Zahlen vom Arbeitsmarkt
Mit einem Job-Turbo wollte die Bundesregierung die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt beschleunigen. Brandenburgs Landesregierung und die Arbeitsagentur verbreiten nun Zuversicht und verweisen auf Erfolge. Doch die Hürden bleiben hoch. Von Torsten Sydow
Bei Hermes in Ketzin (Havelland) könnten sie den Laden wohl dicht machen, wenn es dort nicht die ausländischen Arbeitskräfte gäbe. Am Standort bugsieren dort 75 Männer und Frauen aus 19 Nationen Päckchen und Pakete in und aus Lastern.
Andrej aus der Ukraine macht das hier seit zwei Jahren. Für ihn sei selbst die harte Arbeit hier abwechslungsreich, der Austausch mit Kollegen wichtig. Wenn man mit ihm allerdings spricht, so klingt es, als sei das Härteste auf dem deutschen Arbeitsmarkt der Erwerb von Sprachkenntnissen – oder vielmehr deren Anerkennung. Denn noch immer legen viele Unternehmen, aber auch Behörden, Wert auf gutes Deutsch. Beim Unternehmen Hermes kämpfen sie mit einem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften, da wächst die Ungeduld, dass es mit Sprachkenntnissen zu genau genommen wird. Jede Hand wird gebraucht.
Trotz mancher Hürden: Geflüchtete finden inzwischen schneller Platz im Brandenburger Arbeitsmarkt. Das zeigen Zahlen der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, die am Donnerstag veröffentlicht worden sind. Demnach waren im Dezember 2023 in Brandenburg etwa 9.700 Menschen aus den acht stärksten Asylherkunftsländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das waren 1.300 mehr als im Dezember des Vorjahres.
Daneben hatten Ende des vergangenen Jahres 4.800 Geflüchtete aus der Ukraine Jobs in Brandenburg, das ist ein Plus von 1.000 im Vergleich zu Dezember 2022. Geflüchtete aus Ländern wie Afghanistan, Irak, Syrien und Eritrea arbeiten mehrheitlich im verarbeitenden Gewerbe, im Verkehrsbereich und im Gastgewerbe.
Ukrainische Geflüchtete sind zum überwiegenden Teil im Baugewerbe, im Gast- und im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt. Insgesamt leben in Brandenburg laut Bundesagentur für Arbeit rund 56.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter, die eine ukrainische Staatsbürgerschaft haben oder eine Staatsangehörigkeit der acht stärksten Asylherkunftsländer.
Das Land Brandenburg und die Regionaldirektion hatten sich im November 2023 auf Maßnahmen zum schnelleren Zugang von Migranten in den Arbeitsmarkt verständigt. Die Betroffenen werden seitdem intensiver von den Jobcentern betreut. Zudem wird schon ab einem grundständigen Sprachniveau in den Arbeitsmarkt vermittelt. Politik und Verwaltung rufen dazu auf, Arbeitskräfte auch mit geringen Deutschkenntnissen einzustellen und diese berufsbegleitend zu qualifizieren. Hintergrund ist die von der Bundesregierung ausgerufene Initiative "Job-Turbo" zur schnelleren Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt.
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und die Chefin der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, Ramona Schröder, präsentierten die Zahlen bei ihrem Betriebsbesuch im Logistik-Center der Hermes Germany GmbH in Ketzin, für sie ein Vorzeigebetrieb in Sachen Integration. "Es gibt viele Unternehmen, die Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigen. Die gibt es in der Prignitz und in der Lausitz und das ist mittlerweile mehr die Regel als die Ausnahmen", hob Woidke hervor. Aber es müsse noch viel mehr getan werden, um es Firmen einfacher zu machen, Geflüchtete zu beschäftigen.
Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die auf der Flucht sind, müssten vom ersten Tag an die Möglichkeit haben, eine Arbeit aufzunehmen. Arbeiten und gleichzeitig die deutsche Sprache lernen, sei der richtige Weg. Hermes sei ein gutes Beispiel, das Mut mache. "Der Fachkräftebedarf ist jetzt schon in Regionen der limitierende Faktor und wir müssen alle Chancen nutzen, hier besser zu werden", so Woidke.
Regionaldirektionschefin Ramona Schröder fügte hinzu, das Plus bei der Beschäftigung von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund zeige, "dass Unternehmen in Brandenburg offen sind, diesem Personenkreis eine Beschäftigungsperspektive zu ermöglichen." Menschen, die aus Kriegsgebieten gekommen sind, würden jetzt bei Hermes arbeiten, auch wenn die Sprache noch nicht gut funktioniere, sagte Schröder. "Wir sind hier einen ersten guten Schritt gegangen." Die, die jetzt noch in Integrationskursen und Sprachkursen sind, könnten gut in Arbeit integriert werden und damit in die Gesellschaft.
Die Entwicklung bei der Beschäftigung von Geflüchteten in Brandenburg sei positiv, aber es gebe noch viel Luft nach oben, schätzt Professor Jasper Tjarden, Migrations- und Integrationsforscher an der Universität Potsdam ein. Viel Zeit sei erforderlich, um die deutsche Sprache zu lernen, eine Wohnung zu finden sei schwierig, Entscheidungen über Asylanträge dauerten und Geduldete müssten lange auf eine Arbeitserlaubnis warten. Leider sei auch die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ein langwieriger Prozess. Fakt sei, dass viele der 2015 und 2016 nach Deutschland Geflüchteten heute in Deutschland einen Arbeitsplatz haben, so Tjarden.
Viele Geflüchtete scheiterten in Berufsschulen an den Deutschkenntnissen. Und da stelle sich die Frage, ob jeder der in der Backstube arbeite, perfekt Deutsch können muss, sagt Tjarden. An dieser Stelle könnten die Arbeitgeber flexibler werden und ihre Erwartungen anpassen.
Weil die sprachlichen Hürden hoch sind, finanziert das Land seit einem Jahr ein aufwendiges Übersetzer-System via Telefon. Damit können Dolmetscher-Leistungen in mehr als 50 Sprachen von Arabisch über Französisch bis Paschtu rund um die Uhr per Videokonferenz über Computer, Laptops oder Telefone abgerufen werden. Die Dolmetscher sitzen in Wien und können von berechtigten Einrichtungen wie Kliniken, Behörden, Jobcentern oder Schulen kostenfrei genutzt werden.
Alleine im Juni registrierte das Programm 1.000 Abrufe. Mittlerweile nutzten das System 900 Einrichtungen in Brandenburg. Schon deshalb zieht die zuständige Integrationsministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis90/Grüne) eine positive Bilanz des Dolmetscher-Telefons. Es sei ein "enormer Fortschritt in der Integrationspolitik des Landes", so Nonnemacher. Davon hat das Land offenbar einige erzielt.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 11.07.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Torsten Sydow
Artikel im mobilen Angebot lesen