Hausbesuche im Krankheitsfall
Vorgesetzte bei Tesla haben krankgeschriebenen Mitarbeitern Kontrollbesuche abgestattet. Arbeitsrechtler Enrico Pätzel erklärt, in welchen Fällen solche Hausbesuche zulässig sind und welche Konsequenzen eine falsche Krankmeldung haben kann.
rbb|24: Am Mittwoch wurde bekannt, dass Vorgesetzte von Tesla Hausbesuche bei krankgeschriebenen Mitarbeitern machen und das auch für ein "übliches Vorgehen" halten. Dürfen die das?
Enrico Pätzel: Wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, darf der Arbeitgeber kranke Mitarbeiter zu Hause besuchen. Das ist möglich, aber es geht nicht ansatzlos. Es muss grundsätzlich ein Verdacht bestehen, dass sich jemand als arbeitsunfähig krank gemeldet hat und es in Wirklichkeit gar nicht ist.
Der Tesla-Werksleiter sagte, so ein Vorgehen sei nichts Ungewöhnliches - viele Unternehmen würden das so machen. Können Sie das bestätigen?
Es ist nicht unüblich. Ich glaube nicht, dass jeder zweite Arbeitgeber anfängt, kranke Beschäftigte zu Hause aufzusuchen. Das ist mir so nicht bekannt. Aber es gibt eben Extremfälle. Wenn also wirklich ein starker Verdacht besteht und der Arbeitgeber das nicht aufklären kann, dann ist es eher üblich, ein Detektivbüro zu beauftragen und zu überprüfen, ob die Angestellten arbeitsunfähig krank sind oder ob sie zum Beispiel eine andere Beschäftigung ausüben während der Krankheit. Das gibt es schon. Weil man so ein Detektivbüro auf Beschäftigte ansetzen dürfte, gibt es eben auch die Möglichkeit, selber hinzugehen.
Ab wann ist so ein Schritt gerechtfertigt? Tesla sagt, sie hätten sich besonders auffällige Fälle angesehen. Also Fälle, in denen Mitarbeiter in diesem Jahr noch gar nicht gearbeitet haben oder immer zu Randzeiten krank waren. Ist das also ein guter Grund für so eine Maßnahme?
Nach dem Gesetz hat man ja Zeit, sich zunächst drei Tage ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krankzumelden. Ab dem vierten Tag muss man dann spätestens eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Wenn Tesla argumentiert, viele Beschäftigte nutzten immer diese drei Tage aus und kämen eigentlich nie an den Punkt, wo sie eine Bescheinigung vorlegen müssen, dann könnte das schon ein Ansatzpunkt sein, wo der Arbeitgeber sagen darf: Dann gehe ich da mal hin und gucke, ob die Person wirklich krank ist.
Wobei man sagen muss: So wahnsinnig aufschlussreich ist so ein Hausbesuch für den Arbeitgeber ja auch nicht. Denn: Man müsste zwar die Tür öffnen, aber reinlassen muss ich den Arbeitgeber nicht. Er hat auch kein Recht von mir zu erfahren, warum ich eigentlich krank bin und was meine Diagnose ist. Die kriegt er ja auch über die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht. Das ist alles vom Persönlichkeitsrecht geschützt. Er könnte also nur gucken, ob wirklich jemand zu Hause ist. Selbst wenn er niemanden antrifft, heißt das ja nicht, dass jemand nicht krank ist. Er kann ja genauso beim Arzt sein oder zu Hause schlafen.
Sie sagten, es kommt durchaus mal vor, dass Arbeitgeber Detektive auf ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansetzen?
Das passiert schon. Allerdings ist das in der Regel das letzte Glied in der Kette, wenn man so möchte. Typischerweise versuchen die Arbeitgeber jedenfalls, vorher den Kontakt aufzunehmen. So eine Detektivkanzlei oder ein Detektivbüro kostet ja auch Geld. Das bekomme ich als Arbeitgeber nur dann wieder, wenn mein Verdacht, dass jemand gar nicht arbeitsunfähig krank ist, sich erstens als zutreffend herausstellt und, wenn dann die Kosten im Verhältnis zu dem stehen, was mein Beschäftigter bei mir verdient.
Sprich: ich muss natürlich erstmal gucken, dass ich günstigere Möglichkeiten ausschöpfe: Das wäre der medizinische Dienst der Krankenkasse. Der Personalchef von Tesla hätte jetzt nicht zu allen Beschäftigten fahren müssen, sondern er hätte versuchen können, die anzurufen.
Ich muss als Arbeitgeber erst einmal alles durchlaufen, bevor ich dann eine Detektei beauftrage. Es sei denn, ich habe jetzt ganz handfeste Anhaltspunkte dafür, dass jemand eigentlich nur die Krankheit vorschiebt und dann entweder vielleicht selbstständig oder freiberuflich tätig ist oder - noch schlimmer - möglicherweise für ein Konkurrenzunternehmen arbeitet. Dazu gibt es auch Entscheidungen vom Bundesarbeitsgericht. Wenn jemand eine Krankschreibung einreicht und dann für ein Konkurrenzunternehmen tätig ist, riskiert er in hohem Maße sein Arbeitsverhältnis und müsste dann im Zweifel auch Detektivkosten bezahlen.
Mal angenommen, der Chef steht vor der Tür und ich komme gerade vom Joggen zurück oder poste während der Krankheit Urlaubsfotos aus dem Süden. Was wären die Konsequenzen, die mir als Arbeitnehmer drohen?
Wenn ich arbeitsunfähig erkrankt bin, habe ich grundsätzlich die Nebenpflicht, als Beschäftigter alles zu tun, um so schnell wie möglich wieder gesund zu werden. Es kommt ganz entscheidend darauf an, was die tatsächliche Ursache meiner Erkrankung ist. Angenommen, die Ursache liegt im psychischen Bereich, dann wäre es völlig unproblematisch, dass ich etwa joggen gehe. Etwa, wenn der Arzt sagt, es dient dem Umstand, dass ich schnell wieder arbeitsfähig werde. In den seltensten Fällen bin ich ja bettlägerig. Dann müsste ich zu Hause sein, damit das der Gesundung dient. Angenommen, ich habe eine Atemwegserkrankung und der Arzt rät mir, wegen des maritimen Klimas an die Nordsee zu fahren, dann darf ich sogar meinen Wohnort verlassen. Um keine Verdachtsmomente aufkommen zu lassen, wäre es in solchen Fällen schon sinnvoll, den Arbeitgeber darüber zu informieren.
Die sozialen Medien sind in der Tat ein Problem - das kommt häufiger vor. Zum Beispiel Fälle, in denen ein Beschäftigter eine Nebentätigkeit als DJ hat und Auftrittsfotos während der Erkrankung postet. Da sind dann auch Fälle aufgetreten, wo die Leute tatsächlich gekündigt worden sind. Grundsätzlich braucht man bei verhaltensbedingten Gründen für eine Kündigung vorher eine Abmahnung. Es kann aber auch Ausnahmefälle geben, wo das Gericht sagt, da hätte einfaches Nachdenken gereicht, um zu wissen, dass man das nicht machen darf und dass der Arbeitgeber das nicht hinnehmen wird. Dann ist unter Umständen auch keine entsprechende Abmahnung erforderlich und dann erhalte ich eben eine fristlose Kündigung.
Es gibt ja durchaus Fälle, die zulasten der arbeitsfähigen Kollegen und Kollegen gehen. Die können Mehrarbeit haben, wenn jemand ständig krank ist und sich etwa immer den Freitag ausspart. Sehen Sie Möglichkeiten damit umzugehen, ohne dass man gleich einen Kollegen verpetzt?
Die beste Möglichkeit ist natürlich immer die direkte Kommunikation. Wenn ich das Gefühl habe, da macht jemand auf meine Kosten blau, dann würde ich den Leuten schon raten, nicht gleich zum Arbeitgeber zu gehen, sondern das unmittelbare Gespräch zu suchen. Wenn das nichts hilft, habe ich auch die Möglichkeit, mich als Beschäftigter an meinen Betriebsrat zu wenden und mich darüber zu beschweren. Der kann an die Solidarität des Kollegen appellieren aber eben auch auf die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses hinweisen. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, war bei Tesla auch der Betriebsrat miteingeschaltet. Das ist dann schon immer ein deutliches Warnsignal für die Beschäftigten.
Wie oft haben Sie mit solchen Fällen zu tun und wie gehen die in der Regel aus?
Gott sei Dank, muss man sagen, kommt das nicht so oft vor. Diese Besorgnis, dass hinter einer Krankmeldung keine wirkliche Arbeitsunfähigkeit steht, die ist in vielen Fällen eben nicht begründet. Aber diese Fälle gibt gibt es schon. Wenn der Arbeitgeber tatsächlich eine wirksame Abmahnung erteilt hat - wofür die Rechtssprechung hohe Hürden aufstellt - und ich als Arbeitnehmer tatsächlich blau mache, dann verliere ich meinen Arbeitsplatz. Es ist für den Arbeitgeber deswegen schwierig, weil er tatsächlich beweisen muss, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat. Und es ist schwierig, wenn die Leute wirklich ein Attest haben.
In anderen Fällen, in denen es etwa zu oft zu Kurzerkrankungen kommt, bin ich nach der Rechtsprechung als Arbeitgeber auch berechtigt, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, weil die Belastung zu hoch ist. Und wenn man sich auf Kurzerkrankungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stützen will, braucht man als Arbeitgeber braucht einen längeren Zeitraum. Dann sprechen wir in der Regel eben von ganz normalen fristgemäßen Kündigungen, bei denen ich als Beschäftigter hinterher auch mit der Arbeitsagentur kein Problem habe.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Carl Winterhagen, rbb|24 Inforadio
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.09.2024, 12:40
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