Gewerbeflächen
Hohe Gewerbemieten, wenig Platz für Expansion - darüber klagen viele Berliner Unternehmen. Deswegen ziehen einige ins Umland. Jüngstes Beispiel: Der Elektromotorenbauer Menzel, der kürzlich sein neues Werk in Hennigsdorf eingeweiht hat. Von Karsten Zummack
Hier wird lackiert, das ist schon aus einiger Entfernung zu riechen. In einer Kabine, fast so groß wie eine Drei-Zimmer-Wohnung, ist ein Industriemotor aufgebockt. Der Mitarbeiter mit Mund- und Ohrenschutz muss auf eine Leiter klettern, um auch von oben heranzukommen. In seiner Hand hält er eine Sprühpistole mit langem Schlauch.
"Wir können die Kabine auf bis zu 90 Grad vorheizen", erklärt Firmenchef Mathis Menzel. Damit ließe sich der Lack einbrennen. Die neue Lackierkabine ist dreimal so groß wie die alte, die das Unternehmen vom Standort in Berlin-Moabit nach Hennigsdorf mitgebracht hat – und Menzels Stolz. Er konnte sich die Produktion hier so einrichten, wie er es schon lange wollte.
Viele Maschinen sind mit umgezogen, neue wurden angeschafft. Da sind beispielsweise die Krananlagen, die bis zu 80 Tonnen Gewicht durch die Werkshallen hieven können. "Wir kriegen mehr Durchsatz hin und können schnellere Abläufe sicherstellen", freut sich der 45-Jährige. "Wo wir früher an unsere Grenzen gekommen sind, haben wir jetzt noch Luft nach oben".
Seit 1927 hatte der Elektromotorenbauer Menzel in Berlin-Moabit produziert. Doch das Grundstück am Spreeufer war in die Jahre gekommen. Der Hof dort wurde allmählich zu klein für Lkw, das Wenden immer schwieriger. Auch die Hallen waren dunkel und eng. Für die angestrebte Expansion des Unternehmens reichte das nicht mehr aus. Menzel kam zu dem Urteil, "dass die Innenstadt ein suboptimaler Standort für große Industriemaschinen ist, die in die ganze Welt gehen".
Eigentlich wollte das Unternehmen mitsamt seiner 100 Mitarbeiter auf den ehemaligen Flughafen Tegel umziehen. Doch das verzögerte sich wegen des BER-Desasters ständig. Am Ende kristallisierten sich zwei mögliche neue Standorte in Brandenburg heraus: einer in Ludwigsfelde, der andere in Hennigsdorf. Der Chef ließ die Belegschaft abstimmen. Das Ergebnis war eindeutig: "Dreiviertel unserer Mitarbeiter haben sich für Hennigsdorf entschieden". Der traditionsreiche Industriestandort konnte vor allem mit einer guten Autobahn- und S-Bahn-Anbindung punkten.
Menzel ist keineswegs ein Einzelfall. Wie viele Berliner Unternehmen ins Umland gezogen sind, wird statistisch nicht erfasst, heißt es von der Senatswirtschaftsverwaltung und der Industrie- und Handelskammer (IHK). Die Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) hat seit 2018 mehr als 50 solcher Verlagerungen begleitet. "In der Regel war das Motiv, dass diese Firmen größere Flächen brauchen, als sie in Berlin bekommen konnten", bestätigt WFBB-Sprecher Alexander Gallrein. In der Regel würden sich aber die Wirtschaftsförderer mit ihren Kollegen in der Hauptstadt abstimmen und besprechen, um Unternehmen überhaupt in der Region zu halten.
"Die Wirtschaftsverwaltung arbeitet daran, dass Unternehmen, die nach Berlin ziehen oder bereits in Berlin sind und sich erweitern wollen, auch den notwendigen Raum beziehungsweise die notwendigen Flächen finden", teilt das Wirtschaftsressort der Hauptstadt mit. So sollen neue Gewerbehöfe entwickelt, Flächen in Neubaugebieten gesichert werden. "Die wachsende Berliner Wirtschaft benötigt pro Jahr 30 bis 40 Hektar an zusätzlichen Gewerbeflächen", sagt IHK-Vizepräsident Robert Rückel.
Laut Statistischem Bundesamt sind in Berlin im vergangenen Jahr 114 mehr Unternehmen weg- als zugezogen. Wohin es sie zog, ist nicht erfasst. Die Zeiten, in denen ein Bundesland dem anderen mit Förderzusagen Unternehmen abgeworben hat, sind aber offenbar vorbei. Trotzdem suchen Berliner Firmen zunehmend ein neues Zuhause hinter der Landesgrenze in der Mark, beobachtet der Stahnsdorfer Grundstücks- und Immobilienmakler Andreas Arlt.
Der 62-Jährige erhält verstärkt Nachfragen von wechselwilligen Betrieben. Die meisten wollen sich vergrößern. "Die Möglichkeiten, das in Berlin zu tun, sind sehr gering", so Arlt. Als Motive hinzu kommen niedrigere Grundstückspreise, geringere Gewerbesteuersätze sowie die Scheu vor zu viel Bürokratie. "In Berlin ist das schon manchmal ein Procedere, wo man die Hände über den Kopf zusammenschlagen kann", konstatiert der Makler. Er hat dem Pumpenhersteller InLine Hydraulik aus Marienfelde ein zweites Grundstück in Stahnsdorf vermittelt, auf dem künftig 200 Beschäftigte arbeiten sollen.
Karsten Kruschke hat mit seinem Metallbearbeitungsunternehmen "Die Blechprofis" Berlin schon vor zehn Jahren den Rücken gekehrt. "Wir wurden von Hennigsdorf sehr freundlich empfangen", sagt der 60-Jährige. Beim Kauf des Grundstücks auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks sei er gut unterstützt worden. Das Unternehmen versteht sich als verlängerte Werkbank, unter anderem für Gewerbekunden aus Maschinenbau und Autoindustrie. Sieben Mitarbeiter biegen, polieren, schleifen und schweißen hier Bleche.
Im Jahr 2000 hat Kruschke die Firma gegründet, in Berlin-Neukölln. Doch irgendwann stand die Werkstatt dort einer Hotel-Erweiterung im Weg. Deshalb zog sie um nach Hennigsdorf. "Die Kernmannschaft ist stabil geblieben", bilanziert der Unternehmer — selbst, wenn es 36 Kilometer nordwärts ans andere Ende der Stadt ging. Und auch wenn es mitunter schwieriger ist, Fachkräfte ins Umland zu locken, hat er den Umzug hierher nie bereut.
Zu einem ähnlichen Urteil kommt Mathis Menzel vom Elektromotorenbauer Menzel nach den ersten Wochen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, auch wenn der Umzug einem logistischen Kraftakt gleichkam. 300 Lkw-Ladungen, 3.000 Umzugskisten mussten gepackt werden. Zudem seien ca. 10.000 Nervenstränge gerissen, wie das Unternehmen launig mitteilte. Immerhin wurden inklusive Maschinen-Neukäufe insgesamt mehr als 20 Millionen Euro investiert.
Am Ende hat alles geklappt. Die Motoren werden jetzt in Hennigsdorf hergestellt. Kaum angekommen, will Menzel schon wieder erweitern. Das Unternehmen will auch das leere Nachbargrundstück kaufen. Die Zahl der Mitarbeiter soll perspektivisch von 100 auf 150 wachsen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.06.2024, 08:35 Uhr
Beitrag von Karsten Zummack
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