeit, Werbung für das Projekt zu betreiben. "Wir dürfen jetzt die Wege in einem kleinen Park am Quartierseingang gestalten - das ist Beschäftigungstherapie." Dem Senat wirft er vor, die Zügel zu locker zu lassen.
Und doch ist auch Volker Hormann kein strikter Gegner der Siemensstadt Square. Das Projekt sei natürlich eine Chance, den gesamten Stadtteil voranzubringen, vor allem bei der sozialen Infrastruktur. "Unser Familienzentrum ist zu klein, das Jugendzentrum zu weit weg, und ein Seniorenzentrum haben wir gar nicht, auch keine Stadtteilbibliothek". All das kann auf dem neuen Areal laut den Plänen angesiedelt werden, so Hormann. Nach Jahren des Abschwungs in Siemensstadt ein Hoffnungsstreifen am Horizont, räumt Hormann ein. "Natürlich ist es gut, dass sich da endlich etwas tut."
Sendung: Radioeins, 25.06.2024, 12:01 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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